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Eigeninitiative VerkehrspolitikBillerbecker bauen Radweg selbst

Ewig auf eine Fahrradspur warten? Im Münsterland setzten sich Bürger auf den Bagger und legten los. Spart Zeit, Geld und ist irgendwie cool.

1.000 Arbeitsstunden hat allein Baggerfahrer Josef Kortüm investiert Foto: Christoph Ueding

Billerbeck taz | Oliver Krischer, Nordrhein-Westfalens grüner Verkehrsminister, hat an diesem Freitag einen vermutlich sehr angenehmen Termin. Er fährt ins westliche Münsterland. Dort wird ihm der fast fertige Bürgerradweg Billerbeck präsentiert.

Ein Bürgerradweg? Ist nicht jeder Radweg für Bürgerinnen und Bürger? Nun, diesen hier aus dem beschaulichen Billerbeck nach Westen Richtung Coesfeld haben die EinwohnerInnen weitgehend selbst erdacht, geplant – und vor allem gebaut. 5,6 Kilometer misst die Strecke. Sie führt entlang der engen Landstraße L 581, einer Autoraserpiste ohne jeden Schutz für Zweiräder.

„Sieht schon gut aus, oder?“, fragt Christoph Ueding. Der Einkaufsleiter eines Caterers für Schulessen gehört zu den Initiatoren des Vereins Bürgerradweg Ost- und Westhellen. Zusammen mit anderen Machern des Projekts sitzt er beim Kaffee in seinem Garten in Osthellen. Vor dem Haus wird der geschotterte Radweg gerade mit Hochborden eingefasst, letzte Rinnen werden gesetzt und alles wird asphaltiert. Abschließende Arbeiten, die eine Fachfirma macht.

Der Schotterweg aus Bürgerhand ist 2,50 Meter breit und schlängelt sich hellgrau an Wiesen und Feldern vorbei bis zum Horizont. „Die Radfahrer von der Straße zu kriegen ist essenziell“, sagt Ueding. Wie zur Illustration braust ein Auto sehr energisch und hochtourig los, als es grün wird an der einspurigen Baustellenampel. Als müsse der Zeitverlust von annähernd einer Minute unbedingt aufgeholt werden. Wrooom.

Ein NRW-Ding

Das Land Nordrhein-Westfalen lässt Bürgerradwege zu, wenn die Kommune und der Lan­des­bau­be­trieb Straßen.NRW die Daumen heben. Es gibt schon einige solcher Strecken, allerdings oft nur wenige hundert Meter lang. Dass die Menschen so engagiert selbst anpacken wie in Billerbeck, ist allerdings ungewöhnlich.

2020 gab es die Idee erstmals. Bis die erste Schaufel im Herbst 2023 zum Einsatz kam, musste allein Bauleiter Norbert Kerkeling („Ja, der Hape Kerkeling und ich haben die gleichen Vorfahren im 15. Jahrhundert“) viele hundert Stunden investieren: Von Anträgen und Planungssitzungen mit dem Landesbaubetrieb berichtet er, von Bodengutachten, Genehmigungen hier und da, vor allem vom Grundstückstausch. Denn neben der Straße seien mindestens fünf Meter zusätzlicher Platz nötig gewesen. Die EigentümerInnen bekamen in Absprache mit der Gemeinde ebenso große Flächen an anderer Stelle.

Anfangs sei man von Haus zu Haus gegangen, sagt Holger Dettmann vom Billerbecker Bauamt. „Alle haben mitgemacht. Bis auf einen. Da haben wir den Weg eben ein paar Meter früher auf die andere Seite verlegt als ursprünglich geplant.“

Zusammenarbeit von Anwohnern und Behörden

Ueding ergänzt: Die Zusammenarbeit von Anwohnern, Behörden und der Stadt sei „vorbildlich gewesen“. Und: Ohne die Eigeninitiative wäre der seit 2005 laufende Antrag auf einen Radweg wahrscheinlich immer noch ganz unten auf der Liste beim Landesbaubetrieb.

