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EU-Gipfel zur FlüchtlingspolitikAuf einer Plattform im Nirgendwo

Die Beschlüsse des EU-Gipfels bestehen überwiegend aus Wunschdenken. Für die Rettung der Regierungskoalition werden bilaterale Abkommen wichtig.

Diese Flüchtlinge kamen im April heil in Malaga an, doch die EU will mauern Foto: dpa

Ausschiffungsplattformen“ Nordafrika

Das ist der umstrittenste und wolkigste Punkt der Gipfel-Erklärung. Die Regierungschefs wollen, dass ein Konzept „regionaler Ausschiffungsplattformen“ „ausgelotet“ wird. Darunter werden Einrichtungen in Nordafrika verstanden, in die Flüchtlinge gebracht werden, die auf seeuntüchtigen Booten im Mittelmeer gerettet wurden. „Ausschiffen“ bedeutet: vom Schiff an Land gehen. Bisher wurden solche Flüchtlinge vor allem nach Italien und Malta gebracht. Das wollen diese Staaten aber künftig verhindern. Die Lager sollen gemeinsam mit dem UN-Flüchtlingswerk UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) betrieben werden.

Die Regierungschefs betonen, dass es für Flüchtlinge keinen Anreiz mehr geben soll, die gefährliche Reise übers Mittelmeer zu wagen. Auch soll das Geschäft der Schlepper zerschlagen werden. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn jeder der eine solche „Plattform“ erreicht, dort einen Asylantrag für Europa stellen kann und dieser Antrag dort nach europäischen Standards geprüft wird – und im Erfolgsfall die Einreise nach Europa erfolgen kann. Das ist aber wohl nicht vorgesehen, weil es einen großen Anreiz gäbe sich zu solchen Plattformen aufzumachen, die man dann ja ohne gefährliche Überfahrt erreichen könnte. Im Gipfeldokument heißt es ausdrücklich, man wolle „vermeiden, dass eine Sogwirkung entsteht“.

In den Plattformen soll auch nicht EU-Recht, sondern nur internationales Recht gelten. Gemeint ist wohl die Genfer Flüchtlingskonvention, die nur eine Rückschiebung in den Verfolger-Staat verbietet. Es würden also große Flüchtlingslager entstehen, bei denen die EU-Staaten freiwillig gelegentlich Kontingente von anerkannten Schutzbedürftigen zur Einreise auswählen können.

Pro Asyl weist darauf hin, dass schon die kollektive Zurückweisung von Flüchtlingen nach Nordafrika rechtlich unzulässig ist. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2012 können Flüchtlingen, die auf europäischen Schiffen Schutz gefunden haben, nicht ohne Prüfung ihres Einzelfalls nach Nordafrika gebracht werden.

Die praktisch größte Hürde ist aber, dass bisher kein einziges Land in Nordafrika bereit ist, solche Lager auf seinem Gebiet einzurichten oder zu dulden. Deshalb ist dieser hoch umstrittene Punkt derzeit kaum mehr als ein Gedankenspiel.

„Kontrollierte Zentren“ in Europa

Weil also Ausschiffungsplattformen in Nordafrika bis auf weiteres unrealistisch sind, heißt es im nächsten Punkt der Gipfel-Erklärung, dass Flüchtlinge, die im Mittelmeer gerettet werden, zu „kontrollierten Zentren“ auf EU-Boden gebracht werden sollen. Dort soll geprüft werden, welche Personen Anspruch auf europäischen Schutz haben und wer wieder „zurückgeführt“ werden soll. Die EU will solche Zentren finanziell und organisatorisch unterstützen.

Diese Einrichtungen sollen freiwillig sein. Bisher ist aber kein Land bekannt, dass ein derartiges Zentrum einrichten will. Merkel erwähnte in ihrer Pressekonferenz, dass auch Italien bisher kein „kontrolliertes Zentrum“ einrichten will.

Auch die Übernahme von anerkannten Flüchtlingen aus diesen Zentren soll freiwillig sein. Merkel betonte, dass Deutschland grundsätzlich „offen“ sei, Flüchtlinge aus Italien aufzunehmen, es habe aber noch keine konkreten Absprachen gegeben. Die Freiwilligkeit der Aufnahme gelte auch nur für die kontrollierten Zentren. In der geplanten Dublin-IV-Verordnung will Deutschland weiterhin erreichen, dass alle EU-Staaten Flüchtlinge übernehmen.

Die Idee solcher „kontrollierter Zentren“ ähnelt den sogenannten „Hot Spots“, die die Europäische Union schon seit 2015 in Italien und Griechenland betreibt. Angela Merkel sagte, sie stelle sich die „Hot Spots“ ähnlich vor, wie von Horst Seehofers Innenministerium konzipierten deutschen Ankerzentren in Manching und Bamberg. Flüchtlinge müssten dort wohnen bleiben („Residenzpflicht“) bis das Verfahren abgeschlossen ist.

