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EUROPA NIMMT DIE VEREINTEN NATIONEN – NOCH – NICHT WICHTIG GENUGEs geht nicht nur um Bosnien

Alles spricht dafür, dass die Legislaturperiode in außenpolitischer Hinsicht so endet, wie sie angefangen hat: mit einem Bundestagsbeschluss, der die UNO zu einem netten, aber verzichtbaren Instrument für politische Schönwetterperioden herabwürdigt. Vor vier Jahren hatte das Parlament die deutsche Beteiligung am Angriffskrieg auf Jugoslawien im Interesse der Menschenrechte für notwendig erklärt. Natürlich bekam dieser Einsatz kein UNO-Mandat. Das ist bei Angriffskriegen so üblich, und angesichts der einschlägigen Bestimmungen des Völkerrechts unvermeidlich. Zur Klarstellung: Auch die Bombardierung von afghanischen Hochzeitsgesellschaften erfolgt – entgegen anders lautenden Vermutungen – keineswegs im Auftrag der Vereinten Nationen.

Nun wird vermutlich in wenigen Tagen der Bundestag auf einer Sondersitzung beschließen, die Legitimität der Militäroperation in Bosnien von einem UN-Mandat abzukoppeln. Es sei denn, im Streit über die Vollmachten des Internationalen Strafgerichtshofes wird in letzter Minute doch noch eine Einigung zwischen den USA und weiten Teilen der restlichen Welt erzielt. Damit ist nicht zu rechnen. Zwischen Luftangriffen und Friedensmissionen gibt es allerdings einen erheblichen Unterschied. Nur Zyniker können derzeit einen Abzug der internationalen Truppen aus Bosnien ernsthaft erwägen. Mögen die Umstände, die zu einem Blauhelmeinsatz geführt haben, noch so angreifbar sein: Von einem bestimmten Zeitpunkt an bedeutet eine Entscheidung für dessen Abbruch fast immer auch eine Entscheidung dafür, den neuerlichen Ausbruch blutiger Auseinandersetzungen tatenlos hinzunehmen. Das wäre der Fall auf Zypern, das war der Fall in Ruanda.

Niemand wünscht, dass in Bosnien wieder ein Krieg entflammt. Auch nicht oder: nicht einmal die USA. Sie wollen ihre Truppen aus der Region ja auch gar nicht abziehen. Sie möchten dort nur gerne aus eigener Machtvollkommenheit bleiben und nicht an einen Auftrag der Vereinten Nationen gebunden sein. Es ist übrigens nicht ganz so neu, wie in diesen Tagen gelegentlich behauptet wird, dass die Vereinigten Staaten der UN ihren Willen aufzwingen. Immerhin hat Washington ziemlich häufig eine Verurteilung Israels durch den Sicherheitsrat verhindert. Der Unterschied zur gegenwärtigen Situation besteht lediglich darin, dass im Blick auf den Nahen Osten zwischen dem jeweiligen Gegenstand der Auseinandersetzung und der US-Entscheidung ein unmittelbarer Zusammenhang bestand. Das gilt nicht für die Bosnien-Kontroverse.

Derzeit erpresst Washington – um ein gängiges Bild zu wählen – den Anbau von Birnen mit der Drohung, andernfalls keine Äpfel mehr kaufen zu wollen. Manche US-Kritiker hoffen, diese offenkundige Absurdität müsse zu der Erkenntnis führen, dass sich auch eine alleinige Weltmacht nicht alle Kapriolen leisten dürfe. Wie kommen sie darauf? Die USA befinden sich gegenwärtig, sosehr Europa das beklagen mag, in einer Win-Win-Situation. Gelingt es ihnen, die Arbeitsbedingungen des Internationalen Strafgerichtshofs ohne eigenen Beitritt ihrem Diktat zu unterwerfen, dann wird sich die Praxis des Völkerrechts künftig grundsätzlich jedem Verdikt aus Washington zu beugen haben. Wird hingegen die Legitimität internationaler Militäroperationen demnächst endgültig vom Spruch der Vereinten Nationen gelöst, dann ist die UNO bedeutungslos. Die Bush-Regierung mag beides für gleichermaßen erfreulich halten.

Es ist eben nicht so, dass Cowboy George derzeit wieder einmal über die Prärie galoppiert und dabei achtlos viele schöne Pflanzen zertritt. Vielmehr reitet er, metaphorisch gesprochen, ganz sorgfältig über das Gelände und vernichtet dabei vieles, was er und seine Mitstreiter für Unkraut halten. Die internationale Rechtsordnung und den völkerrechtlichen Primat der UNO beispielsweise. Wer dem entgegenwirken will, darf nicht bei dem – durchaus ehrenwerten – Versuch stehen bleiben, eine pragmatische, gerade noch verfassungsgemäße Lösung für eine Fortsetzung der Bosnien-Mission zu finden. Stattdessen muss endlich eine UNO-Reform in Angriff genommen werden, die dem Prinzip der Einstimmigkeit im Sicherheitsrat ein Ende bereitet. Ein – vorübergehender – Verzicht auf ein Mandat der Vereinten Nationen ist nur dann hinnehmbar, wenn wenigstens Europa sich auf vergleichbar glaubwürdige Weise um eine Neuordnung der UNO wie um eine Neudefinition der Nato bemüht. Bisher kann davon nicht die Rede sein. BETTINA GAUS

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