piwik no script img

Ehrung für S-Bahn-OpferVolkstrauer per Seite eins

Dominik Brunner wurde posthum das Bundesverdienstkreuz verliehen. Das ehrt auch all jene, die weggeschaut haben, als der Münchner zu Tode geprügelt wurde.

Mit dem Gedenkmarsch am 25. September wurde an den Mut von Dominik Brunner erinnert. Bild: dpa

Dominik Brunner zeigte Gerechtigkeitsempfinden. Er bewies Mut, als er am 12. September auf dem S-Bahnhof in München-Solln vier Schüler vor einem Raubüberfall von zwei jungen Männern schützen wollte - und sein Leben opfern musste, als die beiden ihn dabei zu Tode prügelten. Nun hat am Wochenende Bundespräsident Horst Köhler den "S-Bahn-Helden" mit dem Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet, im Volksmund auch besser bekannt als Bundesverdienstkreuz. Ein an sich ehrenwertes Ansinnen. Und doch hinterlässt diese Auszeichnung einen faden Beigeschmack.

Die Bild rühmt sich damit, dass sie es war, die überhaupt erst den Anstoß für diese Ehrung geliefert hat. Mehr als 27.000 Menschen hätten eine Online-Petition unterzeichnet, mit der das Springer-Blatt auf ihrer Seite 1 die LeserInnen aufgefordert hatte, Brunner das Bundesverdienstkreuz zu verleihen. "Das Drängen der Öffentlichkeit zeigt Erfolg", rühmt sich nun das Boulevardblatt und suggeriert, dass der Köhler erst nach ihrer Kampagne die Ehrung in Betracht gezogen habe. Der Bundespräsident - nur noch ein Vollzugsorgan der Bild?

Nun lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren, inwiefern der Bundespräsident die Ehrung nicht auch ohne Springer-Kampagne auf dem Schirm hatte. Und was ist daran verwerflich, wenn die Bild mal ausnahmsweise einen Mordfall nicht nur sensationsheischend boulevardesk aufgreift, sondern mit dem Anliegen verbindet, sich gegen eine zunehmende Kultur des Wegschauens und für mehr Zivilcourage zu engagieren?

Ordensrechtlich gibt es an der Nominierung durch die Bild auch nichts zu beanstanden. Denn in der Tat kann jeder die Auszeichnung eines anderen anregen, indem er sich an die Staatskanzlei des jeweiligen Landes wendet, in dem der Vorgeschlagene seinen Wohnsitz hat. Die Bild-Zeitung hat eben den Weg ihrer Seite 1 gewählt. Was aber nicht nur formal viel schwerer wiegt, ist eher die Frage, wie jemand geehrt werden kann, wenn er gar nicht mehr lebt.

Die ordensrechtlichen Bestimmungen geben auf diese Frage zu Recht eine klare Antwort. 1951 vom damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss erstmals gestiftet, wird das Bundesverdienstkreuz eigentlich verliehen "für Leistungen, die im Bereich der politischen, der wirtschaftlich-sozialen und der geistigen Arbeit dem Wiederaufbau des Vaterlandes dienten". Zudem soll der Orden laut Satzung "eine Auszeichnung all derer bedeuten, deren Wirken zum friedlichen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland beiträgt" - die Ehrung ist an das Künftige gerichtet. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes nach dem Tod war also gar nicht vorgesehen.

Bundespräsident Walter Scheel machte 1977 zum ersten Mal eine Ausnahme, als er posthum Jürgen Schumann auszeichnete, den Piloten der entführten Lufthansa-Maschine "Landshut", die im Zusammenhang mit der RAF und dem Deutschen Herbst stand. Johannes Rau wiederum ehrte 2004 Gabriele Heitmann nach ihrem Tod für ihr familienpolitisches Engagement. Sie war Gründungsmitglied des Verbands allein erziehender Mütter und Väter.

