EU-Einigung zu Gesundheitsdaten: Aus Daten wird Geld gemacht
Die EU hat sich auf eine elektronische Patientenakte geeinigt. Die bietet aber kaum Möglichkeiten zum Widerspruch und hilft vor allen den Unternehmen.
W er nur einmal im Jahr mit einer Erkältung zur Hausärztin geht, regelmäßig zur Vorsorge und sich sonst von Praxen fernhalten kann, wird vermutlich denken: Was soll schon passieren, wenn Gesundheitsdaten digitalisiert werden und diverse Akteure darauf zugreifen können?
Abgesehen davon, dass diese Herangehensweise eine ziemlich riskante ist, haben nicht alle Menschen das Privileg einer dauerhaft pflegeleichten Gesundheit und der damit verbundenen Datensparsamkeit. Da stehen vielleicht eine Burnout-Diagnose oder ein Schwangerschaftsabbruch, chronische Rückenschmerzen oder HIV-Medikamente in der Akte.
Die Daten sollen laut EU-Einigung ab 2025 im europäischen „Datenraum“ gespeichert werden. Mit europaweitem Zugriff nicht nur für andere Ärzt:innen, sondern auch für Forschung und Industrie, Gesundheitsdienstleister und -behörden. Die Daten können ins europäische und über Umwege auch ins außereuropäische Ausland transferiert werden.
Eine gute Idee? Sicher – für alle, die im Sinne des Wirtschaftswachstums auf der Suche nach weiteren Daten sind, die man zu Geld machen kann. Vielleicht lässt sich aus den gesammelten Daten eines Tages tatsächlich eine bislang unbekannte medizinische Kausalität ziehen oder der Ansatz für eine neue Therapie. Sicher ist das nicht. Klar ist aber: Gesundheitsdaten sollen hier zu Geld gemacht werden. Klar ist auch: Die Patient:innen werden den Überblick verlieren, wer auf welche ihrer Daten zugegriffen hat und was damit macht.
Die europäische Einigung ist umso enttäuschender, als dass Deutschland hier ausnahmsweise ein etwas besseres Gesetz hat. Das sieht zwar immer noch eine elektronische Patientenakte für alle vor, die nicht widersprechen. Aber immerhin ist neben einem grundsätzlichen Widerspruch auch das vergleichsweise detaillierte Nein zu einzelnen Datenverarbeitungen möglich.
Die EU-Regeln strotzen dagegen vor Ausnahmen. Öffentliches Interesse, Geschäftsgeheimnisse, Schutz von geistigem Eigentum? Da ist kein Nein möglich. Ein guter Plan für die Industrie also, ein schlechter für die Patient:innen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen