Ehec-Quarantänestation in Hamburger Klinik: "Den meisten wird nur etwas kalt"
In der Hamburger Asklepios Klinik Altona wird der Boden in der Quarantänestation fünf Mal am Tag gewischt. Hier liegen Patienten mit einer Ehec-Infektion.
Im Behandlungsraum sind die Vorhänge zugezogen. Die Patientin liegt regungslos im Bett und hat die Augen geschlossen. Es ist nur das Surren des Transfusionsapparats zu hören.
Zwei Apparate, die sonst zur Stammzellentransplantation bei Knochenmarkkrebs genutzt werden, musste das 766-Betten-Haus anfordern, damit alle 53 Ehec-Patienten ihre tägliche Therapie erhalten können. Langsam tröpfelt das dunkle Plasma in den Sammelbeutel, und helles, gesundes Plasma fließt zurück in den Körper der Patientin. Der Körper kann von den Toxinen nur befreit werden, indem er neues Plasma erhält.
Das ist anstrengend für die PatientInnen, auch wenn sie von dem Austausch selbst kaum etwas spüren. "Den meisten wird nur etwas kalt", meint Hauke Weilert, der in der Hamburger Asklepios Klinik Altona normalerweise auf der Krebsstation arbeitet und jetzt HUS-Therapien betreut. Obwohl das Blut über eine Wärmespule laufe, sei es immer noch kälter als die Körpertemperatur. Deshalb bekomme jeder eine zweite Decke, manche erhalten auch eine Wärmflasche. Seine Augen blicken freundlich über den Mundschutz, wenn er zum Bett am Fenster schaut, in dem sich weiter nichts regt.
Beim hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) bilden Bakterien im Darm Giftstoffe, die sich vor allem im Blutplasma ablagern und neurologische Funktionen sowie die Niere beeinträchtigen. Außerdem werden rote Blutkörperchen zerstört, was dann die dunkle Färbung verursacht. Deshalb auch der Name: "Hämolyse" bedeutet Auflösen der Blutkörperchen.
Wie die Patientin still daliegt, während ihr Körper kämpft, sind auch die Ärzte nach außen hin ruhig, während sie innerlich trotz Angespanntheit und Müdigkeit stets die Konzentration wahren müssen. Steht man auf dem Gang der Quarantänestation 11A, einer von insgesamt drei Ehec-Stationen, erscheint zunächst alles routinemäßig gelassen. Die Wände wirken nicht kalt und steril, sie sind in warmen Orangetönen gehalten. Die Schritte sind gedämpft, kein Patient verlässt das Zimmer.
Das Personal muss sich nach jeder Behandlung umziehen
Aber dann fällt doch auf, dass überall ein Schritt mehr passiert. "Die vielen Blutabnahmen und vor allem das häufige Umkleiden bedeuten über den Tag zusammengerechnet einen enormen zeitlichen Aufwand", meint Christine Neumann-Grutzeck, Fachärztin für Gastroenterologie.
Vor jedem Zimmer steht ein Wagen mit Desinfektionsmittel, Handschuhen und Schuhschützern aus grünem Papier. Die Ärzte huschen vor jedem Zimmerbesuch in die Umkleide, in der sie auch wieder verschwinden, wenn sie das Krankenzimmer verlassen haben. Denn aufgrund der Quarantänesituation muss sich das Personal jedes Mal umkleiden, bevor es ein Zimmer betritt, und das passiert oft, weil die PatientInnen unter kontinuierlicher Beobachtung stehen müssen.
Außerdem wird dann desinfiziert - wie bei jedem Stationseintritt, nach dem Zimmerbesuch, bei der Blutabnahme, nach Patientenkontakt oder dem Schütteln fremder Hände. Insgesamt 70- bis 80-mal pro Schicht. Das macht die Haut und die Pausenzeit kaputt: "Irgendwann fühlen Sie sich wie ein Fisch", sagt Sabine Rex, Pflegedirektorin der Asklepios Klinik Altona.
14-Stunden-Tage
Seit drei Wochen arbeiten die Ärzte und das Pflegepersonal um die 14 Stunden am Tag. Am Wochenende gibt es fünf Ärzte zusätzlich, Schichten werden mehrfach besetzt, wer Urlaub hatte, wurde in die Klinik bestellt oder steht in ständiger Rufbereitschaft. Aber die erhöhte Arbeitsbelastung betrifft nicht nur Ärzte und Pflegepersonal.
Die Klinikseelsorger müssen ebenfalls härter ran. Betroffene und Angehörige suchen Rat, können nicht damit umgehen, plötzlich von einer Epidemie betroffen zu sein. Oder sie wissen nach der Heilung nicht, wie es jetzt weitergeht und wie sie sich ernähren sollen.
Die Materialschränke sind schon lange aus dem Ärztezimmer der alten Notaufnahme verschwunden. Auf Paletten stapeln sich deshalb Kittel, Handschuhe und Mundschutze. Nachdem sich die Ehec-Fälle mehrten, aktivierte die Asklepios Klinik Altona den ungenutzten Bereich wieder und machte ihn zur Plasmapheresestation. "Aber das ging so schnell, da war der Aufwand, wieder alle Möbel aufzubauen, fehl am Platz", meint Sabine Rex.
