Ehemaliger FDP-Chef: Wolfgang Gerhardt gestorben
Er war Minister in Hessen, Bundesvorsitzender und Bundestagsfraktionschef der FDP. Nun ist Wolfgang Gerhardt im Alter von 80 Jahren gestorben.
Gerhardt kam am 31. Dezember 1943 im hessischen Ulrichstein zur Welt. Politische Karriere machte der Erziehungs- und Politikwissenschaftler zunächst in seiner Heimat Hessen. 1978 zog er erstmals in den Landtag in Wiesbaden ein. Von 1982 bis 1995 war er FDP-Landesvorsitzender. In dieser Zeit gehörte er auch schon dem Bundesvorstand der Liberalen an. Im April 1987 wurde Gerhardt für vier Jahre bis zum Ende der schwarz-gelben Koalition Wissenschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident.
Wunschposten blieb Gerhardt verwehrt
Mit der Bundestagswahl 1994 wechselte Gerhardt von Wiesbaden nach Bonn. Im Bundestag gehörte er zunächst dem Post- und später dem Auswärtigen Ausschuss an. Er wäre gern Außenminister geworden, doch dies blieb ihm verwehrt, weil die rot-grüne Koalition die Bundestagswahl 2002 gewann und es nicht zu einem Wechsel zu Schwarz-Gelb kam.
An der Spitze der Bundespartei löste Gerhardt 1995 den glücklosen Klaus Kinkel ab. Bis 2001 blieb er FDP-Bundesvorsitzender, von 1998 bis 2006 war er zudem Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion. Beide Ämter gab er schließlich an Guido Westerwelle ab. 2013 kandidierte Gerhardt nicht mehr für den Bundestag, da war er längst Leiter der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.
Gerhardt pflegte einen eher nüchternen, gediegenen Stil – Show-Politik waren seine Sache nicht. Nach dem Verlust seiner Spitzenämter im politischen Tagesgeschäft der FDP verstand er sich als ein Vordenker des politischen Liberalismus in Deutschland.
„Mann der leisen Töne“
„Liberalismus war für ihn immer nicht nur ein parteipolitisches Programm, sondern vielmehr eine Haltung“, schrieb Djir-Sarai zu seinem Tod. Lindner erklärte: „Er war nie ein Machtpolitiker, sondern blieb auch in Spitzenpositionen ein belesener, feiner und großzügiger Mensch. In einer schwierigen Phase unserer Geschichte hat er die FDP zusammengehalten und wieder aufgerichtet.“
Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) würdigte den Gestorbenen als einen „herausragenden Politiker“. Der Freidemokrat sei „ein Mann der leisen Töne, dessen Rat sehr viele gerne gehört haben“. Gerhardt habe sich mit Leidenschaft und Hingabe für die Belange der Gesellschaft eingesetzt: „Er hat es verstanden, Brücken zu bauen und unterschiedliche Meinungen zusammenzuführen. Sein Einsatz für eine pluralistische Gesellschaft und ein besseres Deutschland wird uns fehlen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?