Ebony Bones über Feminismus: „Stimmen, die wir nicht hören wollen“
Ein Gespräch mit der britischen Musikerin Ebony Bones über subtile Formen der Zensur, ihre Punksozialisation und Frauen im Produzentensessel.
taz am wochenende: Ebony Bones, bei Ihrer letzten Veröffentlichung haben Sie die Ursprünge von moderner Dance Music im Diskosound der Siebziger erforscht. Auf Ihrem neuen Album gibt es nun viele Elemente von Clubmusik wie House, Dubstep, und Footwork, aber kombiniert mit klassischer Musik. Haben Sie Ihren Ansatz weitergedacht?
Ebony Bones: Ich möchte mich immer wieder herausfordern und nie zwei Mal das gleiche machen. Insofern ist das Album eher eine Abkehr von der EP. Ich versuche klassische Musik anders zu denken, als man sie kennt. Auf meinem Album sind elektronische Beats über einem Orchester platziert, ich bringe klassische Musik in die Clubs. Ich finde, diese Gegenüberstellung ist etwas Einzigartiges.
Dazu haben Sie mit zwei großen Orchestern zusammen gearbeitet: dem Beijing Philharmonic Orchestra und dem Symphony Orchestra of India.
Klassische Musik ist eigentlich ein elitäres Genre. Sie wird meistens für, über und von weißen Männern gemacht. Ich denke, meine Auseinandersetzung damit hat etwas mit meinem Punk-Background zu tun: Ich will gewohnte Perspektiven und Wahrnehmungsmuster in Frage stellen.
Wie lief die Zusammenarbeit mit den beiden Orchestern?
Alles fing damit an, dass mich das Beijing Philharmonic Orchestra eingeladen hat. Sie hatten meine Arbeit für Yoko Ono gehört, woraufhin ich ihnen einige Partituren von mir geschickt habe. Ich hatte großen Respekt und anfangs auch etwas Angst, weil ich nicht wusste, wie wir uns verständigen können. Wir hatten zwar einen Übersetzer – und das Tolle war: Wir haben mehr über die Musik kommuniziert.
Die Künstlerin: Ebony Bones wurde als Ebony Thomas 1981 in Brixton geboren. Ihr Vater kommt aus der Karibik. Sie war bereits als Schauspielerin erfolgreich, als sie von Rat Scabies, Drummer der Punk-Band The Damned, ihren Künstlerinnennamen Ebony Bones verpasst bekam.
Die Musik: Bones‘ Background liegt im Punk, von dem sie den DiY-Ethos entliehen hat. Sie schreibt, komponiert und produziert Dance-Punk, Clubmusik und Pop und führt auch ihre eigenes Label 1984 Records. 2015 erschien zuletzt eine EP („Milk And Honey Part 1“).
Das Album: Seit Freitag ist „Nephilim“ (1984/Tunecore), Bones‘ drittes Album, erhältlich. Es verbindet einen Klassikscore für Orchester mit Clubbeats zwischen Dubstep, Footwork und House. Neben dem Beijing Philharmonic Orchestra und dem Symphony Orchestra of India ist auch eine prominent besetzte Bläsersektion zu hören, u. a. mit Lonnie Youngblood (Jimi Hendrix, James Brown).
Sie sind in London geboren, leben allerdings schon seit Jahren an vielen Orten der Welt. Sind Sie mittlerweile sesshaft geworden?
Absolut nicht. Nach dem Brexit-Referendum und der Trump-Wahl wollte ich zum grassierenden Nationalismus in Großbritannien und den USA Abstand bekommen. Darum bin ich nach Tokio gegangen, um das Album zu komponieren. So konnte ich viel besser reflektieren, was zu Hause passiert. Obwohl ich sagen muss, dass ich mich im Vereinigten Königreich nie wirklich zu Hause gefühlt habe.
Ihr Album ist nach der biblischen Figur der Nephilim benannt. Wie schlägt sich das in der Musik nieder?
„Nephilim“ behandelt verschiedene Formen von Zensur. Von der sehr offensichtlichen in China, bis hin zu den eher subtileren Formen, die wir im Westen beobachten können: Sie bestehen darin, dass wir Stimmen, die wir nicht hören wollen, keine Aufmerksamkeit schenken. Das hat mich dann zu bestimmten Büchern der Bibel geführt. Menschen treffen auf Basis der Bibel Entscheidungen, dabei gibt es so viel, was daraus nicht bekannt ist – eins dieser Bücher beinhaltet die Nephilim.
In Ihrem Song „No Black In The Union Jack“ samplen Sie die „Rivers Of Blood“-Rede, die der britische Rechtsradikale Enoch Powell vor ziemlich genau 50 Jahren gehalten hat. Was hat es damit auf sich?
