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EU-Linker Jürgen Klute über seine Partei„Kein Unterschied zu Merkel“

Bloßer Antikapitalismus sei nicht genug für Europa, sagt der linke EU-Parlamentarier Jürgen Klute: Die Linkspartei mache denselben Fehler wie die Kanzlerin.

Sieht bei Europa rot: Sarah Wagenknecht Bild: dpa
Eric Bonse
Interview von Eric Bonse

taz: Herr Klute, Sie scheiden nach nur fünf Jahren aus dem Europäischen Parlament aus, dabei haben Sie sich in Brüssel einen Namen gemacht. Zu Ihren Erfolgen zählt, dass Sie das Recht auf ein Konto für jeden starkgemacht haben. Warum machen Sie nicht weiter?

Jürgen Klute: Das hat auch mit den Erfolgen zu tun. „Recht auf Konto“ hilft vielen Menschen – aber es ist nicht hundertprozentig antikapitalistisch. In der Linkspartei aber sagen viele nur, „wir wollen das Kapital weghaben und die EU gleich mit“ – und kritteln an der Arbeit der Europaabgeordneten herum.

Ist das denn nicht nur eine Minderheit in der Linken?

Ja, aber in NRW, wo ich herkomme, dominiert dieser Ruf die Partei. Auch in den übrigen Teilen der Partei wird die europäische Ebene bis heute zu wenig ernst genommen. Man verkämpft sich in Abgrenzungen und hat wenig Möglichkeit zu vermitteln.

Schon Lenin hat sich über den Linksradikalismus als Kinderkrankheit des Sozialismus lustig gemacht …

Ja, aber bei den Linken ist das keine Kinderkrankheit, es ist chronisch! Zudem möchten sich viele nur auf die inneren Probleme der Euro-Krisenländer konzentrieren. Sie machen es auch nicht anders als Bundeskanzlerin Merkel und lenken von der europäischen Dimension der Krise ab. Zwischen einigen Linken und Merkel kann ich Unterschiede nur noch im Detail erkennen.

Über das Europaprogramm gibt es ja Streit bei den Linken – denkt die Partei für Ihren Geschmack zu national?

Ja, auch wenn das niemand zugeben würde. Es wird damit begründet, dass die europäische Integration kapitalistisch ist. Dabei hat das Projekt EU durchaus positive Wirkungen. Es führt zu einer Zivilisierung von Interessenkonflikten, die nun nicht mehr im Schützengraben ausgetragen werden. Das ist ein enormer zivilisatorischer Fortschritt, den wir als Friedenspartei würdigen und weiterentwickeln sollten.

Bild: die linke
Im Interview: Jürgen Klute

60, Pfarrer, ist seit 2009 Europaabgeordneter der Linkspartei. Zur Wahl in diesem Jahr tritt er nicht mehr an. Der Bundeshauptausschuss der Linken hatte ihn bei den Empfehlungen für Platz 6 der Europaliste mit nur drei von 74 Stimmen durchfallen lassen. An seiner Stelle setzte sich Fabio de Masi, Mitarbeiter von Sarah Wagenknecht, durch. Klute warf Teilen der Linken daraufhin vor, "auf die antieuropäische Karte" zu setzen. Ihre Verteidigung der Nation als Schutzraum vor schädlichen äußeren Einflüssen ähnele der ideologischen Position des "Rechtsblocks" von Front-National-Chefin Marine Le Pen und dem Niederländer Geert Wilders.

Die EU ist aber auch eine neoliberale Wirtschaftsunion, wie sich in der Eurokrise knallhart gezeigt hat. Ist sie ihrer Meinung nach denn überhaupt noch reformierbar?

Als ich 2009 ins Europaparlament kam, hätte ich auch gesagt, dass die EU immer neoliberaler wird. Vor allem Merkel will neoliberale Pflöcke einschlagen. Aber hier in Brüssel gibt es auch Leute wie EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier, der ist bestimmt kein Neoliberaler! Und das Europaparlament hat den Kurs in einigen wichtigen Punkten korrigiert. So konnten wir durchsetzen, dass bei der makroökonomischen Überwachung der Euroländer auch Außenhandelsüberschüsse wie Deutschland sie produziert berücksichtigt werden. Eine liberale Abgeordnete wie Sylvie Goulard hat es geschafft, dass man über Eurobonds verhandelt!

Auch unser Bericht zur Troika zeigt, dass es im Europaparlament Widerspruch zum neoliberalen Kurs gibt. Das ist zwar nicht das, was sich die Linke unter Sozialismus vorstellt, aber es sind wichtige Schritt in Richtung einer Alternative zur jetzigen EU. Wir sind gerade in einer kritischen Phase, in einer Umbruchphase auf EU-Ebene, deshalb bin ich nicht hoffnungslos.

Haben Sie schon Pläne für die Zeit nach Brüssel?

Ich kann in die Evangelische Landeskirche zurückgehen, ich werde nicht arbeitslos. Ich habe aber auch großen Spaß an der Arbeit hier. Wenn ich etwas Passendes finde, bleibe ich gern in Brüssel.

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10 Kommentare

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  • auf EU-ebene wird ganz groß seit jahrzehnten die neo-liberale politik in zwangsverordnubngen umgesetzt. die ganze staatsschulden und

    €-debatte ist dort so vorentschiden worden, dass die alternativen auageschaltet werden. das gilt für ökologische und soziale dinge auch.

     

    ein paradies für autoritären etatimus ganz großen stils!!!

     

    für einen kandidaten aus nrw wirklich sehr über kreuz mit seiner partei.

