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Ehrenamtspreis abgelehntVerein zeigt Politik ihre Grenzen

Kommentar von Susanne Memarnia

Der Berliner Obdachlosenverein will keinen Ehrenamtspreis vom Bezirk Mitte wegen dessen „menschenverachtender“ Politik. Gut so!

In Mitte unerwünscht: Obdachlosen-Camp im Tiergarten 2017 Foto: dpa

D as grundsätzliche Dilemma kennen viele Vereine: Man kämpft mit seinem Engagement gegen Probleme, die von der Politik zumindest mitverschuldet sind. Und ausgerechnet die verantwortlichen Politiker überhäufen einen dafür mit Lob – betonen, wie wichtig diese ehrenamtliche Arbeit ist, wie unentbehrlich für die Gesellschaft, blablabla. Bisweilen verleihen sie den rührigen Vereinen sogar Preise.

Gerade kam der Verein Berliner Obdachlosenhilfe in die Verlegenheit, dass ihm der Bezirk Mitte den Ehrenamtspreis 2019 verleihen wolle. Die Erklärung auf Facebook, warum der Verein den Preis ablehne, wurde im Verlauf des Wochenendes viel geteilt und „geliked“. Tatsächlich wird wohl jeder, der sich mit Obdachlosenpolitik in Berlin beschäftigt, den Befund des Vereins teilen, dass der Bezirk bisweilen eine „obdachlosenfeindliche und oft menschenverachtende Politik“ fährt, die Probleme nachgerade verschärft.

Wir erinnern zum Beispiel an die rassistischen Äußerungen des grünen Bezirksbürgermeisters Stephan von Dassel 2017, als er nach einem Mord im Tiergarten „aggressive osteuropäische Obdachlose abschieben“ wollte. Auch sonst fährt man in Mitte gerne harte Kante: Immer wieder räumen Bezirksmitarbeiter die Zelte von Obdachlosen ab; immer wieder berichten Betroffene, dass ihnen das Amt die Unterbringung verweigert – die nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz Pflicht für die Bezirke ist.

Angesichts der bezirklichen Politik ist es daher in der Tat zynisch, wie die Obdachlosenhilfe schreibt, dass der Bezirk nun „mit großer Geste“ einen Preis ausgerechnet an den Verein verleihen möchte, der sich (neben anderen) mit den Konsequenzen dieser Politik herumschlagen muss. Schön, wenn sich Vereine trauen, dies laut zu sagen. Eine so klare Haltung zu zeigen traut sich nicht jedeR – zumal Vereine ja teilweise auch am Tropf staatlicher Zuwendungen hängen. Im vorigen Jahr war „Moabit hilft“ so mutig – der Verein war für den mit 5.000 Euro dotierten Nachbarschaftspreis nominiert und lehnte dies ab wegen Äußerungen des Schirmherrn, Bundesinnenminister Horst Seehofer, zur Asylpolitik.

Solche Statements sind wichtig, zeigen sie doch der Politik, wo die Grenze liegt. Schlimm genug, dass die Zivilgesellschaft immer öfter den Ausputzer machen muss für verfehlte Politik. Aber sich dafür ausgerechnet von jenen loben zu lassen, die es verbocken? Nein, Danke!

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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3 Kommentare

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  • taz: *Der Berliner Obdachlosenverein will keinen Ehrenamtspreis vom Bezirk Mitte wegen dessen „menschenverachtender“ Politik.*

    Vollkommen richtige Entscheidung. Mehr ist dazu eigentlich nicht zu sagen.

  • " Eine so klare Haltung zu zeigen traut sich nicht jedeR – zumal Vereine ja teilweise auch am Tropf staatlicher Zuwendungen hängen...."



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    Spontane, unmittelbare Zuwendung als Verein usw. von "Menschen zu für andere Menschen" ist sehr lobenswert & positiv!



    Aber letztes& wichtigstes Ziel aller solcher "spontaner Interventionen & Hilfen" muss IMMER sein, sich selbst überflüssig zu machen!



    .



    Das lernt jeder "Sozialarbeiter" im 1. Semester! "Methoden der Sozialarbeit, vom "Armenhaus bis zur "politischen Aktion"



    "Elberfelder Modell" ist da das Stich- & Reizwort:



    Da strickten 1850 ff Unternehmerfrauen für "arme Arbeiterkinder", deren Eltern von ihren Männern massiv ausgebeutet wurden, weit unter den "Lebenserhaltungskosten bezahlt wurden" & machten sich damit ein gutes Gefühl! Hübsch, aber die Frage nach dem "Warum kam NIE auf" Anstatt die Grundlagen dieser Notlage zu ändern tat Frau gute Werke! :-(((



    .



    Genau in der gleichen Situation sind viele vielen"Hilfsvereine" heute!



    Anstatt politisch an diese Fragen ran zu gehen, neben der direkten, sehr wichtigen "Nothilfe", verzetteln sie sich (so sorry aber objektiv muss man das so sehen) in der "aktiven Arbeit!"



    .



    Gerade im Bereich "soziale Arbeit", von Obdachlosen bis in Schule uvam., ist es "Pflicht" auch die "berufspolitische Ebene" seiner Arbeit nicht aus dem Auge zu verlieren & diese massiv gegenüber der Mehrheitsgesellschaft & der Politik zu vertreten!



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    Brummt Sikasuu



    .



    Ps. Gerade die, die die internen Inforationen haben, sind mMn. verpflichtet dieses Wissen weiter zu geben & LAUT zu werden, wenn solche Mängel wie z.B. bei (leider notwendigen) Tafeln, Obdachlosen usw so sichtbar werden!



    Sozialarbeit, professionell oder ehrenamtlich hat nur ein "Oberstes Ziel": Alle diese Aktivitäten, nicht nur mMn. also auch sich selbst, "überflüssig zu machen"!

  • JAAA!!