Ehemaliger KZ-Aufseher Jakiv Palij: Nach Deutschland abgeschoben
Als junger Mann ließ sich Jakiv Palij von der SS zum Wachmann ausbilden. Bei seiner Emigration in die USA log er über seine Kollaboration.
Die Bundesrepublik hat seit diesem Dienstag einen Migranten mehr aufgenommen. Jakiv Palij wird für den Rest seines Lebens hier bleiben, untergebracht in einem Altenpflegeheim im westfälischen Ahlen. Schließlich zählt der frühere polnische Staatsbürger schon 95 Jahre und hat zwei Schlaganfälle hinter sich.
In seinem früheren Leben war Palij schon einmal in Deutschland gewesen. Das war kurz nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Lager für Displaced Persons. So nannte man die Millionen Menschen, die nach dem Krieg heimatlos waren. Palij gab damals an, im Krieg als Bauer und Fabrikarbeiter gearbeitet zu haben. Mit dieser Legende versehen wagte er 1949 den Sprung in die USA, arbeitete als Bauzeichner, wurde 1957 Amerikaner, ging später in Rente und lebte bis zum vergangenen Montag in einem zweigeschossigen Backsteinhaus im New Yorker Stadtteil Queens, mit überlebenden Juden aus Europa in der Nachbarschaft.
Doch in Wahrheit hatte Palij während der Nazi-Herrschaft gar nicht in einer Fabrik gearbeitet. Höchstens in einer Todesfabrik. Der junge Mann, der aus dem Dorf Piadyki in der heutigen Ukraine stammt, ließ sich von der SS 1943 im deutschen Lager Trawniki zum Wachmann ausbilden, so wie Tausende andere „Fremdvölkische“, wie die Nazis sie nannten. Diese Trawnikis waren dazu da, um in den Vernichtungslagern die Drecksarbeit zu besorgen: Juden aus den Deportationszügen zu drängen und sie in die Gaskammern zu zwingen. John Demjanjuk, der 2012 in München wegen seiner Mordbeteiligung in Sobibor zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, war auch so ein Trawniki.
Erst 2003 holte Jakiv Palij seine Vergangenheit ein. Die US-Behörden entdeckten, dass er bei seiner Einwanderung gelogen hatte, und entzogen ihm die US-Staatsbürgerschaft. Ein Jahr später erging ein Ausweisungsbefehl. Palij war fortan mit Demonstrationen konfrontiert, die verlangten, dieser Nazi solle aus New York verschwinden. Er begann damit, lieber den Hintereingang seiner Wohnung zu nehmen.
Ermittlungen wurden eingestellt
„Ich war niemals ein Nazi-Kollaborateur. Ich habe nicht einmal eine Nazi-Uniform getragen“, verteidigte Palij sich. Zumindest Letzteres ist richtig, denn die Trawniki-Helfer durften als „hilfswillige“ Ausländer selbstverständlich keine SS-Tracht tragen. Jakiv Palij will nur als Wachmann an Brücken und Flüssen eingesetzt worden sein. Das naheliegende Gegenteil lässt sich nicht belegen, weil Unterlagen fehlen. Die Staatsanwaltschaft Würzburg stellte die Ermittlungen gegen ihn ein.
Drei Länder kamen für die Abschiebung Palijs aus den USA infrage. Doch Polen, dessen Staatsangehörigkeit er besessen hatte, wollte ihn nicht haben, ebenso wenig die Ukraine. Jetzt hat die Bundesrepublik nach jahrelangem Tauziehen zugestimmt, den Nazi-Kollaborateur aufzunehmen – aus „Verantwortung gegenüber den Opfern wie auch unseren internationalen Partnern“, wie Außenminister Heiko Maas der FAZ sagte.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes hieß es, Palij sei in einem „polnischen Lager“ ausgebildet worden. Diese Formulierung war bedauerlicherweise missverständlich. Das Lager Trawniki befand sich auf deutsch besetztem polnischem Territorium, wurde aber von der deutschen SS betrieben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil