Ehemaliges Vier-Sterne-Haus in Bautzen: Ein Hotel für Flüchtlinge
Weil er vor dem Bankrott steht, eröffnet Peter Rausch in seinem Hotel ein Flüchtlingsheim. Erst machen ihm seine neuen Gäste Probleme, dann die Bautzener.
Der Mann, den so viele Bautzener nicht mögen, lebt in sicherem Abstand in einem Hotel, 4,6 Kilometer von Bautzen entfernt. In seinem Hotel. Vier Sterne, wenig Charme, 120 Zimmer, 90 Euro pro Nacht inklusive Frühstück. Das ist der Stand im Frühsommer 2014. Da steht Rausch vor dem Bankrott. Er hat als Hotelier versagt.
Zweieinhalb Jahre später, im Dezember 2016, empfängt Rausch in seinem Büro, das hinter der Rezeption liegt und dessen Tür sich nur von innen öffnen lässt. Die Begrüßung ist knapp: „Sie sind zu spät.“ Der Chef ist schlecht gelaunt, der Raum eng und bürograu. Ein Tisch, eine Leuchtstoffröhre und eine Feuermeldeanlage, die zu laut brummt. Rausch setzt sich hinter seinen Schreibtisch und beobachtet die Bewegungen auf seinem Bildschirm. Darauf sieht er die grauen Livebilder der Überwachungskameras.
Es ist sein Periskop, sein Guckloch in das Hotel. 14 Kameras hat er installiert, die meisten blicken nach draußen. „Ich hatte Angst, dass die Rechten von der Seeseite aus kommen und mein Hotel abfackeln.“ Ein paar Kameras beobachten das Leben im Hotel. Über eine kann Rausch das Foyer überblicken. Er sieht die Rezeption, ein Dutzend Kinderwagen, die dicht gedrängt neben der Eingangstür stehen, vier Frauen mit Kopftuch, die sich auf einer Bank unterhalten.
Drei Tage später wird Rausch auf dem Bildschirm sehen, wie fünf Molotowcocktails über den Zaun auf das Hotel fliegen, das nun ein Flüchtlingsheim ist.
„Die Flüchtlinge haben ihn gerettet“
Seit Rausch Heimleiter geworden ist, hat er Freunde verloren, viele Bautzener feinden ihn an. Trotzdem sagt eine seiner wenigen Freundinnen in Bautzen: „Die Flüchtlinge haben ihn gerettet.“ Es klingt, als würde sie damit nicht nur sein Hotel meinen.
Ist Rausch ein naiver Gutmensch, wie manche sagen? Ist er ein berechnender Geschäftsmann? Ist er ein Bautzener oder ein Außenseiter? Rausch scheint das selbst nicht immer zu wissen. Bis heute wird Rausch immer wieder ans Aufhören, an seine Rente denken. Daran, die Stadt zu verlassen.
Zur Jahrtausendwende war der Hotelier nach Stationen in Amman und Birmingham in die sächsische Provinz gezogen, um sich mit dem „Spreehotel“ einen Traum zu erfüllen: endlich Herr sein über ein eigenes Haus. Bautzen ist nicht sein Traumziel. Als er, von der A4 kommend, an Plattenbauten vorbeifährt, fragt er sich, wo er gelandet ist. Dann sieht er die Altstadt.
Nach der Wende restaurierte Adelshäuser, gewundene Gassen und Wehrtürme, ideales Urlaubsziel im schmucklosen Ostsachsen. Der Stadt geht es damals nicht gut, die Industrie ist mit der Mauer zusammengebrochen, größter Arbeitgeber ist das Arbeitsamt. Trotzdem glaubt Rausch, dass Bautzen an der Spree touristisches Potenzial hat.
Irgendwann geht das Geld aus
Das Hotel, das er pachten wird, liegt abseits auf einem Hügel, ist heruntergewirtschaftet und wurde laut Rausch von einer Firma erbaut, die sonst Bürogebäude aus dem Boden stampft. Trotzdem übernimmt er den Betrieb, will zeigen, dass er es besser kann, hofft auf den nahen See und Busreisende. Was Rausch nicht weiß: Am Wasser ist wenig los. Blaualgen verscheuchen im Sommer potenzielle Gäste, auf Besucher warten nur ein Minigolfplatz und eine Beachbar. Und dann sind da noch die Mücken.
Je länger er das Hotel betreibt, desto weniger Gäste kommen. Irgendwann geht das Geld aus, er muss Kredite aufnehmen, um Mitarbeiter zu bezahlen. Eines Morgens schlägt er die Lokalzeitung auf und liest: Die Stadt braucht dringend eine Asylunterkunft. Rausch sieht seine letzte Chance. Er schließt das Hotel, eröffnet ein Flüchtlingsheim, schöpft Hoffnung – und rutscht ins Chaos. Und die Stadt bald mit ihm.
