EU will Entwaldung stoppen: Keine Entwarnung für Entwaldung

Der EU-Umweltministerrat berät über die entwaldungsfreie Lieferkette. Das Parlament entscheidet im Herbst über den Vorschlag.

Ein Feld, das in eine Waldfläche hineinragt

Rodungen für den Sojabohnenanbau: Blick auf den Brasilianischen Regenwald bei Mato Grosso Foto: Paulo Whitaker/reuters

Worte für den Natur- und Klimaschutz findet Umweltministerin Steffi Lemke auf jede Frage. So kamen ihr die anstehenden Beschlüsse über die entwaldungsfreien Lieferketten im EU-Umweltministerrat zupass, um vom strittigen Thema Verbrennermotor abzulenken. Anstatt vor der Sitzung der EU-Umweltminister:innen in Luxemburg über das politisch heiße Thema des Tages zu sprechen, hob Lemke das ebenfalls auf der Tagesordnung stehende Dossier für entwaldungsfreie Lieferketten hervor.

Inhaltlich bietet es ebenso viel Sprengstoff wie das Aus für den Verbrenner, wird jedoch öffentlich kaum diskutiert. Die EU-Umweltminister:innen im Rat wollten dafür sorgen, sagte Lemke in laufende Kameras, „dass keine Produkte mehr in der EU gehandelt werden, die einen Beitrag zur Entwaldung und damit zur Schädigung des Klimas leisten“.

Das hört sich gut an, und Lemke sowie Land- und Forstwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) haben sich seit Monaten für den Waldschutz in der EU eingesetzt. Aber die EU-Politik lebt von Kompromissen und der Vorschlag auf dem Tisch der EU-Umweltminister:innen hält das Versprechen einer entwaldungsfreien Lieferkette nicht ein.

Es beginnt bei der Definition von „Walddegradation“, der Schädigung von Wäldern. Im gestern verabschiedeten Vorschlag steht, dass nur die Umwandlung von Primärwäldern in Plantagen geahndet werden soll. Damit fallen 98 Prozent der europäischen Wälder nicht unter die geplante Richtlinie. Dafür haben die Forstnationen Schweden, Finnland, Tschechien und andere osteuropäische EU-Mitglieder gesorgt, die sich nicht in ihre Waldpolitik reinreden lassen wollen. Den Amazonas zu schützen ist das eine, aber die geplante EU-Entwaldungsrichtlinie soll auch für Europa gelten. Sie betrifft daher nicht nur Agrarprodukte wie Soja oder Kakao, sondern auch die Forstwirtschaft und Papierproduktion in Europa.

Der Vorschlag auf dem Tisch der EU-Umweltminister:innen schützt zudem große Teile der tropischen Wälder nicht. Denn auch in Südamerika oder Asien stammen nicht alle für die Agrarproduktion gefällten Bäume aus primären Urwäldern. „Es gibt gepflanzte Wälder mit hoher biologischer Vielfalt“, sagte Anke Schulmeister-Oldenhove, Waldexpertin des WWF, die Schlupflöcher in der Verordnung sieht, denn die EU-Staaten sollen nur fünf Prozent der importierten Agrarprodukte aus Hochrisikoländern kontrollieren. Welche Länder dazu zählen, soll erst später beschlossen werden.

Und nicht nur Wälder kommen unter den Acker, die Agrarindustrie wandelt auch andere Ökosysteme wie Savannen, Mangroven oder Feuchtgebiete in bewirtschaftete Flächen um. Gebiete wie der brasilianische Cerrado, die nordamerikanischen Prärielandschaften oder Moore in Indonesien tauchen in dem Vorschlag nicht auf, wie umweltpolitisch gefordert. Auch diese Hotspots der Artenvielfalt müssten von der EU-Entwaldungsrichtlinie geschützt werden, denn diese Ökosysteme speichern große Mengen an Kohlenstoff im Boden und sind natürliche Helfer in der Klimakrise. Doch das Thema Moore, Steppen und andere Ökosysteme haben die EU-Staaten unter französischer Ratspräsidentschaft seit Januar 2022 vom Tisch gefegt.

„Einen Meilenstein der EU-Kommission hat der Rat geöffnet“, sagte Schulmeister-Oldenhove, und auch wenn das sprachliche Bild wackelt, wird klar, was sie beobachtet hat. Die EU-Umweltminister:innen vieler Mitgliedsstaaten haben an der ‚entwaldungsfreien‘ Lieferkette gesägt. Die EU-Kommission hatte im November 2021 vorgeschlagen, dass weder Soja noch Kakao, Kaffee, Palmöl oder Rindfleisch von zuvor entwaldeten Flächen in die EU importiert werden darf. Produzenten und Händlerinnen sollten nachweisen, dass kein Baum für die Agrarwirtschaft gefallen ist.

Doch dann übernahm Frankreich die Ratspräsidentschaft und wollte unbedingt bis Ende Juni ein Ergebnis erzeugen. Die EU-Länder begannen die Vorschläge abzuräumen. Deutschland soll laut politischen Be­ob­ach­te­r:in­nen sich noch am stärksten für den Schutz der Wälder eingesetzt haben. Doch vom Ansetzen der Motorkettensäge im dichten Wald bis zur Kontrolle der Importeure von Agrarprodukten in den EU-Staaten wird der vorliegende Entwurf die Wälder weltweit kaum schützen.

Waldexpertin Schulmeister-Oldenhove setzt auf das EU-Parlament, das den gestern gefassten Beschluss der EU-Umweltminister:innen im September verhandelt. „Noch ist nichts verloren“, sagte sie. Den finalen Text zimmern Kommission, Rat und Parlament danach zusammen. „Der viertgrößte Treiber der Entwaldung sind Holzplantagen“, sagt Susanne Winter vom WWF. Holz gehöre deswegen mit in die EU-Verordnung.

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