EU-Gipfel in Brüssel: Neuer Streit statt Lösungen
Die EU-Regierungschefs streiten über Wege aus Europas Wirtschaftsmisere. Vom Aufbauprogramm bis zur Reform der Finanzmärkte reichen ihre Vorschläge.
Den ersten Aufschlag machte der frühere italienische Ministerpräsident Enrico Letta. „Wir laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Es gilt, keine Zeit zu verlieren“, warnte Letta, der einen Bericht zur Krise des europäischen Binnenmarkts angefertigt hatte. Demnach wuchs die Wirtschaftsleistung in den USA zwischen 1993 und 2022 um fast 60 Prozent, in der EU lag der Wert nur bei unter 30 Prozent.
Die schwache Leistung liege daran, dass die EU einem veralteten Wirtschaftsmodell folge, erklärte ein weiterer italienischer Experte, der frühere Zentralbank-Chef Mario Draghi. Europa trete auf der Stelle, „weil unsere Organisation, Entscheidungsfindung und Finanzierung für die ‚Welt von gestern‘ designed sind“, so Draghi.
Hart ging Draghi mit der Politik während der Eurokrise vor zehn Jahren ins Gericht. „Wir haben bewusst versucht, die Lohnkosten im Vergleich zueinander zu senken – und in Kombination mit einer prozyklischen Fiskalpolitik hat das unter dem Strich nur dazu geführt, dass unsere eigene Binnennachfrage geschwächt und unser Sozialmodell untergraben wurde“.
Draghi empfiehlt sich für neue Ämter
Für diese Politik, die der EU jahrelang schwaches Wachstum bescherte, war Draghi allerdings selbst mit verantwortlich. Dass er sie nun infrage stellt, werten viele Beobachter in Brüssel als Versuch, sich nicht nur rein zu waschen, sondern auch für neue Ämter zu empfehlen. Im Herbst wird ein neuer ständiger Ratsvorsitzender gebraucht – Draghis Namen wurde am Rande des EU-Gipfels immer wieder genannt.
Im Mittelpunkt der Beratungen stand aber die Frage, wie die EU künftig im Wettbewerb mit den USA und China bestehen könne. Draghi fordert ein neues schuldenfinanziertes Aufbauprogramm – doch das stößt vor allem in Deutschland auf Ablehnung. Letta sprach sich für eine Stärkung des europäischen Kapitalmarkts aus.
Das Ziel wäre eine „Kapitalmarktunion“, die ähnlich wie in den USA Geld für Start-Ups und andere innovative Firmen einsammeln soll. Außerdem soll der Finanzmarkt reformiert werden, so Letta. Bislang gelten in den 27 EU-Ländern unterschiedliche Regeln für die Besteuerung und das Insolvenzrecht von Unternehmen. Grenzüberschreitende Investitionen werden dadurch unnötig erschwert.
Allerdings fürchten kleinere EU-Staaten wie Irland oder Luxemburg, die mit Niedrigsteuern erfolgreich viel Kapital anziehen, Nachteile durch eine solche Reform. Umstritten ist auch, Europas Finanzmärkte zentral von der europäischen Aufsichtsbehörde ESMA mit Sitz in Paris überwachen zu lassen, wie Frankreich es vorschlägt.
Beim Gipfel in Brüssel wurde daher noch keine Lösung erwartet. Die EU sei „entschlossen, ihre strategische Souveränität zu stärken und entschlossen zu handeln, um ihre langfristige Wettbewerbsfähigkeit, ihren Wohlstand und ihre Führungsrolle auf der Weltbühne zu sichern“, hieß es vage im Entwurf für die Abschlusserklärung.
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