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Eichel überzeugt im Schlaf

Der hessische Ministerpräsident wurde mit 94,4 Prozent erneut zum Landesvorsitzenden gewählt / Eichel und IG-Metall-Chef Zwickel kritisieren Lafontaine: „Oskar, laß das sein!“  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Wixhausen (taz) – Einen „empfindlichen Stimmeneinbruch“ für den hessischen Ministerpräsidenten Hans Eichel als SPD-Landesvorsitzenden hatten viele für den Parteitag am Sonnabend in Wixhausen prophezeit. Eichel werde abgestraft für den drastischen Einbruch der Sozialdemokraten bei den Komunalwahlen im März. Und der „farb- und temperamentlose“ Ministerpräsident und Parteivorsitzende, so die harsche Kritik selbst aus der Führungsetage der eigenen Partei, habe mit seiner „stillen Sacharbeit“ dem „Zampano“ der Grünen, Joschka Fischer (Umweltminister), die politische Bühne zur Selbstdarstellung überlassen – und es zugelassen, daß so das sozialdemokratische Profil vom Koalitionspartner zum Nutzen und Frommen der Grünen „geschleift“ werden konnte.

Doch nachdem die Delegiertenstimmen ausgezählt waren, wurden die Kritikaster kleinlaut: Hans Eichel wurde mit einem an realsozialistische Verhältnisse erinnernden „Traumergebnis“ (Eichel) von 94,4 Prozent erneut zum Parteichef gewählt. Daß sind zwar 2,3 Prozent weniger als vor zwei Jahren. Doch nach all den Querelen um die verlorengegangenen Kommunalwahlen und nach der für die SPD desaströsen Entwicklung in Frankfurt/ Main sind die 269 Delegiertenstimmen für Eichel – bei zehn Neinstimmen, sechs Enthaltungen und elf ungültigen Voten – dennoch Balsam für die Seele des „braven Hans“ aus Kassel. Daß der Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag, Lothar Klemm, mit (fast) dem gleichen guten Ergebnis zu einem der drei Stellvertreter von Eichel gewählt wurde, werteten Parteitagsbeobachter aus den Reihen des Koalitionspartners als Beleg dafür, daß sich die SPD „zumindest auf Landesebene“ wieder gefangen habe: „Vorwärts – und nichts vergessen!“ Zu stellvertretenden Landesvorsitzenden wurden in Wixhausen auch Heidemarie Wieczorek-Zeul (Südhessen) und der Landrat von Kassel, Udo Schlitzberger (Nordhessen), gewählt. Der Grandseigneur der hessischen SPD, Innenminister Günther, hatte schon vor dem Parteitag auf eine erneute Kandidatur verzichtet.

„Rote Ketzer“ machten am Biertisch nach der Wahl von Eichel allerdings auch andere Rechnungen auf. Im Leben, so hieß es dort bei „Rummel light“, sei halt alles relativ. Im Vergleich mit dem als Gastredner nach Wixhausen geladenen IG-Metall-Chef Klaus Zwickel habe Eichel auf die Delegierten „wie ein ausgeschlafenes Energiebündel“ gewirkt: „Alles Parteitagsregie.“ Der schlappe Mann sei „gut für dreißig Stimmen mehr für Eichel“ gewesen. In der Tat schliefen bei Zwickels Aufritt so manchem Delegierten und Parteitagsbeobachter die Füße ein. Und nur die geharnischte Kritik von Zwickel an Oskar Lafontaine „zwickte“ die hessischen Sozialdemokraten aus Morpheus' Armen. „Wenig hilfreich“ für SPD und Gewerkschaften seien die Äußerungen von Lafontaine zur langsameren Anpassung von Renten und Löhnen in Ostdeutschland an das Westniveau gewesen, meinte Zwickel und mahnte zum Schulterschluß mit den Gewerkschaften. Eichel rückte schon mal ran: „Oskar, laß das sein“, mahnte er den abwesenden Saar-Kollegen.

Weil die rot-grüne Koalition in Wiesbaden „problemlos funktioniert“, konnte sich Eichel in seiner Grundsatzrede dem „zentralen Thema unserer Zeit“ widmen: „Arbeit sichern – sicher arbeiten“. Und weil die Regierung in Bonn nach Auffassung von Eichel nicht nur den Arbeitsmarkt ruiniere, sondern auch die Wirtschaft kaputtmache, forderte er die Arbeitgeber auf, die Fronten zu wechseln und mit SPD und Gewerkschaften an einem Strang zu ziehen: „Sie sind mit den falschen politischen Kräften liiert.“

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