Die Bundeskanzlerin geht also nicht von gefängnisartigen Internierungslagern aus.

Stärkung von Frontex

Auch die geplante personelle Stärkung der EU-Grenzschutz-Agentur Frontex dient einer verbesserten Kontrolle der Außengrenzen. Im Vorfeld war von insgesamt 10.000 Polizisten die Rede. Die Zahl findet sich im Abschluss-Dokument nicht. Merkel war wichtig, dass der Ausbau von Frontex bis 2020 abgeschlossen ist. Auch diese Zahl findet sich nicht in der Erklärung. Dort heißt es aber, Frontex solle ein „erweitertes Mandat“ erhalten. Die Erklärung klingt so, als ob Frontex künftig auch an der „Rückführung irregulärer Migranten“ beteiligt wird. Näheres wird nicht mitgeteilt.

Mehr Geld für Drittstaaten

Am konkretesten sind die finanziellen Zusagen. Die EU wird weitere drei Milliarden Euro für die Versorgung und Integration von (überwiegend syrischen) Flüchtlingen in der Türkei vorsehen. Eine erste Tranche in gleicher Höhe wurde bereits ausgezahlt. Diese wurde zu einem Drittel von der EU-Kommmission finanziert, zu zwei Dritteln von den Mitgliedstaaten, darunter 500 Millionen Euro aus Deutschland. Ob diese Aufteilung auch für die jetzt beschlossene Zweite Tranche gilt, lässt die Abschlusserklärung des Gipfels offen.

Außerdem sollen 500 Millionen Euro aus EU-Mitteln in einen Treuhandfonds für Afrika eingezahlt werden. Dieser Fonds soll die Lebensbedingungen von Flüchtlingen in Libyen verbessern und auch die dortigen lokalen Verwaltungen unterstützen. Merkel deutete an, dass im Interesse Spaniens künftig auch Marokko aus dem Fonds unterstützt werden soll.

Reform des Europäischen ­Asylsystems

Hier gab es überhaupt keine Fortschritte. Von sieben ge­planten Rechtsakten besteht weiterhin nur über fünf Einigkeit. Vor allem die geplante Dublin-IV-Verordnung zur Verteilung der Flüchtlinge ist umstritten, weil osteuropäische Staaten wie Ungarn und Polen gar keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.

Sekundärmigration

Zur Weiterwanderung registrierter Flüchtlinge findet sich in der Gipfel-Erklärung die kryptische Aussage: „Die Mitgliedstaaten sollten alle erforderlichen internen Rechtsetzungs- und Verwaltungsmaßnahmen gegen diese Migrationsbewegungen treffen und dabei eng zusammenzuarbeiten.“ Rechtliche Wirkung hat der Satz nicht.

Bilaterale Abkommen

Merkel kündigte an, dass sie am Rande des Gipfels mit „einer Vielzahl“ von Staaten bilaterale Abkommen zur Rückführung von Flüchtlingen geschlossen hat. Als Beispiel nannte sie Griechenland und Spanien. Im Gegenzug habe Deutschland Unterstützung zugesagt, insbesondere bei den Hot Spots auf den griechischen Ägäis-Inseln. Auf Nachfrage erklärte sie, dass es mit Italien bisher noch keine Absprache gibt. Italien habe derzeit andere Prioritäten.

Die bilateralen Abkommen regeln keine Zurückweisungen an der deutschen Grenze, sondern die Rückführung von Flüchtlingen in den EU-Staat, der für das Asylverfahren zuständig ist. Bei den Abkommen mit Griechenland und Spanien gehe es um Flüchtlinge, bei denen an der deutsch-österreichischen Grenze per Abfrage in der Eurodac-Datei festgestellt wird, dass die Flüchtlinge bereits in Griechenland oder Spanien registriert wurden. Dann sollen die beiden Länder die Flüchtlinge „direkt zurücknehmen“. Die Details des Abkommens müssten in den nächsten vier Wochen von den Innenministern der beteiligten Staaten ausgehandelt werden, twitterte Regierungssprecher Seibert.

Merkel will, dass auch Deutschland einen Beitrag zu verbesserten Rücküberstellungen im Rahmen der bestehenden Dublin-III-Verordnung leistet. Bisher sei eine mögliche Rücküberstellung nur in 15 Prozent der möglichen Fälle auch realisiert worden. Merkel schlug vor, das Asylgesetz so zu ändern, dass in Dublin-Fällen ein „beschleunigtes Verfahren“ stattfindet, wenn es um die Überstellung in einen Staat geht, mit dem ein spezielles Verwaltungsabkommen geschlossen wurde.

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