Zumindest im Fall des "Landshut"-Piloten Schumann liegt ebenso wie nun aktuell bei Dominik Brunner der Verdacht nahe, dass der Ausnahmefall - also eine posthume Würdigung - vor allem dann angewandt wird, wenn es um ein hochemotionalisiertes Thema geht, das momentan die Gemüter erregt. Und in der Tat: Köhler versteht die Auszeichnung "als Zeichen der Dankbarkeit aller mitfühlenden Menschen in Deutschland, für die Menschlichkeit, die Hilfsbereitschaft und die Zivilcourage, die Dominik Brunner selbstlos zeigte, als er erkannte, dass andere Menschen in Not waren". Köhler gibt also zu, dass er nicht nur Brunner ehrt, sondern auch die Tausende, die nach dem tödlichen Überfall öffentlich ihre Trauer bekundeten - verschweigt dabei aber zugleich die vielen Augenzeugen, die ebenfalls am Bahngleis standen, aber nicht eingriffen. Und es auch in Zukunft nicht tun werden.

Taugt das Bundesverdienstkreuz als Mittel zur Reinigung des Volksgewissens? Nicht wirklich. Helden sehen anders aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
  • NR
    Niko Ribbeck

    Der Orden für Dominik Brunner ist richtig und angemessen! Hat nicht jedes Land Helden im Sinne von Vorbildern nötig, die sich über das Schluffi-Duck-Wegschauertum hinwegsetzen, solange die Mehrheit leider genau so ist? Ich lebe zur Zeit in München und muss sagen, nirgends sind junge sportliche Männer so schnell dabei, sich hinter ihrer Zeitung zu ducken, wenn ein 15-Jähriger kleiner Pimf in der S-Bahn alte Frauen anpöbelt. Es wird gnadenlos weggeschaut oder aber aus sicherer Entfernung geglotzt. Ich habe es selbst oft genug erlebt. Und in der Tat, die Polizei hält lieber Radfahrer an oder bekämpft kleine Kiffer. In so einem verklemmten Spießer-Sumpf gedeihen solche schrecklichen Taten wie die der beiden durchgeknallten Jungs besser als etwa in Berlin, wo die Leute wenigstens noch das Maul aufmachen!

  • M
    Matze

    "Traurig das Land das Helden nötig hat"

  • SR
    Sigrid Reh

    Gäbe es in diesem Land eine Auszeichnung im destruktiven Sinn für unterlassene Hilfeleistung, unethisches Verhalten durch Nichthandeln etc., wäre der Adressatenkreis der Infragekommenden wohl wesentlich größer.

  • DD
    der Don

    Es war die richtige Entscheidung, ihm post mortum diese Auszeichnung zu gewähren. Ich sehe es nicht als "Reinigung des Volksgewissens", sondern eher als Mahnung und Aufforderung mehr ZivilCourage zu zeigen, gerade durch diese Auszeichnung werden "die Anderen" nicht-Helfer nochmal getadelt.

  • AL
    Anna Luehse

    "S-Bahn-Opfer"??

     

    Dominik Brunner war kein "S-Bahn-Opfer", sondern das Opfer gemeingefährlicher Totschläger.

  • NL
    Ne lieber anonym

    Eigentlich liegt ein Versagen der in Bayern völlig unverhätnismäßig arrogant und belehrend auftretenden Polizei vor. Über 20!!! Minuten hatten die Herren Radfahrerbelehrer und Strafzettelverteiler Zeit den Notruf ernst zu nehmen, und einzugreifen.

    Nichts ist passiert.... Die ersten 2 Polizisten am Tatort haben erst mal Verstärkung angefordert und dann zugeschaut, kann ja dauern mit der Verstärkung....... Mir ist es ein Rätsel warum die Presse nicht auf die beiden Gesetzeshüter eingeht, die als erstes vor Ort waren und NICHT eingegriffen haben????? (Laut Aussagen von Anwohnern)

    Zivilcourage zu fordern und dann Polizisten zu decken, die trotz Ausbildung und Pflicht zu intervenieren nicht tätig werden, ist äh, na ja Scheinheilig????

  • T
    Thomas

    Natürlich taugt die Ehrung nicht "als Mittel zur Reinigung des Volksgewissens". Das haben doch auch weder Köhler noch BILD behauptet, oder? So oder so, es ist nur ein Orden, ein symbolischer Akt mit begrenzter Wirkung. Man kann sich zurecht über manchen Träger dieser Auszeichnung erregen, in diesem Fall ist eine Ehrung aber absolut nachvollziehbar, auch wenn sie an einen Toten geht.

  • F
    freya

    Warum speziell in München Notwehr und Hilfeleistung juristisch gefährlich sind, steht hier:

     

    http://www.heise.de/tp/r4/artikel/31/31167/1.html