Rund 2,3 Millionen Euro wird alles am Ende gekostet haben, 400.000 Euro weniger als ohne eigenes Anpacken. Ist das viel? „Das ist sehr viel“, sagt Dettmann, „eine Menge gespartes Steuergeld.“ Geld, das für Radwege anderswo ausgegeben werden kann.

Dettmann kann aber auch von Überraschungen unterwegs berichten, etwa unter einer Wiese „so blubbernde Fließsande, das war fast wie ein Trampolin, wenn man drauf ging“. Mit Geogittern und fast einem Meter Schotter habe man auffüllen müssen, bis alles stabil war. Einmal musste auch eine kleine Brücke neu gebaut werden – wegen eines Wasserzuflusses aus den Feldern. Insgesamt haben 65 emsige Billerbecker Bürger 20.000 Tonnen Schotter und Sand verfüllt.

4.000 Arbeitsstunden

Baggerfahrer Josef Kortüm hat allein rund 1.000 der zusammen 4.000 Arbeitsstunden auf seinem Konto. „An einem Tag mal in Doppelschicht volle 250 Meter. Da sieht man abends: Du hast echt was geschafft!“ Manchmal seien „begeisterte Radler vorbeigekommen und haben uns ’nen Schein zugesteckt für ’ne Kiste Bier, als Lob, als Anerkennung.“

Verkehrsforscher Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin hat viel Lob für das Billerbecker Projekt übrig. „Das ist doch ganz wunderbar, was da passiert ist“, sagt er und fordert grundsätzlich: „Wir müssen raus aus der kommunalen Kleinteiligkeit und die Kräfte für die Verkehrswende endlich bündeln.“ Was die Bürger in dem kleinen Ort geschafft hätten, sei „in Groß“ nötig: eine einheitliche Fahrradstraßen Bau GmbH beispielsweise, auf Landes- oder besser auf Bundesebene. „Diese Firma bekommt jährlich Summe X vom Bund, und dann kann da jeder Anträge stellen“, so stellt Knie es sich vor. Da gebe es dann auch Fachkompetenz. Kommunen allein seien „oft völlig überfordert, auch weil ihnen Fachleute fehlen für Radstraßenbau, der schließlich überall nachpriorisiert ist“.

Allein wie sehr so ein Bau die Community stärkt

Christoph Ueding, Mit-Initiator

Auffällig: Knie spricht immer von Radstraßen, nicht von den üblicherweise verniedlichenden „Radwegen“. Und erst recht nicht von „Nebenanlagen“, wie Radinfrastruktur abwertend im Behördendeutsch heißt.

Ueding berichtet, er sei auch auf Walze und Radlader dabei gewesen, mit der Schaufel, vor allem aber als Koordinator, damit alle Rädchen ineinandergreifen konnten. Ueding ist im Wallfahrtsort Billerbeck mit seinen 12.000 EinwohnerInnen auch CDU-Stadtrat, aber sein politisches Wirken habe „eigentlich gar nichts mit dem Projekt zu tun“, betont er. Auch wenn gute Kontakte in die Verwaltung natürlich von Nutzen sind.

Uedings Sohn Hubertus wird jetzt eingeschult. Bald soll er dann allein nach Billerbeck zur Grundschule radeln. Eröffnet wird der Radweg im Herbst. „Ich würde das immer wieder machen und kann es nur empfehlen“, sagt Ueding, „allein wie sehr so ein Bau die Community stärkt.“ AnwohnerInnen hätten „sich darum gerissen, wer uns mit Frühstück, Mittagessen, auch mit Kuchen versorgt. Das war so cool, mit so viel Gemeinschaft und neuen Freundschaften.“

Allerdings sind solche Bürgerradwege bislang nicht in allen Bundesländern zulässig. Die Verkehrsminister etwa aus Hessen und Brandenburg sollten auch mal in Billerbeck vorbeischauen, am besten im Fahrradsattel.

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