Die Rede wurde verbannt, weil es sich um Hassrede handelt. Darum habe ich darüber nie etwas in der Schule gelernt, eigentlich nie von Powell und seiner National Front gehört. Anstatt sich mit jemandem auseinander zu setzen, mit dem wir nicht einverstanden sind, wurde Powell einfach unter den Teppich gekehrt. Aber diese Ansichten verschwinden nicht einfach, sie treten wieder an die Oberfläche – oft auf sehr negative Weise.
In dem Song skandieren Sie lauthals „Send Them Back“. Haben Sie nicht Angst, dass das falsch verstanden werden könnte?
Bei dieser Rede handelt es sich um eine der rassistischsten Äußerungen, die je in Großbritannien getätigt worden sind. Powell vergleicht die Stellung, die People Of Colour 20 Jahre später haben würden, mit Sklaverei – aber andersherum: Er meint, die Schwarzen werden die Sklavenhalter sein. Und deswegen wurde die Rede verbannt. Aber ich finde es wichtig, darüber zu sprechen, weil dahinter dieselben Ansichten stehen, die nun zum Brexit geführt haben. Viele Leave-Wähler sind von diesem Menschen inspiriert. Und ich denke, genau das passiert heute in vielen Ländern Europas. In Großbritannien ist es auch darum interessant, weil wir eine besondere Kolonialismusvergangenheit haben – und dennoch wurde entschieden, wir möchten weder ImmigrantInnen bei uns haben, noch Teil von Europa sein. Mein Album wirft genau diese Fragen auf, wo wir in der Gesellschaft stehen.
Ihr Song „Police And Thieves“ stammt ursprünglich von dem jamaikanischen Sänger Junior Murvin, wurde aber auch von The Clash gecovert. Können Sie sich erinnern, wann Sie ihn zuerst gehört haben?
Ja! Der Song ist eine karibische Hymne. Mein Vater hatte einen Plattenstand am Flohmarkt in Brixton und meine Kindheit war davon geprägt, mich durch die Plattenkisten zu wühlen. Diesen Song habe ich oft gespielt. Aber die Clash-Version ist genauso gut.
Sie lassen ihn dubbiger als das Original erklingen und von einem Kinderchor singen: „Police and thieves in the streets / Scaring the nation with their guns and ammunition“.
Songs bekommen oft eine ganz andere Wirkung, wenn sie von Kindern gesungen werden. Gerade in diesem Fall: Das Stück ist sehr düster und geisterhaft. Wenn man bedenkt, was momentan gerade in den USA passiert, finde ich, dass diese Zeilen von Kindern gesungen ein kraftvolles Statement sind.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Sie haben auch dieses Album wieder komplett eigenständig produziert. Wieso ist Ihnen gerade das wichtig?
Erstens, weil ich als Produzentin angefangen habe. Zweitens gibt es mit weniger als fünf Prozent viel zu wenig Frauen im Produzentensessel und als Toningenieurinnen. Das heißt, die Leute, die entscheiden, was wir hören, repräsentieren nicht unbedingt diejenigen, die Musik hören und kaufen. Das ist ein Problem!
Oft arbeiten Künstlerinnen mit männlichen Produzenten. Am Ende reden dann alle über die Arbeit des Produzenten, nicht über die, die künstlerische Arbeit geleistet hat.
Das stimmt, man konzentriert sich zu wenig auf die Künstlerin. Das liegt aber auch daran, dass die Arbeit von Produzenten so essentiell ist: Sie sind die Architekten des Sounds und treffen am Ende die Entscheidungen. Deswegen ist es gerade so wichtig, dass auch in diesem Bereich Frauen mehr Chancen bekommen. Sie müssen die Kontrolle über den Sound erlangen, die momentan noch bei Männern liegt. Wir haben keinen Mangel an Künstlerinnen, sondern an Produzentinnen. Ich bin sicher, dass sich das ändert: langsam, aber sicher.
Feminismus ist zuletzt massentauglicher geworden, gleichzeitig gibt es eine sehr antifeministische Regierung in einem der mächtigsten Staaten der Welt. Geht diese Massentauglichkeit des Feminismus in die richtige Richtung?
Feminismus ist tatsächlich ein Schlagwort geworden. Aber man kann die wahren Intentionen von Menschen immer durch ihr Handeln beurteilen. Es gibt Frauen, die sich Feministinnen nennen und dennoch eine sehr patriarchale Regierung unterstützen. Ich denke, das ist ein Indikator dafür, wie weit Feminismus vorangeschritten ist: In den USA hatten Frauen die Möglichkeit, das erste Mal eine Frau zur Präsidentin zu wählen, und viele haben sich dagegen entschieden. Ich bin nicht sicher, ob alle, die sich Feministinnen nennen, die gleiche Definition von Feminismus haben. Für mich geht es darum, als Frau andere Frauen zu unterstützen. Letztendlich bedeutet Feminismus einfach nur Gleichberechtigung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken