EU-Flüchtlingsgipfel in Brüssel: Davutoglu hat das letzte Wort
Die Türkei gibt sich hartnäckig und will Gegenleistungen für ein Entgegenkommen in der Flüchtlingskrise. Die Forderungen haben es in sich.
„Die Türkei wird niemals ein Flüchtlingsgefängnis unter offenem Himmel“, sagte er. Die Türkei werde nur dann Flüchtlinge aus Griechenland zurücknehmen, wenn im Gegenzug genauso viele Menschen in die EU überstellt werden. „Unser Angebot liegt weiter auf dem Tisch“, fügte er hinzu. Will sagen: Die Türkei ist nicht ohne weiteres bereit, von ihren Forderungen abzurücken.
Und die haben es in sich: Als Gegenleistung für die versprochene Abschottung der Ägäis und die Rücknahme aller Flüchtlinge – auch der syrischen Bürgerkriegsopfer – in die Türkei fordert Davutoglu weitgehende Visa-Erleichterungen für seine 80 Millionen Bürger, schnellere EU-Beitrittsverhandlungen und nochmals drei Milliarden EU-Hilfen, also eine Verdoppelung der bisherigen Summe.
Und was bieten die Europäer? Das blieb nach dem ersten Gipfeltag geheim. Zwar hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Amtskollegen am Donnerstag auf eine gemeinsame Linie geeinigt. Doch sie wurde nicht veröffentlicht, angeblich nicht einmal schriftlich fixiert. Transparent ist das nicht, im Gegenteil. Denn nun kann niemand mehr beurteilen, welche „roten Linien“ die EU aufgestellt hat – und ob sie am Ende auch halten.
„Nicht ganz einfache Verhandlungen“
Es stünden „nicht ganz einfache Verhandlungen“ mit Davutoglu bevor, sagte Merkel vage. Zu Details wollte sie sich nicht äußern, auch die deutsche Position blieb im Dunkeln. Dabei war es Merkel gewesen, die den Flüchtlingspakt beim letzten EU-Gipfel vor zehn Tagen gemeinsam mit Davutoglu aus dem Hut gezaubert hatte. Nicht einmal EU-Gipfelchef Donald Tusk war eingeweiht.
Von einem deutsch-türkischen Coup, sogar von Erpressung und Verrat war damals die Rede. Damit das nicht wieder passiert, haben sich die EU-Granden diesmal eine andere Regie ausgedacht. Am Vormittag sollen Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der niederländische Regierungschef Mark Rutte als amtierender EU-Ratsvorsitzender mit Davutoglu sprechen.
Für den Mittag erwartete Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann Aufschluss über die Antwort der Türkei auf die Position der EU. „Ob etwas herauskommt, weiß nur ein Hellseher“, sagte er in der Nacht. In Brüssel richtet man sich schon auf einen langen Verhandlungstag ein. Denn erst beim Mittagessen sollen alle 28 EU-Staaten gemeinsam mit dem türkischen Regierungschef sprechen.
Und viele Knackpunkte sind weiter umstritten. So ist unklar, ob sich Zypern auf die geplante Öffnung neuer Verhandlungskapitel zum EU-Beitritt der Türkei einlässt. Bisher lässt die Türkei nicht einmal zypriotische Schiffe in ihren Häfen anlegen, obwohl sie dazu nach den EU-Regeln verpflichtet wäre. Zypern hat die Beitrittsgespräche daher jahrelang blockiert.
Abschiebelager auf Ägäis-Inseln
Unklar ist auch, wie Griechenland seine neue Rolle bewältigen soll. Das Land soll künftig nicht mehr als Drehkreuz für die Umverteilung von Flüchtlingen in die EU dienen, worauf es sich in den letzten Wochen fieberhaft vorbereitet hatte. Nach dem Türkei-Deal soll Athen nun Abschiebelager auf den Inseln in der Ägäis einrichten, wo im Eilverfahren über Asylanträge entschieden werden soll.
Doch selbst wenn Hilfsanträge positiv beschieden werden, soll Griechenland die Flüchtlinge zurück in die Türkei schicken. Nach massiven Protesten der Uno und von Amnesty International ist nun zwar nicht mehr von Massenabschiebungen in die Türkei die Rede. Jeder Fall soll „individuell“ geprüft werden, heißt es in Brüssel. Außerdem soll das Uno-Flüchtlingshilfswerk mitwirken.
Doch bisher steht nicht einmal die Infrastruktur für das geplante Flüchtlings-Karussell, das zur Abschreckung der Boat-People dienen soll. Und die Zustimmung Davutoglus steht auch noch aus. Der türkische Regierungschef hat das letzte Wort und könnte erneut versuchen, der EU weitere Zugeständnisse abzuringen. Sicher ist nur eins: Auf Merkels Hilfe kann er zählen. Wie beim letzten Gipfel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag