EU entscheidet wirtschaftsfreundlich: Kein Werbeverbot im Kinderprogramm
In Schweden darf sich Fernsehwerbung nicht an Konsumenten unter zwölf Jahren richten. Die EU will das ändern. Ein Rechtsstreit ist programmiert.
STOCKHOLM taz Bei der Wahl zwischen dem Schutz von Kindern vor penetranter TV-Reklame und den Interessen der Süßwaren- und Spielzeugindustrie, ihre Produkte zielgerecht zu präsentieren, hat sich die EU gegen die Kinder entschieden. Und droht nun damit, Schweden vor den EU-Gerichtshof zu bringen, weil Stockholm an seinem Verbot der TV-Werbung für Kinder unter zwölf Jahren festhalten will.
Mit der Weigerung, auch die Jüngsten der Reklameflut auszusetzen, verstoße das Land gegen eine EU-Direktive, welche diese Art von Werbung erlaube, meint Giuseppe Abbamonte, zuständiger Abteilungsleiter der Generaldirektion für Gesundheit und Verbraucherschutz der EU-Kommission. Den Interessen der Kinder Vorrang vor kommerziellen Interessen zu geben, bezeichnete Abbamonte gegenüber der Tageszeitung Göteborgs Posten als "schwedische Arroganz".
Doch die ansonsten durchaus wirtschaftsfreundlich gesonnene konservativ-liberale Regierungskoalition in Stockholm ist entschlossen, es bei dieser Frage auf einen Konflikt mit der EU ankommen zu lassen. "Für uns ist es wichtig, die Kinder zu schützen", erklärte Verbraucherministerin Nyamko Sabuni: "Keine andere Gruppe hat es ähnlich schwer, sich gegen diese subtilen Lockungen zu verteidigen." Schweden will sich in diesem Kampf mit Dänemark zusammentun, wo ein ähnliches Verbot gilt. Und wo eine ebenfalls konservativ-liberale Regierung dies gleichermaßen gegenüber Brüssel verteidigen will.
Dass die EU ausgerechnet mit dem formalen Argument der europaweiten Vereinheitlichung des Verbraucherschutzes nun von einigen Mitgliedsländern verlangt, den dort seit Jahrzehnten bestehenden Schutz im Kinderfernsehprogramm aufzuheben, kritisiert die schwedische Verbraucherministerin: "Wir sehen Kinder nicht als Konsumenten an. Werbung kann sich gerne an Erwachsene wenden. Es reicht schon, dass Kinder bereits jetzt von Reklame überschwemmt werden. Da wollen wir wenigstens den Schutz beibehalten, den wir noch haben."
Man habe in Stockholm durchaus Verständnis für das Bemühen der EU, die Gesetzgebung beim Verbraucherschutz zu harmonisieren. Das sei prinzipiell notwendig und wichtig. Es bedeute aber nicht zwingend, dass einzelnen Mitgliedsländern nicht Ausnahmen zugestanden werden könnten - beispielsweise eine Gesetzgebung, die den Gesundheitsschutz verstärke. Beim Alkohol sei Stockholm von Brüssel ein entsprechendes Recht ja auch zugestanden worden.
Auf die Äußerung von Giuseppe Abbamonte - "Hier gibt es gar nichts zu mehr verhandeln mit Schweden" - reagiert Verbraucherministerin Sabuni gelassen: Dann könne die Kommission gerne Schweden und Dänemark vor dem Gerichtshof verklagen. Man rechne sich im Falle eines Rechtsstreits gute Chancen aus. Komme das Thema damit nochmals auf die europäische Tagesordnung - und würden vor allem Eltern wieder einmal verstärkt darauf aufmerksam gemacht werden -, sei das umso besser. Vielleicht könne dies dazu führen, dass auch andere Länder ihre bislang ungenügenden gesetzlichen Schutzmaßnahmen für Kinder unter zwölf Jahren überprüfen würden.
An der Beeinflussung der Kinder durch Werbespots gibt es keinen Zweifel. "Die Werbung gelangt ins Gehirn der Kinder, die Markenbindung wird sehr früh etabliert", zitierte im vergangenen Jahr das NDR-Medienmagazin "Zapp" einen Forscher, der zahlreiche einschlägige Studien ausgewertet hatte. Werbewirtschaft und Privatsender verteidigen die an die Zielgruppe der unter 12-Jährigen gerichtete TV-Werbung mit dem Argument, dass ansonsten keine Kinderprogramme mehr produziert werden könnten. In Schweden und Dänemark beweisen auch werbefinanzierte Fernsehsender das Gegenteil.
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