     

    die sabotage der kritik seitens spd und grüne seit jahrzehnten ist das hauptproblem - alle ideologischen staatsapparate, medien inklusive!!

  • MA
    Monsieur Achie

    Also, ich hätte fast gesagt typisch Pfarrer aber ich kenne auch Pfarrer, die sehr angagiert und sehr kritisch sind. Nach meine Meinung nach ist der Mann zu naiv. Jemand, der EU Diktatoren verharmlos, hat er in Brüssel nicht zu suchen.

  • EO
    einar osning

    Ich als Österreicher beneide die Deutschen um eine Politikerin wie Sahra Wagenknecht. Würde mir wünschen, dass Linke & AfD es schaffen, viele Nichtwähler und Entrechtete (AN in den Junkbranchen, Hartz IV) etc., an die Wahlurnen zu bringen. Denn sie leiden vor allen unter der Diktatur der Konzerne & Banken. Was ich auch beim Nachbarn vermisse, ist ein kritischer Diskurs über das geplante Freihandelsabkommen. Hier muss sich doch jeder, der an einem intakten Vaterland und einer gesunden Umwelt interessiert ist, dagegen aussprechen. Gerade im Wahlkampf könnte man das anhand der Zulassung des Genmais durchdeklinieren.

     

    PS. Gibt es ne Liste, wie die einzelnen Politiker hier gestimmt haben?

  • W
    Wolfgang

    Die Niederlage der historischen, realsozialistischen, antifaschistischen, antikapitalistischen und antiimperialistischen (unvollkommenen) Deutschen Demokratischen Republik und ihrer "Stasi" (Ministerium für antifaschistische Staatssicherheit und für internationale und antiimperialistische Solidarität: MfS), ist zugleich ein post-faschistischer Sieg des BND-BfV- (und des heutigen Gauckschen) -CIA-NSA-Überwachungssystems des staatsmonopolistischen US-BRD-Kapitalismus - im objektiven Herrschaftsinteresse des westdeutschen Finanz- und Monopolkapitals, der Wirtschafts- und Monopolverbände der herrschenden (westdeutschen) Monopolbourgeoisie und deren Groko-Regierungen und Lobby-Parlamentsmehrheiten.

     

    Mit dem Verbot der (antifaschistischen) Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) im Jahr 1956, - durch CIA+SS-BND-BfV-NS-BRD-Justiz+SPD(+DGB)+CDU/CSU/FDP etc. -, endete auch die außerparlamentarische und parlamentarische Interessenvertretung für die werktätige Bevölkerungsmehrheit in der BRD - und nach 1989/90 auch in Deutschland.

     

    Heute gibt es quer durch alle modifiziert postfaschistischen und spätbürgerlichen Parteien, nur noch "Sozialpartner", - innerhalb wie außerhalb des Beamten-Staatsapparates und der bürgerlichen Parlamente -, im ökonomischen, militärischen, ideologischen und gesellschaftspolitischen Herrschaftsinteresse der deutschen Finanz- und Monopolbourgeoisie.

  • KD
    Klassenclown des Kapitalismus

    Tja - und heute macht sich die radikale Linke über den Leninismus als Kinderkrankheit des Sozialismus lustig.

     

    So ändern sich die Zeiten.

  • N
    NEU

    Ich glaube die LINKE versteht im Zusammenhang mit der EU mittlerweile besser die Sorgen der einfachen Menschen, als viele große Parteien.

  • Das,ja genau das ist der Stoff aus dem die Sozialdemokratie gemacht ist.

  • Wir Leben in einer Zeit, in der "Europa" für alles vernatwortlich gemacht hat, was uns vom Wohlstand vergangener Jahre trennt. Hingegen wird einer "D-Mark" die magische Kraft zugeschrieben, die gute, alte Zeit wiederauferstehen zu lassen. Die Linke darf nicht in diese Falle laufen. Die EU ist die größte Errungenschaft, die dieser Kontinent politisch bisher hervorgebracht hat, nach Jahrhunderten voller Kriegen, konkurrierender Herrscher und immer wieder untergehenden Großmächten. Die EU muss demokratischer und sozialer werden, keine Frage. Aber Antieuropäismus sollte man getrost den Rechten überlassen. Nach mehr als 100 Jahren dem Bismarckschen Trick, den Nationalstaat mit dem Sozialstaat zu verknüpfen, noch auf den Leim zu gehen, zeigt von völliger Zukunftsunfähigkeit.

  • I
    Irgendwer

    Obwohl es sich von je her bewiesen hat, will es immer noch niemand glauben: Wer sich obenauf auf einen Misthaufen setzt und meint, daß sich dadurch der Gestank abmildern läßt, der wird schon nach kurzer Zeit feststellen, daß er genauso stinkt.

  • L
    Lowandorder

    Aha - wieder einer zieht den Stecker;

     

    schau ich auf ähnliche Weggefährten,

    so les ich erneut das auch zuvor so, vergleichbar,

    mal schärfer mal undeutlicher Formulierte;

     

    das schmerzt umso mehr, als ja

    Grüne wie SPezialDemokraten

    sich längst und nachhaltig aus dem

    Kreis politisch akzeptabler Akteure

    verabschiedet haben

    ( CDUCSUFDP - gehörten nie dazu!!)

     

    - umso mehr als die asoziale Schieflage

    Europas wie der EU so evident ist -

    daß es alle Akteure aufrütteln müßte;

     

    statt dessen aber wird - die Grokofantin vorweg -

    die soziale Demontage zugunsten des

    Geldes vorangetrieben und gar

    - völlig hirnrissig -

    einem militärischen Engagement das Wort geredet wird.

     

    Was für sich wie in toto mehr als ungute

    Assoziationen befeuert.