: Echte Teena
Hilary Swank überzeugte die Oscar-Jury durch ihr radikales Method-Acting. Für die Rolle passte sie selbst ihr Alter dem Alter Ego an
Die Reden waren bei dieser Oscar-Verleihung fast alle zu lang. Newcomerin Hilary Swank aber nahm sich auch noch die Freiheit, alle, bei denen sie sich bedankte, von einem nicht enden wollenden Zettel abzulesen. Ob Gott auch draufstand?
Mit ihrem dekolletierten Seidenkleid und der Staraufmachung war Swank in der Oscar-Nacht kaum mehr mit ihrer Rolle in Kimberley Pierce’ Film „Boys don’t cry“ in Verbindung zu bringen, für die sie die Auszeichnung als Beste Darstellerin erhielt. Da spielt sie mit wiegendem Jungsschritt, eingeschnürter Brust und ausgestopfter Unterhose die Transsexuelle Teena Brandon. Unter dem Namen Brandon Teena versucht sie, in der amerikanischen Provinz ein Leben als Mann zu führen und wird für diesen „Frevel“ vergewaltigt und erschossen.
Allein schon Swanks Nominierung für „Boy’s don’t cry“ bedeutete frischen bzw. zeitkritischen Wind für die Oscar-Veranstaltung, die sich bisher nicht gerade um schonungslos gesellschaftskritische Themen gerissen hat. Zumal der Film auf einem authentischen Fall beruht: Die echte Teena Brandon wurde 1993 von zwei ehemaligen jungen Sträflingen umgebracht – aus Gerichtsprotokollen, Zeugenaussagen und Interviews rekonstruierte Regisseurin Pierce ihre Geschichte.
Sie brauchte insgesamt vier Jahre, um eine geeignete Hauptdarstellerin zu finden, wobei Hilary Swank, die bisher in der Teenager-Serie „Beverly Hills 90210“ gespielt hatte, dem Casting mit kleinen Lügen nachhalf. Zunächst verjüngte sie sich von 25 auf 21 Jahre und behauptete, wie die echte Teena Brandon aus Nebraska zu stammen.
Zur Vorbereitung auf die Rolle unterzog sie sich einer Hardcore-Variante des Method-Acting: Swank schnitt sich die Haaare ab, trug nur noch Männerkleidung und lebte auch in der Öffentlichkeit als Mann. Sie besuchte Schwulenbars, um die Überzeugungskraft einer Maskerade zu testen, die für die echte Teena existenzielle Dimension hatte. Auch ihre Stimme rutschte um einige Tonlagen in die Tiefe. Im Film erliegen die Mädchen reihenweise dem entwaffnenden Charme ihrer knabenhaften Brandon-Figur. Spätestens seit dem Gewinn des Golden Globe war klar, dass sie sich auch ernsthafte Chancen auf den Oscar ausrechnen konnte .
In den USA wurde die ermordete Teena Brandon zu einer Ikone und zu einer Märtyrerin der Transsexuellen. Dass Hilary Swank am Ende ihrer Oscar-Rede ausdrücklich an sie erinnerte, war eine schöne und irgendwie bewegende Geste.
KATJA NICODEMUS
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