Wer wohnt schon gerne neben einem Flüchtlingsheim? In Bautzen sind auch Unterkünfte in der Innenstadt im Gespräch, doch stoßen sie auf Widerstand in der Bevölkerung. Man fürchtet um den Wert des eigenen Grundstücks, erwartet mehr Müll und Lärm in der Nachbarschaft. Ein Heim außerhalb der Stadt, wäre das nicht ein Kompromiss? Doch auch am Stausee will man die Asylbewerber nicht haben, man fürchtet um die Kundschaft im Sommer.
Trotzdem wandelt Peter Rausch das Spreehotel in ein Asylbewerberheim um. Es ist das erste Heim der Stadt, somit ziehen auch die ersten Flüchtlinge hier ein. Tag der Eröffnung ist der 15. Juli 2014.
War das Asylheim ein Fehler?
Wenige Wochen später, kurz nach Ramadan, steht Rausch nachts auf dem Parkplatz vor seinem Heim im Blaulicht der Polizei- und Rettungswagen. Er blickt auf die tunesischen Männer, die fixiert und mit Tränengas in den Augen auf dem Asphalt liegen. Es sind seine Jungs, die Bewohner seines Heimes. War das Asylheim ein Fehler?
Rausch, der Hotelier, ist kein Wohltäter, sondern ein Unternehmer, der ums Überleben kämpft – und mit seinen neuen Gästen ringt: Seit der Eröffnung wohnen etwa 40 Flüchtlinge aus Tunesien bei ihm, ausschließlich Männer. Die Stimmung ist aggressiv. Fenster werden zerschlagen, Tische zertrümmert, Betten und Badezimmer gehen zu Bruch. Rauch hat die Kontrolle über sein Hotel verloren, das kein Hotel mehr ist.
Nachts fahren immer wieder Rechtsextreme vor das Spreehotel, stellen sich an den neuen, vier Meter hohen Zaun, brüllen „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“. In der Nacht kurz nach Ramadan eskaliert die Lage. Die Bewohner brüllen auf Arabisch und Französisch zurück, gehen an den Zaun, ein Sicherheitsmann ruft die Polizei. Einige Bewohner wollen auf die Rechten los, andere halten sie zurück. Ein Stuhl fliegt in eine Glasscheibe. Als die Polizei eintrifft, stoßen einige Bewohner Rausch und den Sicherheitsmann um und fliehen ins Gebäude, andere gehen auf die Beamten los. Rausch muss zusehen, wie die Polizisten das Reizgas zücken.
Internetentzug als Strafe
„Ich war nicht unschuldig“, sagt Rausch heute. Er sei nicht streng genug gewesen, habe zu viel durchgehen lassen. Das hat sich geändert. Wer seinen Abfall nicht korrekt entsorgt, den überführt er mit der Überwachungskamera und dreht ihm das WLAN ab. Internetentzug gibt es auch bei exzessivem Heizen oder Vandalismus.
Einmal am Tag geht Rausch auf Streife. Von seinem Guckloch am Schreibtisch steht er auf, kontrolliert jeden der vielen Gänge seines Heims, die Kleiderkammer, die Küche, die Waschküche, die früher eine Sauna war. Dort soll ein Bewohner die Maschinen befüllen, er bekommt dafür ein kleines Gehalt. Doch der Mann ist nicht da. Rausch findet ihn ein Stockwerk höher, neben dem Billardtisch.
„Ich war nur auf der Toilette“, sagt der. „Du gehst immer zwei Stunden auf Toilette und drei Stunden Essen. Dann sind die sechs Stunden Arbeit auch vorbei.“ Der Mann versucht sich zu verteidigen, aber Rausch ist lauter. Aus dem Hotelier, der seine Gäste bedient, ist ein Heimleiter geworden. Sein Zeigefinger wippt auf und ab: „Heute machst du mir keinen Ärger“, sagt er.
Wie viele sie sind: Im Dezember 2015 lebten rund 40.000 Menschen in der Stadt Bautzen. Es ist die achtgrößte Stadt Sachsens.
Wie sie wählen: Bei den Bürgermeisterwahlen 2015 lag die Beteiligung bei 38 Prozent. 48 Prozent entschieden sich für Alexander Ahrens, den gemeinsamen Kandidaten von Bürger Bündnis Bautzen, SPD und Linken. 35 Prozent wählten die CDU. Bei den Kommunalwahlen 2014 lag die NPD bei 5,8 Prozent.
