EU-Quoten für Flüchtlinge: Trostpreis oder Niete

120.000 Menschen auf der Flucht: EU-Kommissionspräsident Juncker stellt den Plan zur Verteilung auf die Mitgliedsstaaten vor.

Porträt Juncker

Der Kommissionspräsident während seiner Rede vor dem EU-Parlament. Foto: ap

BRÜSSEL taz | Er ließ sich viel Zeit. Das Chaos auf Kos, das Drama in Mazedonien, die Willkür in Ungarn: All das hat EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker ausgesessen. Als Berlin schon handelte, vertröstete Brüssel die Europäer immer noch auf Junckers Rede zur „Lage der Union“.

Als der 60-jährige Luxemburger am Mittwoch endlich vor das Rednerpult im Straßburger Europaparlament trat, musste er starke Argumente vorbringen, um noch gehört zu werden und die Neinsager zu überzeugen. Das tat er auch - wenn auch ohne durchschlagende Wirkung.

„Unsere Europäische Union befindet sich in keinem guten Zustand“, warnte Juncker. In der Flüchtlingskrise gebe es zu wenig Europa und zu wenig „Union“, aber viel zu viel Nationalismus und Egoismus. Juncker nannte keine Namen, aber der Seitenhieb auf Tschechien oder Polen war klar.

Der Kommissionschef sagte auch, wie er sich Europa vorstellt - und wie nicht. „Flüchtlingslager in Brand zu setzen und armen und hilflosen Menschen die kalte Schulter zu zeigen: das ist nicht Europa.“ Die Studenten in München und Passau, die die Neuankömmlinge am Bahnhof mit Kleidung versorgen - das sei sein Europa, so Juncker.

Nichts Neues aus Brüssel

Doch was will er tun, damit sich diese positive Vision in der ganzen EU durchsetzt? Dazu kam nicht viel Neues. Zusätzlich zu den bereits vorgeschlagenen 40.000 will Juncker weitere 120.000 Flüchtlinge auf die EU verteilen - das war schon seit Tagen bekannt.

Auch dass der Westbalkan und die Türkei zu „sicheren Herkunftsländern“ erklärt werden sollen, hatte sich schon abgezeichnet. Vor allem Berlin hatte dies gefordert, um Flüchtlinge aus diesen Ländern schneller abweisen zu können. Wer den EU-Beitritt anstrebt, ist sicher, so die neue Faustregel.

Neu ist allerdings der Druck, mit dem Juncker die Flüchtlingspolitik umkrempeln will. Wer mitzieht, dem winken Prämien: Für jeden aufgenommenen Flüchtling soll ein Mitgliedsland 6000 Euro aus EU-Mitteln erhalten. Wer sich verweigert, soll 0,002 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in den EU-Haushalt einzahlen, womit Anstrengungen der anderen EU-Staaten bei der Bewältigung der Krise finanziert würden. Außerdem droht die EU-Kommission mit Vertragsverletzungs-Verfahren.

Nur Berlin applaudiert

Große Wirkung erzielte Juncker damit jedoch nicht. Der Beifall im EU-Parlament war verhalten, die meisten EU-Länder duckten sich weg. Großbritannien, Irland und Dänemark fühlen sich ohnehin nicht angesprochen - für sie gelten Ausnahmeregeln. Auch Italien, Griechenland und Ungarn müssen sich nicht bewegen: Diese drei Länder sollen durch den Juncker-Plan entlastet werden.

Beifall kam nur aus Berlin, das Juncker - trotz des umstrittenen Alleingangs bei syrischen Flüchtlingen - als leuchtendes Beispiel dargestellte. Die Vorschläge gingen „genau in die richtige Richtung“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Besonders wichtig sei eine faire Verteilung. „Die Ungleichgewichte sind auf Dauer nicht tolerierbar“, sagte er. Deutschland nimmt derzeit etwa 40 Prozent aller Flüchtlinge auf.

Zustimmung kommt auch, wenn auch eher verhalten, aus Frankreich. Präsident Francois Hollande hatte schon am Montag angekündigt, das seinem Land zugewiesene Kontingent von 24.000 Flüchtlingen zu akzeptieren. Am Mittwoch kamen zudem die ersten 200 Hilfesuchende aus Deutschland an - von 1000, die Paris als Zeichen der Solidarität mit Berlin übernehmen will.

Osteuropa unbeweglich

In Osteuropa zeichnet sich dagegen noch kein echter Sinneswandel ab. Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak lehnte verpflichtende Quoten erneut ab. Zugleich räumte er ein, der Kommissionsvorschlag enthalte einige positive Punkte. Ob das reicht, um beim Krisentreffen der EU-Innenminister am kommenden Montag einzulenken, ließ er jedoch offen.

Der tschechische Ministerpräsident Bohuslav Sobotka sagte, Europa brauche keine neuen Vorschläge zur Lösung der Krise, sondern müsse die vereinbarten Maßnahmen umsetzen. So müssten die Schengen-Außengrenzen besser gesichert werden. Der polnische Präsident Andrzej Duda hatte sich ebenfalls gegen Quoten ausgesprochen. Ministerpräsidentin Ewa Kopacz sagte nun aber zu, mehr Flüchtlinge als die angekündigten 2000 aufzunehmen.

Eine vernichtende Grundsatz-Kritik kam von Pro Asyl. Die Menschenrechtsorganisation kritisiert nicht nur die geplanten „Hot Spots“, mit denen Asylbewerber in Italien, Griechenland und Ungarn „festgesetzt“ werden sollten. Sie meldet auch Zweifel an der Umverteilung von Flüchtlingen an.

„Eine Quote, wo man kreuz und quer Menschen durch Europa schiebt, gegen ihren Willen, wird scheitern“, warnte der Geschäftsführer der Organisation, Günter Burkhard. Flüchtlinge aus Syrien oder Afghanistan würden kaum „freiwillig in einem Land wie Ungarn bleiben oder sich nach Litauen oder Slowenien verteilen lassen.“

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