EU-Gipfel Flüchtlingspolitik bleibt Streitthema. Die Visegrád-Staaten fordern nun „flexible Solidarität“: In Vielfalt ungeeint
aus Brüssel Eric Bonse
Auf einem Traumschiff lächelnd durch die Krise navigieren: Das haben die 27 Staats- und Regierungschefs der Rest-EU (ohne Großbritannien) am Freitag in Bratislava versucht. Gastgeber Robert Fico hatte den „schwimmenden Festssaal“ MS Regina Danubia angemietet, damit Kanzlerin Angela Merkel und ihre AmtskollegInnen in angenehmem Ambiente über die Zukunft beraten konnten.
Ob es drinnen wirklich so nett war, wie es von draußen aussah, blieb unklar. Denn die Journalisten mussten an Land bleiben, sie wurden mit schönen Absichtserklärungen vertröstet. Eine „Agenda von Bratislava“ hatte Merkel schon vor Beginn des Krisengipfels angekündigt. Bis März 2017, pünktlich zum 60. Jahrestag der römischen EU-Gründungsverträge, soll sie stehen.
„Wir sind in einer kritischen Situation“, sagte Merkel bei ihrer Ankunft in Bratislava. „Es geht darum, durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können.“ Die Agenda setzt dabei auf Altbekanntes: mehr Sicherheit nach innen (Terror) und außen (Flüchtlinge), mehr Wachstum und neue Jobs, vor allem durch das Internet. Auch arbeitslose Jugendliche sollen bedacht werden.
Ganz ähnlich hat es schon am Mittwoch bei der Grundsatzrede von Kommissionschef Jean-Claude Juncker in Straßburg geklungen. Begeisterung hatte das nicht ausgelöst. Denn die „positive Agenda“, wie sie Juncker nennt, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich seit dem Brexit eine negative Stimmung ausbreitet. Über kaum ein Thema besteht Einigkeit.
Das zeigte sich auch in Bratislava – trotz der wohlklingenden Pläne. Vor allem die Flüchtlingspolitik bleibt ein Zankapfel. Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei legten eine Erklärung vor, in der sie sich gegen eine verbindliche Verteilung von Migranten aussprechen. „Flexible Solidarität“ nennen die Visegrád-Staaten diese Abkehr von EU-Beschlüssen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Ankunft in Bratislava
Umstritten bleibt auch die Wirtschaftspolitik. Die Südländer fordern eine Abkehr von der Austerität und mehr Spielraum in der Budgetpolitik, um die lahmende Konjunktur anzukurbeln. „Was Europa nicht tun sollte, ist, weiter in die falsche Richtung zu schlafwandeln“, sagte der griechische Premier Alexis Tsipras.
Doch Kanzlerin Merkel ist gegen weitere Lockerungsübungen. Sie hatte sich schon am Donnerstag mit Frankreichs Staatspräsident François Hollande in Paris getroffen, wo die „Agenda für Bratislava“ festgeklopft wurde. Ein Ende der Sparpolitik steht nicht auf dem Programm, beim Gipfel wurde der Streit ausgeklammert.
Genau wie der eigentliche Anlass des Krisentreffens: der Brexit. Obwohl die 27 verbleibenden EU-Chefs erstmals unter sich – ohne die abtrünnigen Briten – beraten konnten, spielte der geplante Exit Großbritanniens keine große Rolle. Erst wenn Theresa May, die neue britische Premierministerin, den offiziellen Austrittsantrag einreicht, sollen die Verhandlungen beginnen. Bis dahin heißt es: abwarten und Tee trinken.
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