EU und Brexit: Brüssel stellt sich quer
Die Angebote der britischen Regierungschefin Theresa May reichen der EU nicht. Das könnte die Verhandlungen erneut weiter verzögern.
Statt um die Kernprobleme beim Brexit – die Rechte der EU-Bürger, die Kosten für die Scheidung und die künftige Grenze in Nordirland – sollte es dann um die Zukunft der Beziehungen zwischen Großbritannien und der Rest-EU gehen. Doch nun stellt sich das Europaparlament quer.
Die zweite Phase solle aufgeschoben werden, forderte eine breite Mehrheit der Abgeordneten am Dienstag in Straßburg. Noch seien „keine ausreichenden Fortschritte“ erzielt worden, heißt es in einer Resolution, die 557 von 678 Parlamentariern billigten.
Die Resolution ist zwar nicht bindend, der EU-Gipfel könnte immer noch anders entscheiden. Das Europaparlament muss einem Austrittsabkommen jedoch am Ende zustimmen. Es wäre also unklug, die Meinung der Abgeordneten zu übergehen.
Keine neuen Angebote
Die Mehrheit zeigte sich mit den Angeboten der britischen Premierministerin Theresa May unzufrieden. May hatte vor zehn Tagen in Florenz eine Grundsatzrede zum Brexit gehalten. Dabei hatte sie allerdings vor allem über die Zeit nach dem EU-Austritt gesprochen und keine konkreten neuen Angebote gemacht.
Sie bekannte sich zwar erstmals zu Zahlungen an die EU. Kein Mitgliedsland solle wegen des Brexits mehr zahlen müssen, sagte die Tory-Politikerin. Außerdem schlug sie eine zweijährige Übergangsphase nach dem Austritt im März 2019 vor. Er soll vor allem der Wirtschaft zugute kommen.
Doch den EU-Parlamentariern reicht das nicht. „Es gibt keine Chance, in die zweite Phase der Verhandlungen einzutreten“, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei Manfred Weber (CSU). May und ihre Regierung müssten in allen drei Kernbereichen nachbessern.
Der Fraktionschef der Liberalen und Brexit-Beauftragte des Parlaments, Guy Verhofstadt, beklagte „Uneinigkeit“ in der britischen Regierung. Vor allem zwischen May und ihrem Außenminister Boris Johnson gebe es unübersehbare Differenzen.
„Lösegeld zahlen“
„Die EU behandelt uns wie eine Geisel“, hielt dem Nigel Farage, einer der Wortführer der Brexit-Kampagne, entgegen. „Nur wenn wir ein Lösegeld zahlen und ihre Wünsche auch erfüllen, dürfen wir über die nächste Phase sprechen“, kritisierte der ehemalige Anführer der EU-feindlichen Ukip-Partei.
Die Briten sind vor allem an Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen interessiert. Es soll ihnen Zugang zum EU-Binnenmarkt ermöglichen und so das Überleben der britischen Wirtschaft sichern. May hat zudem eine „Sicherheits-Partnerschaft“ angeboten.
Doch EU-Verhandlungsführer Michel Barnier weigert sich, über diese Themen zu reden, wenn nicht zuvor die EU-Agenda abgearbeitet wurde. „Wir haben heute noch keinen ausreichenden Fortschritt erreicht, um mit Zuversicht die zweite Phase der Verhandlungen einzuleiten“, betonte der Franzose.
Allerdings hat auch Barnier bisher wenig getan, um die Gespräche voranzubringen. Er legte zwar diverse Positionspapiere vor. Ein Dokument beschreibt etwa, wie Scheidungskosten berechnet werden können. Doch ein konkretes Angebot geht daraus nicht hervor.
Genaue Zahlen gibt es nicht
Bisher kursieren in Brüssel lediglich Schätzungen, wonach Großbritannien der EU 60 bis 100 Milliarden Euro schulde. May hat demgegenüber nur Forderungen in Höhe von rund 20 Milliarden Euro anerkannt. Genaue Zahlen hat, soweit bekannt, bisher keine Seite vorgelegt.
Wie es nun trotz der Verzögerung weitergehen soll, ist unklar. Am 9. Oktober beginnt die nächste, die fünfte Verhandlungsrunde. Danach dürfte auch der EU-Gipfel feststellen, dass Großbritannien seine Hausaufgaben nicht gemacht hat.
Ein weiterer Aufschub fällt jedoch auch auf die EU zurück. Denn je später die zweite Verhandlungsphase beginnt, desto größer wird auch das Risiko, dass man nicht rechtzeitig fertig wird. Am Ende könnte dann ein ungeordneter Brexit stehen – ohne Einigung und ohne klare Regeln.
Das wäre jedoch für beide Seiten der Super-GAU. Die Briten würden den Zugang zum Binnenmarkt verlieren. Und die EU-Bürger, die noch in Großbritannien leben, stünden ohne einklagbare Rechte da.
An diesem „No Deal“-Szenario könne niemand ein Interesse haben, hieß es bisher in Brüssel. Doch nach dem Votum im Europaparlament ist es nicht mehr völlig auszuschließen.
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