Ehemaliger Flughafen Tempelhof: Stillstand im Flughafen Tempelhof
Für die neue Landesregierung ist das größte Gebäude der Stadt kein Thema. Dagegen startet Schwarz-Rot wieder eine Debatte über die Bebauung des Felds.
Für die Zivilgesellschaft gibt es bisher so gut wie keinen Zugang. Einige Dutzend Initiativen und Institutionen schlossen sich im vergangenen Jahr zum Transformationsbündnis THF zusammen mit dem Ziel, durch Kooperation von Zivilgesellschaft, Politik, Wissenschaft und Wirtschaft einen lebendigen, gemeinwohlorientierten Zukunftsort zu schaffen. Auch Berlins oberster Denkmalschützer Christoph Rauhut sieht das Gebäude als einzigartigen Freiraum und Riesenchance für die Stadt, was aber Geld und einen langen Atem voraussetze.
„Meine Wahrnehmung ist, dass die Politik diesen langen Atem bisher leider nicht gehabt hat“, so Rauhut kürzlich in der Berliner Zeitung. Dabei ist klar, dass das unter Denkmalschutz stehende Gebäude auch Ende des Jahrhunderts noch existieren und Ignoranz deshalb immer teurer wird und somit keine Option sein kann.
Am Ende sahen die Verantwortlichen bei der Tempelhof Projekt GmbH (TP) wohl ein, dass es keinen Sinn macht, weiter zu mauern. Die für das ehemalige Flughafengebäude zuständige Organisation rückte die von der Initiative thf.vision geforderte Liste der von ihr beauftragten Umweltgutachten und -analysen heraus. Das Ergebnis ist zwar nur eine kurze Tabelle mit gerade einmal vier Titeln für die Jahre 2020 und 2021. Doch für Arne Semsrott vom Projekt FragDenStaat ist das trotzdem ein großer Erfolg. Denn es geht um Grundsätzliches. Laut Informationsfreiheitsgesetz dürfen Bürger*innen Behörden zu allen Themen befragen, für die sie sich interessieren. Begründen müssen sie das nicht: Sie haben das Recht dazu. „Allerdings gab es eine Flucht ins Privatrecht“, so Semsrott. Damit sind wichtige, für Engagierte oft besonders interessante Bereiche vor den neugierigen Augen von Bürger*innen geschützt. Das trifft nicht nur zu auf TP, sondern auch auf die Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), die sich um über 5.000 landeseigene Immobilien kümmert und deren Vermietung organisiert. Obwohl diese Gesellschaften zu 100 Prozent dem Land Berlin gehören, gilt das Informationsfreiheitsgesetz hier nicht.
Anders allerdings ist die Lage bei Umweltthemen: Hier hat die EU eine sogenannte Rückausnahme geschaffen. Weil sie Umweltinformationen in heutiger Zeit für so elementar hält, dass sie möglichst vielen Leuten zugänglich sein sollten, sind sämtliche vom Staat und den Ländern kontrollierten Stellen auskunftspflichtig – also auch solche, die als GmbH oder AG organisiert sind. Zwar erhielt die Geschäftsführerin von thf.vision, Heike Aghte, nun lediglich die Titel der Umweltexpertisen, die TP innerhalb von zwei Jahren in Auftrag gegeben hat. So weiß sie jetzt, dass ein „Gesamtschadstoffgutachten“ beauftragt wurde, das nach drei Jahren immer noch nicht vorliegt. Abgeschlossen sind dagegen die ornithologischen Untersuchungen zu Vogelarten auf einem Hangardach. Auch gab es eine Studie, ob ein Parkettkleber möglicherweise die Räume der Polizei mit Schadstoffen belastet. „Damit lässt sich noch nicht viel anfangen – aber es ist ein Schritt weiter zum Verständnis dieses Gebäudes und der Sanierungsarbeiten daran“, erklärt Heike Aghte.
Zuständig für die Immobilie ist die Tempelhof Projekt GmbH (TP), ein hundertprozentiges Tochterunternehmen des Landes. Nach wie vor ist die Polizei der größte Mieter, viele Räume stehen leer. Vor einiger Zeit fiel auf, dass in dem Bau, der während der Nazi-Zeit ohne Baugenehmigung und Statikprüfung errichtet wurde, Tragkonstruktionen und Baumaterialien an ihre Belastungsgrenze gekommen sind. Aktuell sind die rund 100 TP-Mitarbeitenden deshalb vorwiegend mit Grundlagenermittlung beschäftigt und arbeiten nach eigenen Angaben jährlich etwa 5.000 Havarien und Störungsmeldungen ab.
