EU-Gelder für afrikanische Staaten: Flüchtlinge aufhalten, um jeden Preis
Milliarden fließen nach Afrika, wenn dafür keine Menschen nach Europa kommen. Aber wie viel bezahlt die EU für den Grenzschutz-Service?
Das Ziel ist immer das gleiche: Die Staaten sollen Flüchtlinge im Land halten oder zurücknehmen. Das Ausmaß der dafür aufgewandten Mittel zu berechnen, ist ein schwieriges Unterfangen. Selbstverständlich steht auf den Überweisungsträgern nie „Flüchtlingsstop“. Jedenfalls meistens nicht.
Ausgegangen sind solche Bemühungen ab Beginn des letzen Jahrzehnts aus naheliegenden Gründen vor allem von den Staaten mit EU-Außengrenzen: Italien und Spanien. Die damals noch schwache EU-Generaldirektion für Auswärtige Angelegenheiten DG RELEX trat dabei kaum in Erscheinung. 2010 aber gründete die EU ihren „Auswärtigen Dienst“. Sie eröffnete Botschaft um Botschaft, heute will die selbstbewusste Außenbeauftragte Federica Mogherini Außenpolitik machen, als sei die EU selbst ein Staat. Die Migrationskontrolle ist dabei eines der wichtigsten Projekte – jeder Erfolg, den sie dabei verzeichnen kann, ist in Europas Hauptstädten nur zu gern gesehen und schmilzt die Skepsis gegenüber Brüssels Außenpolitik-Ambitionen ab.
Ob sie aus Brüssel, Rom oder Madrid kommen – grob sind drei Typen von Zahlungen zu unterscheiden, die der Migrationskontrolle dienen.
Vor „dramatischer“ Migration aus Afrika warnt die deutsche Regierung, von einem „Marshallplan“ ist die Rede. Doch die Milliardensummen, die Europa in Afrika ausgeben will, dienen nicht nur dem Kampf gegen Armut. Erklärtes Ziel der neuen EU-Afrikapolitik ist es, Flüchtlinge und Migranten schon tief im Innern des Kontintents aufzuhalten. Die taz berichtet seit Mitte November in einem Rechercheschwerpunkt darüber, zu finden unter taz.de/migcontrol.
Die Recherche wurde gefördert von Fleiß und Mut e. V. (cja)
Spaniens Plan Africa
Da gibt es zum einen solche, die in in den Bereich klassischer Entwicklungshilfe fallen. Das können Projekte für die Modernisierung der Verwaltung sein, für den Ausbau eines Hafens, Bildung oder Gesundheits-Infrastruktur – nichts, was mit Grenzschutz zu tun hätte. Doch die können an die Bedingung geknüpft sein, dass Flüchtlinge gestoppt oder zurückgenommen werden.
Das wichtigste Beispiel dafür waren die Programme des spanischen „Plan Africa (I + II)“ ab 2004. Von 2004 bis 2008 vervierfachte Spanien sein Hilfsgelder in Westafrika fast. Die „Official Development Assistance“, also die Entwicklungshilfe, stieg im für Transitmigration wichtigen westafrikanischen Raum um 529 Prozent.
So erhielten zum Beispiel Marokko 2005 bis 2010 insgesamt 430,2 Millionen Euro an Entwicklungshilfe aus Madrid, Algerien 165,3 Millionen Euro, Mali 103,3 Millionen, Kap Verde 67,7 Millionen, Gambia 12,7 Millionen. Mit Beginn der Krise nahmen die Zuwendungen nach und nach ab. Alle Länder mussten sich zuvor verpflichten, ihren Grenzschutz zu intensivieren (Näheres hierzu in den Länderreports Spanien, Senegal, Mali und Mauretanien).
Grenzposten geschenkt
Dann gibt es Zahlungen, die direkt für Infrastruktur geleistet werden, um Grenzen aufzubauen. Bundesverteidigungsministerium und Auswärtiges Amt etwa stellten 2016 Geld für die „Ertüchtigung“ von Staaten in Afrika bereit. Tunesien bekam daraus 20 Millionen Euro, unter anderem für elektronische Überwachung an der Grenze zu Libyen und die Ausbildung der Grenzpolizei. 2017 soll es für Tunesien weitere 40 Millionen geben.
Deutsche Bundespolizisten bilden tunesische Grenzschützer aus, die Bundeswehr schickt Schnellboote und gepanzerte Lastwagen. 2017 will Deutschland mobile Überwachungssysteme mit Bodenaufklärungssystemen übergeben. Fünf Nachtüberwachungssysteme, 25 Wärmebildkameras, 25 optische Sensoren und fünf Radarsysteme sind bereits nach Tunesien geliefert. Das Land bekommt eine Hightech-Grenze praktisch umsonst (Näheres hierzu im Länderreport Deutschland und Tunesien).
Ähnliches hatte Italien schon ab 1999 in Tunesien versucht, mit technischer Hilfe für die Grenzpolizei im Wert von zunächst bescheidenen 20 Millionen Euro. Doch dabei blieb es nicht. Die Überweisungen nach Tunis wurden größer, 2008 dann schloss der neue Regierungschef Silvio Berlusconi den „Freundschafts-, Partnerschafts- und Kooperationsvertrag“ mit Gaddafis Libyen. Seit Jahren hatte Libyen Milliardenreparationen für Italiens Kolonialverbrechen eingeklagt. Italien kam nun Gaddafi weit entgegen und sagte den Bau sowie die Finanzierung eine Küstenautobahn von der Ost- zur Westgrenze Libyens zu. Über 20 Jahre hinweg sollten jährlich 250 Millionen Dollar an Libyen fließen. 2009 und 2010 dürfte die Summe geflossen sein – dann kam die Revolution.
Schließlich gibt es Zahlungen dafür, dass Flüchtlingen und Migranten ein Anreiz geboten wird, dort zu bleiben wo sie sind. Bekanntestes Beispiel dafür sind die Milliarden für die Türkei. Dazu zählt aber auch der mit rund 2,4 Milliarden Euro ausgestattete EU-Trustfonds für Afrika. Im November 2015 hatte die EU bei einem Gipfel mit afrikanischen Staaten bereits einen Aktionsplan für die Zusammenarbeit in der Flüchtlingskrise beschlossen. Dabei wurde die Bewältigung der Flüchtlingskrise zum offiziellen Ziel der EU-Entwicklungshilfe gemacht (näheres siehe Länderreport EU).
Private Investitionen
Ähnliche Wirkung haben soll die nun geplante Stimulation von Privatinvestitionen in Afrika durch die Africa Investment Facility. Vorbild ist der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Mitte November erklärte der, mittels günstiger, öffentlich abgesicherter EFSI-Kredite in nur einem Jahr Investitionen von 154 Milliarden Euro innerhalb Europa ausgelöst zu haben – 20 Mal mehr als das, was die EU selbst in das Konjunkturprogramm gesteckt hatte.
So soll es auch in Afrika laufen: Aus ihrem Entwicklungsbudget will die EU drei Milliarden Euro abzweigen, die Mitgliedsstaaten sollen dasselbe drauflegen. Europäische Unternehmen sollen dadurch bis 2020 sagenhafte 62 Milliarden Euro zusätzlich in Afrika investieren – jedenfalls in den Ländern, die beim Grenzschutz mitmachen. Das, so die Hoffnung, werde Jobs schaffen, die schließlich die jungen Menschen in Afrika halten (näheres siehe Länderreport EU).
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