Wie es ihnen geht: Im März 2017 waren 2.159 Bautzener arbeitslos. In der Stadt arbeiteten 2015 zwar über 26.000 Menschen, aber fast 70 Prozent von ihnen waren Pendler.
Wen sie aufgenommen haben: 2015 wurden 1.778 Geflüchtete auf den Landkreis Bautzen verteilt – bei 306.000 Einwohnern. (jod)
Hotelier ist ein einsamer Beruf. Man zieht durch die Welt, von Haus zu Haus, hat viele Gäste und wenige Freunde. Flüchtlingsheimleiter sind noch einsamer.
Nicht dass er zuvor verwurzelt gewesen wäre. Er war im Tourismusverein, habe sich dort aber nicht besonders eingebracht, sagt die Freundin, die ihm geblieben ist. Sonst hält er sich raus aus dem Leben der Stadt, er, der draußen auf dem Hügel in seinem Hotel wohnt, der Badener mit dem trockenen Humor und den cholerischen Zügen. Geschätzt von den Mitarbeitern, auch wenn er laut wird.
Als Außenseiter verkennt Rausch, wie umstritten seine Entscheidung pro Flüchtlingsheim in Bautzen ist. Und er ahnt nicht, was sich in den Monaten danach in Deutschland und Bautzen ereignen würde.
Rausch will seine Stadt retten
Am 21. Februar 2016 brennt der Dachstuhl des Husarenhofs, einer weiteren geplanten Flüchtlingsunterkunft in Bautzen. Während die Feuerwehr zu löschen versucht, stehen Betrunkene daneben und klatschen. Im Spätsommer nehmen die Polizeieinsätze auf dem Kornmarkt zu, einem Treffpunkt junger Flüchtlinge. In den Abendstunden des 14. September jagt ein Mob etwa zwanzig junge Flüchtlinge durch die Stadt und skandiert: „Wir sind das Volk.“ Die BBC berichtet. In der Nacht auf den 2. November werden drei Flüchtlinge in der Innenstadt mit einem „pistolenähnlichen Gegenstand“, vermutlich einer Schreckschusswaffe, bedroht.
Als der Husarenhof brennt, passiert etwas in Rausch. Er ist bereits vom Hotelier zum Heimleiter geworden. Jetzt wird er vom Badener, der sein Hotel retten will, zum Bautzener, der das Gleiche mit seiner Stadt versucht.
Für Ostersamstag haben Rechte einen Aufmarsch angekündigt, Rausch geht zur Gegendemonstration, das erste Mal in seinem Leben. Er rechnet mit 3.000 oder 5.000 Bautzenern. Rausch zählt weniger als 100. Er ist von der Stadt enttäuscht. „Es gibt nur noch die rechten Dumpfbacken auf der einen Seite und die linken Gutmenschen auf der anderen. In der Mitte gibt es in der Stadt nichts mehr.“
Während Rausch erzählt, sitzt er rauchend auf einer zu weichen Couch in seiner Wohnung im Untergeschoss des Hotels. Es ist Dezember, das für Bautzen so dunkle Jahr 2016 ist fast geschafft. Der Qualm Tausender Zigaretten hat jede Stofffaser im Raum durchdrungen, eine gut sortierte Schnapsbar steht auf der einen, ein Fernseher auf der anderen Seite. Rausch lebt hier mit zwei Katzen.
Mitten im Gespräch klingelt sein Handy. „Und, hast du ihn?“, fragt Rausch aufgeregt. Am anderen Ende ist ein ehemaliger Bewohner, ein Somalier. Nein, noch nicht. „Seit zwei Jahren wartet er auf einen Asylbescheid“, sagt Rausch, nachdem er aufgelegt hat. „Wir haben Angst, dass er abgelehnt wird. Aber dann zahle ich ihm den Anwalt. Der Kerl muss hierbleiben, der ist klasse.“
Geschäftsmann ist er immer noch
Der Mann aus Somalia wird bleiben, er bekommt bald darauf einen dreijährigen Aufenthaltsstatus, wird im August eine Lehre beginnen. Rausch ist glücklich, als er später davon erzählt. Jener Unternehmer Rausch, der um des Überlebens willen ein Asylheim eröffnete.
Geschäftsmann ist er immer noch. 13 Euro bekommt er nach eigener Aussage pro Flüchtling pro Nacht vom Landratsamt bezahlt, das macht bei 230 Bewohnern einen Umsatz von 1,1 Millionen Euro im Jahr. Als er mit seinem neuen, jetzt grauen SUV in die Stadt fährt, kommt auf dem Parkplatz vor der Bank ein Pärchen auf ihn zu. Der Mann habe zu seiner Frau gesagt, schau, das ist dieser Rausch, mit dem Geld, das er mit Flüchtlingen macht, kann der sich schon wieder ein neues Auto leisten. So laut, dass Rausch es hören musste.
