Eastside Inside: Juden können doch einfach wegbleiben
■ Werder-Fans wollen nicht als Nazis gelten – Politik gehöre nicht ins Stadion
Alle rechtsradikal? Diesen Vorwurf wollen die meisten Werder-Fans nicht auf sich sitzen lassen. Ein Jahr nachdem Profi Marco Bode eine Debatte über die Zunahme rassistischer Äußerungen im Stadion angestoßen hatte, trafen sich rund 60 Fans verschiedener Couleur im Ostkurvensaal – zunächst unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Zu groß war die Sorge, den Job zu verlieren oder in der Hooligan-Kartei der Polizei zu landen und künftig zu internationalen Spielen mit Ausreiseverbot belegt zu werden.
Als die Presse zur zweiten Gesprächsrunde zugelassen wurde, verließ ein Drittel des Publikums den Saal. Von den Übrigen setzte es zuerst einmal kräftig Presseschelte: Die Medien würden sich immer nur die rassistischen Parolen rauspicken und alle Fans pauschal verantwortlich machen. Dabei seien solche Vorkommnisse im Weserstadion vergleichsweise selten. Einmal im Jahr allerdings, das bestreitet niemand, sind sie garantiert: wenn der Erzrivale HSV kommt. „Schwarz-weiß-blau – Juden-HSV“, tönt es dann aus der Ostkurve.
Eine Parole, an der sich die Geister scheiden: Mancher will sie „nur als Beleidigung“ verstanden wissen, „aber doch nicht für die Juden, sondern für den HSV“. Ein Fan versucht den rassistischen Gehalt ganz einfach zu erklären: „Wie fühlt sich wohl ein jüdischer Werder-Fan dabei?“ „Gibt es nicht“, tönt es aus Reihen der Jüngeren. „Ach so, wir sind wohl ein judenfreier Club“, gibt der Frager kopfschüttelnd zurück. Später versucht er es noch einmal, sagt, dass judenfeindliche Sprüche eindeutig rechtsradikal belegt seien durch das Leid, das den Juden im Nationalsozialismus zugefügt wurde – Johlen auf den hinteren Plätzen. Vertreter der Bremer „Ultra“-Gruppe „Eastside“ distanzieren sich mehrheitlich von dem Spruch – aber dagegen einschreiten wollen sie nicht. „Politik gehört nicht ins Stadion“, sagt einer. Sein Kumpel „Adler“ findet, das müsse jeder für sich wissen. Ihn stört der Juden-Spruch, aber „die Juden“ könnten sich ja selbst beschweren oder eben aus dem Stadion wegbleiben.
Eine Haltung, über die sich Andi ärgert. Als einziger „linker“ Fan auf dem Podium wurde er extra aus St. Pauli eingeladen. Er findet, die älteren Fans hätten Verantwortung für die Kids und müssten ihnen auch Grenzen aufzeigen.
Einigkeit ist an diesem Abend nicht zu erzielen. Zumindest wurde eine Diskussion begonnen. Die Organisatoren vom Fanprojekt und dem „Verein zu Förderung der akzeptierenden Jugendarbeit“ (VAJA) – sind dennoch zufrieden: „Wir wollten erstmal ein Forum schaffen“, sagen sie unisono.
jank
Einen zensierten Videomitschnitt der Diskussion sendet der Offene Kanal am 29. Juni um 18 Uhr.
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