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EU-Einigung zu GesundheitsdatenAus Daten wird Geld gemacht

Kommentar von Svenja Bergt

Die EU hat sich auf eine elektronische Patientenakte geeinigt. Die bietet aber kaum Möglichkeiten zum Widerspruch und hilft vor allen den Unternehmen.

Wer horcht mit? Die EU-Patientenakte soll Gesundheitsdaten EU-weit zugänglich machen Foto: Maurizio Gambarini/dpa

W er nur einmal im Jahr mit einer Erkältung zur Hausärztin geht, regelmäßig zur Vorsorge und sich sonst von Praxen fernhalten kann, wird vermutlich denken: Was soll schon passieren, wenn Gesundheitsdaten digitalisiert werden und diverse Akteure darauf zugreifen können?

Abgesehen davon, dass diese Herangehensweise eine ziemlich riskante ist, haben nicht alle Menschen das Privileg einer dauerhaft pflegeleichten Gesundheit und der damit verbundenen Datensparsamkeit. Da stehen vielleicht eine Burnout-Diagnose oder ein Schwangerschaftsabbruch, chronische Rückenschmerzen oder HIV-Medikamente in der Akte.

Die Daten sollen laut EU-Einigung ab 2025 im europäischen „Datenraum“ gespeichert werden. Mit europaweitem Zugriff nicht nur für andere Ärzt:innen, sondern auch für Forschung und Industrie, Gesundheitsdienstleister und -behörden. Die Daten können ins europäische und über Umwege auch ins außereuropäische Ausland transferiert werden.

Eine gute Idee? Sicher – für alle, die im Sinne des Wirtschaftswachstums auf der Suche nach weiteren Daten sind, die man zu Geld machen kann. Vielleicht lässt sich aus den gesammelten Daten eines Tages tatsächlich eine bislang unbekannte medizinische Kausalität ziehen oder der Ansatz für eine neue Therapie. Sicher ist das nicht. Klar ist aber: Gesundheitsdaten sollen hier zu Geld gemacht werden. Klar ist auch: Die Pa­ti­en­t:in­nen werden den Überblick verlieren, wer auf welche ihrer Daten zugegriffen hat und was damit macht.

Die europäische Einigung ist umso enttäuschender, als dass Deutschland hier ausnahmsweise ein etwas besseres Gesetz hat. Das sieht zwar immer noch eine elektronische Patientenakte für alle vor, die nicht widersprechen. Aber immerhin ist neben einem grundsätzlichen Widerspruch auch das vergleichsweise detaillierte Nein zu einzelnen Datenverarbeitungen möglich.

Die EU-Regeln strotzen dagegen vor Ausnahmen. Öffentliches Interesse, Geschäftsgeheimnisse, Schutz von geistigem Eigentum? Da ist kein Nein möglich. Ein guter Plan für die Industrie also, ein schlechter für die Patient:innen.

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Redakteurin für Wirtschaft und Umwelt
schreibt über vernetzte Welten, digitale Wirtschaft und lange Wörter (Datenschutz-Grundverordnung, Plattformökonomie, Nutzungsbedingungen). Manchmal und wenn es die Saison zulässt, auch über alte Apfelsorten. Bevor sie zur taz kam, hat sie unter anderem für den MDR als Multimedia-Redakteurin gearbeitet. Autorin der Kolumne Digitalozän.
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3 Kommentare

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  • Es wäre primär zum großen Vorteil der Patienten, wenn die Daten zur Verbesserung der Analytik und Medikation eingesetzt werden. Ja, und all die Menschen, die daran arbeiten wollen auch bezahlt werden.

  • Digital erfaßte Gesundheitsdaten wären eine Win-Win-Win-Situation.

    Patienten werden Doppeluntersuchungen und das Hin-und Hertragen von Gesundheitsberichten erspart. Bei Untersuchungen können sofort Abgleiche mit den Ergebnissen von vorherigen Untersuchungen anderer Ärzte erfolgen und deren Medikamentionen berücksichtigt werden. In Datenbanken können Ärzte oder KI schnell ähnliche Fälle, und deren Behandlungserfolge finden (anonymisiert).

    Unternehmen können Patientendaten nutzen, um neue medizinische Verfahren zu entwickeln. Ein Fall von vor einigen Jahren: Die US-amerikanische Gesundheitsbehörde stellte unkompliziert 100.000 (anonymisierte) Bilder mit und ohne Lungenkrebs zur Verfügung, damit Unternehmen mit automatisierter Bilderkennung in Röntgenbildern Lungenkrebs entdecken können. In Deutschland hätte jedes Röntgenbildes eine einzelne persönliche Zustimmung bedurft. Am Ende finden sich die Patentinhaber für solche Verfahren in den USA und Großbritannien und in Deutschland werden für jede Untersuchung Lizenzgebühr fällig.

    Die Gesellschaft trägt die Kosten des Gesundheitssystems. Fast die Hälfte der Gesundheitskosten entstehen in den letzen 2 bis 3 Jahren eines Lebens. Der technische Fortschritt steigert diese Kosten. Sie werden überwiegend von denen getragen, die noch im Berufsleben stehen. Wie bekannt, werden jene immer weniger. Es sind dringend Maßnahmen erforderlich, die den steigenden Gesundheitskosten entgegenwirken.

    Den Artikel lese ich so: Die 2. Gruppe - Unternehmen - könnten diese Daten gewinnbringend nutzen. Bevor Unternehmen davon profitieren könnten, empfiehlt es sich, sowohl auf persönliche Vorteile als auch auf den Vorteil der Gesellschaft als Ganzes zu verzichten. Es klingt, als ob aus Mißgunst für eine Lose-Lose-Lose-Situation plädiert würde.

    Damit auch Patienten von einer Effizienzsteigerung im Gesundheitswesen profitieren, sollten Patienten mit digitalem Gesundheitsprofil einen angemessen Rabatt auf ihre Beitragszahlungen erhalten.

  • Hoffentlich geht jemand Gerichtlich dagegen vor. Es wäre wirklich kein Problem, die Daten verschlüsselt auf der Krankenkassenkarte zu speichern, sodass sie der Patient unter Kontrolle hat und an jeden geben kann, oder halt auch nicht. Sicherheit gegen Hackerangriffe würde das auch bieten. Und: Man könnte ja optional ein weiteres, allgemeines Passwort einrichten, welches man z.B. an Notärzte vergibt. Diese könnten im Notfall ohne den Patienten in die Akte schauen, der Patient bekommt im Nachhinein eine Mitteilung, wer und aus welchem Grund auf die Akte zugegriffen hat.



    Aus Bequemlichkeitsgründen könnte man zusätzlich einen Server einrichten, für Leute die diese Lösung vorziehen. Aber da es z.B.: in den USA schon sehr kritische Vorschläge in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche gab kann ich die jetzige "Lösung" nicht gutheißen.