Rausch nimmt es gelassen. Denn im Prinzip haben sie ja recht. Er hat alle Schulden abbezahlt, kann für seine Rente sparen, in die Altbauwohnung seiner verstorbenen Mutter im Schwarzwald investieren. Sein Refugium, seinen Alterssitz. Es ist das erste Mal, dass er mit dem Hotel Geld verdient.
Es ist auch das erste Mal, dass er Freude am Spreehotel hat. Wenn er durch die Gänge streift, zieht er Bewohner zu sich, um sie zu präsentieren, so wie den jungen Eritreer, der, verschwitzt von einem 20-Kilometer-Lauf, ins Foyer tritt. Er sei ein großartiger Läufer, wolle Olympiasieger werden, er, Rausch, sponsere ihn jetzt, dafür bekomme er 2020 von seinem Schützling dann die Goldmedaille aus Tokio geschenkt. Der Eritreer grinst, Rausch strahlt.
Fünf Feuerbälle fliegen über den Zaun
Rausch ist nicht mehr nur Hotelier oder Heimleiter. Er ist Herbergsvater. Wenn Kinder ihn sehen, umkreisen sie ihn, blicken mit großen Augen zu ihm auf, wissen von den Süßigkeiten in seiner Hosentasche.
Die Hetzjagd am Kornmarkt ist von Rauschs Hügel jetzt weit weg, Rechtsextreme waren schon lange nicht mehr am Zaun, im Heim leben viele Familien, das hat die Lage entspannt.
Es vergehen drei Nächte, bis die Molotowcocktails fliegen.
Auf den Aufzeichnungen der Überwachungskameras sieht Rausch, wie in der Nacht zum 13. Dezember drei Gestalten fünf Feuerbälle über den Zaun werfen, zwei explodieren. In den Tagen danach fährt Rausch nicht mehr allein in die Stadt, er glaubt, dass der Angriff nicht nur dem Heim galt.
Am Telefon klingt er fahrig, er habe geglaubt, das Schlimmste sei vorüber. „Ich habe bis vor einem Jahr nicht an die Rente gedacht“, hatte er in den Tagen vor dem Angriff gesagt. Und jetzt? Mit dem Landratsamt hat er einen Vertrag bis Juli 2017, ein weiteres Jahr wurde ihm zugesagt. Wenn der Vertrag ausläuft, will er weg. „An dem Tag, an dem ich mit meinen Katzen im Auto sitze und Bautzen verlasse, mache ich sieben Kreuze.“
Die mutmaßlichen Täter werden von der Polizei ermittelt und festgenommen. Wachpolizisten patrouillieren regelmäßig um das Hotel, langsam kehrt wieder Ruhe ein im Heim.
Rausch will sich nicht mehr verschanzen
Im März, bei einem der letzten Telefonate, beschäftigt sich Rausch wieder mit den alltäglichen Problemen im Heim. Für den Frühling hat er auf dem Parkplatz eine Grube ausheben lassen, hat teure Muttererde gekauft. Die Flüchtlinge sollen dort einen Gemüsegarten anlegen, Kopfsalat, Karotten, Kartoffeln. Die Idee kam gut an, viele wollten helfen. Doch jetzt, da es ans Anpflanzen geht, knien nur seine Mitarbeiter in der Erde. Von den Bewohnern lässt sich keiner blicken. Sie gehen bei dem guten Wetter lieber an den See. Das sei nicht das erste Mal, sagt Rausch. Das geplante Frühlingsfest sagt er ab.
Und der Anschlag? Natürlich könne morgen wieder etwas passieren, sagt Rausch, aber er klingt entspannt. „So ein Angriff gehört heute in meinem Gewerbe wohl dazu.“
Rausch will sich nicht mehr auf seinem Hügel verschanzen. Er fährt mit seinem SUV ins Bürgerbüro der SPD, um sich vor 25 Gäste zu stellen und im roten Strickpullover seine Geschichte zu erzählen. Der Badener, der sein Leben lang CDU wählte, hat die Seite gewechselt. Er ist unzufrieden damit, wie die sächsische Union mit dem Thema Asyl umgeht.
Heute stellt er sich als Neumitglied vor, obwohl er mit dem Wort „Genosse“ noch fremdelt. Auf einem Foto sieht man ihn mit dem roten Parteibuch in der Hand, Mitgliedsnummer 80093788. Als er den Antrag ausfüllte, hieß der Parteivorsitzende noch Sigmar Gabriel, betont er. Bei ihm gibt es keinen Schulz-Effekt. Höchstens einen Bautzen-Effekt.
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