piwik no script img

EM-Stimmung in KölnEin bisschen Italianità

Bei Europameisterschaften kann etwas man über die Herkunft und die Sympathien der NachbarInnen lernen. Und die deutsche Flagge wird vorsorglich mitgeschleift.

Rot-Weiß-Grün regiert derzeit nicht nur in Italien Foto: Guglielmo Mangiapane/reuters

P lötzlich zurück. So kann es gehen. Gerade noch in Rom, beinahe in London, und jetzt nicht Madrid oder Mailand, sondern Köln. Schuld ist die Delta-Va­rian­te in Großbritannien. Die Uefa hat die Kontingente für JournalistInnen beschränkt, sodass es wesentlich schwieriger für Medien ist, zum Halbfinale oder Finale zu reisen.

Nach einer Woche Hin und Her – darf man nach London fliegen? Wie viel Papierkram braucht man dafür? Gilt bei der Rückkehr Quarantäne? – und einem fast unschlagbaren Plan, alles doch noch möglich zu machen, hat die Uefa den ganzen Überlegungen ein humorloses Ende gesetzt und mir schlicht keine Akkreditierung erteilt. Plötzlich ist die EM vorbei. Vom euphorisierten Italien, das zum Finale auch zunehmend seine Lust an Beflaggung entdeckt, fliege ich zurück nach Köln, wo, ja, wo eben keine EM ist. Oder?

Schon bei einem kurzen Zwischenstopp während des Turniers war ich überrascht. Von allen Leuten hatte ich gehört, dass diesmal nicht so richtig EM-Atmosphäre herrsche, aber wenn man von außen dazustieß, sah das anders aus. Die Bäckerin am Deutzer Bahnhof diskutierte mit ihren Kunden sehr inbrünstig das letzte Spiel von Ich-weiß-nicht-wem, von dem sie nun enttäuscht sei, und wem sie nun das Weiterkommen wünsche.

Meine Ärztin beim Impftermin sprach sofort nur noch vom Turnier, fast alle Spiele hatte sie geschaut, von der unmöglichen Taktik der Deutschen, mit denen sie erst gefiebert hatte, und wie sie jetzt den Dänen die Daumen drücke. Beide übrigens Deutsche mit sogenanntem Migrationshintergrund. Eine kollektive Sympathie für die Dänen schaffte es auch bis nach Köln. Und damals war ich überrascht, wie viele Flaggen im Viertel meiner Eltern hingen. Das kann man na­tio­na­les Gedöns nennen oder nicht, aber egal war dieses Turnier jedenfalls nicht.

Vorsorglich ergänzt durch deutsche Fahnen

Die deutschen Flaggen sind weniger geworden Aber auch die neuen Stofftücher spiegeln deutsche Geschichte: Es sind jetzt vor allem italienische, die da hängen. Immer auch vorsorglich ergänzt durch eine gleichgroße deutsche Fahne, womöglich um der rassistischen Empörung der NachbarInnen zu entgehen, vielleicht auch aus zweierlei Herz gesprochen.

Die Weetschaff op d’r Eck hat es am hingebungsvollsten übertrieben und weiß wirklich jeden Meter Außenfassade zu nutzen: Handgezählte sechs Deutschlandfahnen und zwei Italienfahnen hängen nun da. Wozu braucht es eigentlich Fenster? Deutschland sieht man, wenn ich es recht überlege, nur noch in Kombination mit Italien, pflichtschuldig mitgeschleift wie der kleine Bruder am Schwimmflügelchen. In der Straße meiner Eltern ist eine Wohnung nicht nur deutsch-italienisch ausgekleidet, sondern fordert mit professioneller Fußballflagge gleich „Forza Azzurri“.

Ich gucke gern auf die Fassaden und hatte keine Ahnung, wie viele Italienischstämmige, vielleicht auch einfach SympathisantInnen hier leben. Man lernt durch eine EM ja doch noch was über die NachbarInnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Alina Schwermer
freie Autorin
Jahrgang 1991, studierte Journalismus und Geschichte in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Schreibt für die taz seit 2015 vor allem über politische und gesellschaftliche Sportthemen und übers Reisen. Autorin mehrerer Bücher, zuletzt "Futopia - Ideen für eine bessere Fußballwelt" (2022), das auf der Shortlist zum Fußballbuch des Jahres stand.
Mehr zum Thema

0 Kommentare