Auf dem Tisch liegen belegte Brötchen aus, geziert von einer Scheibe Gurke und einer halben Erdbeere. Tomaten, Blattsalat oder anderes Gemüse sucht man vergebens. Das Essen wird in handlichen Portionen angeboten, essbar auf der Fahrstuhlfahrt nach oben in die Station 11a. Auf dem Gang der alten Notaufnahme reihen sich Putzwagen und Materialwagen aneinander, auf denen Medikamente für den Notfall, Handschuhe, Spritzen und Kalzium liegen.
Den Ärzten ist es zu Beginn schwergefallen, mit der neuen Situation umzugehen. Die meisten PatientInnen sind noch sehr jung, die Jüngste war erst 21 Jahre alt. Sie waren immer gesund und hatten Normalgewicht, keine Alkoholiker, Immungeschwächte oder sportfaule Couch-Potatoes. Ungefähr 61 Prozent der Infizierten sind Frauen, bei der schweren Verlaufsform des hämolytisch-urämischen Syndroms sind es ungefähr zwei Drittel.
Viele PatientInnen erzählen davon, wie bewusst sie sich ernährt hätten. "Das Personal erkennt sich in den Ehec-Patienten wieder", stellt Sabine Rex fest. Das erhöhe die psychische Belastung ungemein.
Die Reinigungskräfte wischen auf der Station fünf Mal am Tag
Niemand wusste, woher die plötzliche Epidemie kam und wie sie sich entwickeln würde. Aufklärung war nicht in Sicht. Allein das Krankheitsbild zeigte Veränderungen - es verschlechterte sich rapide. Die Lage erforderte hohe Aufmerksamkeit und ließ sich gleichzeitig zu keinem Zeitpunkt einschätzen.
Auch das gelbe Schild mit den schwarzen Schlieren und dem taumelnden Männchen, das sagen will: "Vorsicht, frisch gewischt!", hat auf den Ehec-Stationen kaum eine Pause. Hier müssen die Reinigungskräfte fünfmal am Tag wischen. "Was hier auf einmal alles an Müll anfällt, das bedeutet eine logistische Herausforderung", meint Sabine Rex. Auf dem Gang begegnen einem ständig Putzwagen oder Menschen mit Mülltüten, die voll mit Desinfektionstüchern, Handschuhen oder grünen Einwegkitteln sind.
Die Patienten dürfen davon nichts mitbekommen. "Ruhe ist der Kern der Organisation", sagt Rex. Denn aus Stress werde schnell Panik, und die sei für den geschwächten Patienten Gift. Für viele sei aber bereits die Verantwortung schwerwiegend, sich an die Ernährung der vergangenen Wochen zu erinnern. Herauszufinden, was sie gegessen haben, ist entscheidend für Fortschritte in der Ursachenforschung.
Gast im Kartoffelkeller
Helga Schulz wurde die Verantwortung des Erinnerns von den Medien abgenommen. Bei einem Ausflug mit der Landesfrauenvertretung des Deutschen Beamtenbundes war sie im Kartoffelkeller zu Gast, der Lübecker Kneipe, die in Verdacht stand, ein Ehec-Herd zu sein, weil gleich mehrere voneinander unabhängige Gäste später infiziert waren. Die Stuhltests beim Personal des Kartoffelkellers waren allerdings negativ. Frau Schulze liegt trotzdem in der Klinik. Eine ihrer Kolleginnen ist bereits gestorben, um eine andere macht sie sich noch Sorgen.
Am Hals von Frau Schulz hängen noch die Schlauchenden für die Plasmatherapie, 25 Zentimeter lang und mit weißem Mull umwickelt. Seit dem 26. Mai liegt sie nun schon auf der Station. In der Notaufnahme des Albertinums schickte man sie zunächst nach Hause. Erst wenn die Symptome drei Tage anhalten, werden die Kranken aufgenommen. "Ich wurde dann hierher verlegt und war plötzlich in Quarantäne", erinnert sie sich. Sie habe gar keine Zeit gehabt, ihren Bekanntenkreis zu informieren.
Der musste erst die Nummer ihres Sohnes ermitteln, als tagelang nichts von der 71-Jährigen zu hören war. Mittlerweile hat sich ihr Zustand entspannt. Doch als der blutige Durchfall einsetzte, sei der Schock groß gewesen.
"Ich dachte, jetzt muss ich sterben, sofort", sagt Schulz. "Dann kam ich in die Klinik und wurde mit den Worten: ,Willkommen im Club, sie sind heute die Vierte', begrüßt." Zu wissen, dass sie nicht allein sei, habe sie beruhigt. Sie ist zuversichtlich: "Irgendwann darf ich hier wieder raus."
Bisher gab es in der Asklepios Klinik Altona noch keinen Ehec-bedingten Todesfall. Bei einem Drittel der PatientInnen gebe es zwar laut dem Ärztlichen Direktor Friedrich Hagenmüller einen "erschreckend starken Verlauf", der Großteil werde aber wieder gesund und könne oft schon nach wenigen Tagen die Klinik verlassen. Insgesamt waren das schon um die 90 Patienten. Hagenmüller meint: "Der Gipfel ist überschritten." Die Zahl der Verdachtsfälle ist noch konstant, aber der Anteil positiver Stuhlproben nimmt ab.
Solange sich weiterhin Menschen infizieren, werden die Lichter in der alten Notaufnahme weiterbrennen. Und bis klar ist, wo die Epidemie ihren Ursprung nahm und wie man sie präventiv bekämpfen kann, wird die Asklepios Klinik Altona weiter palettenweise Kittel, Handschuhe und Mundschutz ordern.
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