Jedes Jahr Ende Juni muss TP einen Lagebericht ans Abgeordnetenhaus schicken. 15 bis 25 Jahre werde die Sanierung wohl dauern – „abhängig von der jeweiligen Finanzierung“, war da im vergangenen Jahr zu lesen. Expert*innen schätzen die Kosten auf zwei bis drei Milliarden Euro. Seit Jahren heißt es blumig: Der Flughafen wird ein neues Stadtquartier für Kunst, Kultur und Kreativwirtschaft – ein Areal voller spannender Ideen, mit Raum zum Arbeiten, Ausprobieren.
Doch es gibt kein Konzept und für Initiativen, die das ändern möchten, keine Chance. Das Transformationsbündnis THF wollte in diesem Sommer eine „Halle für alle“ betreiben. Doch nachdem in zwei der sieben Hangars wieder Geflüchtete untergebracht werden mussten, wurde nichts daraus. Wegen Platzmangels, war das Argument.
Im Juni wird es eine neue Geschäftsführung geben. Noch ist unklar, wer den zermürbenden Job übernimmt. Denn im Klartext: Es passiert nicht viel – auch weil Legislaturperioden kurz und die Früchte einer guten Entwicklung nur längerfristig zu ernten sind.
Dachterrasse im Sommer
Im Sommer soll endlich die Dachterrasse neben dem Tower eröffnet werden. Für den Herbst ist eine Sause zum 100-jährigen Bestehen des Flughafens angekündigt. 200.000 Euro sind für das Jubiläum eingeplant, bei der „auch die Einbeziehung der Öffentlichkeit angestrebt“ wird, wie es in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der CDU heißt.
Ansonsten laufen mehrere Ankündigungen in Endlosschleife wie der Umzug des Alliiertenmuseums, der inzwischen erst in zehn Jahren erwartet wird. Irgendwann soll auch die Geschichtsgalerie eröffnen. Seit vergangenem Herbst arbeitet ein Fachgremium an einem Energie- und Klimaschutzkonzept, ohne dass es eine konkretere Idee fürs Gesamtgebäude gibt. Die Ankündigung, einen Gedenkort für die Opfer des KZ Columbia-Haus zu errichten, ist in der Versenkung verschwunden.
Zuständig auf politischer Ebene ist der neue Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD). Wenn es um den ehemaligen Flughafen geht, fällt ihm nur das Feld ein. Obwohl der Volksentscheid 2014 eine Bebauung ausgeschlossen hat, bringt Schwarz-Rot das Thema wieder aufs Tapet. „Mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb werden wir die Möglichkeiten einer behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche ausloten“, heißt es im Koalitionsvertrag. Das werde nicht ohne Zustimmung der Berliner Bevölkerung geschehen, versichert die neue Landesregierung. Dabei ist eine von oben initiierte Abstimmung juristisch gar nicht möglich.
Initiative wieder aktiv
Die Initiative 100 Prozent Tempelhof, die den erfolgreichen Volksentscheid 2014 betrieben hatte, wird wieder aktiv. Sie argumentiert mit dem weltweit einmaligen Ort und dem Schutz der Kaltluftschneise in Zeiten der Klimaerwärmung. Außerdem widerspricht sie der Darstellung, dass es in Berlin an Bauland für Wohnungen mangelt. Im Stadtentwicklungsplan sind Flächen für 200.000 Wohnungen ausgewiesen. Außerdem gibt es 65.000 genehmigte Bauanträge, die wohl aus Spekulationsgründen nicht umgesetzt würden, heißt es in einem Flyer.
Derweil konnte die Initiative Westfeldgarten vor einigen Tagen endlich Erdproben an der Paradestraße neben dem Feuerlöschteich nehmen. Seit 2019 möchte sie am Rand des Flughafenfelds mit Permakultur den Boden verbessern, Essbares anbauen und einen attraktiven Ort für Anwohnende schaffen. Obwohl gar nichts gebaut werden soll, musste sie einen Bauantrag stellen, den Denkmalschutz konsultieren und zahlreiche Genehmigungen einholen. „Wir sind Kompromisse eingegangen, damit es endlich losgehen kann“, berichtet Olivia Grandi. Bäume dürfen sie nicht pflanzen, denn alles muss reversibel sein. Der Vertrag ist bis 2026 befristet.
Nebenan haben etwa 100 Jugendliche eine Open-Air-Bühne gezimmert, organisiert von der gemeinnützigen Gesellschaft Kernzone Berlin. Durch praktische Arbeit will sie junge Leute fürs Handwerk begeistern und ihnen die Erfahrung ermöglichen, dass sie einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten. Seit ein paar Tagen spielt nun das Atze-Musiktheater vor- und nachmittags für bis zu 300 Kinder im Luftschloss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül