EM-Quali Spanien – Mazedonien: Stilistische Verwirrung
Spanien verzweifelt vor dem Spiel weiter an seiner fehlenden Durchschlagskraft. Der alte Trainer Vicente Del Bosque soll das Problem lösen.
Angreifer Munir El Haddadi ist gerade 19 geworden und hat bislang 124 Minuten in der Primera División gespielt. Sogleich nominierte ihn Nationaltrainer Vicente Del Bosque anstelle des angeschlagenen Diego Costa für den Auftakt zur EM-Qualifikation heute in Valencia (20.45 Uhr) gegen Mazedonien.
Talent, zwei starke Darbietungen für den FC Barcelona und nicht zuletzt der Umstand, dass der in Madrid geborene Sohn eines marokkanischen Vaters an den spanischen Verband gebunden werden soll – es gibt Gründe für diese Berufung, die am Wochenende die Titelseiten der Sportpresse füllte. Aber wenn ein so unerfahrener Spieler so kurzfristig zum Heilsbringer einer so großen Fußball-Nation bestellt wird, dann gibt es meistens auch ein Problem.
Ein sehr konkretes im Falle der Spanier. Die zuletzt bei der WM arg gerupfte Supermacht startet die Verteidigung der letzten beiden EM-Titel ohne das, was den Fußball nach allgemeiner Überzeugung zuvorderst definiert: Ihr fehlen die Tore. Das Thema ist nicht vollkommen neu, schon ihre WM 2010 gewann die „selección“ mit kunstvollem Minimalismus – ein Tor pro K.o.-Spiel. Auch gehört es zu ihrer Spielweise, „den Ball bis in die Küche zu tragen“, wie man hier sagt, also erst zu schießen, wenn es gar nicht mehr anders geht.
Bloß irgendwann muss der Schritt über die Stufe halt gewagt werden, und genau das ist am Donnerstag nicht geschehen. Beim 0:1 in Frankreich brachte Spanien nicht einen einzigen Versuch zwischen die drei Gestänge zustande; zum ersten Mal seit einem 0:0 bei der WM 1990 gegen Uruguay.
Trauma Brasilien
Die Statistik aus dem Stade de France verdichtet eine unangenehme Tendenz – fünfmal torlos seit dem Confed-Cup 2013 – und weckt schlimmste Erinnerungen an die WM, als ein unberechtigter Elfmeter beim 1:5 gegen die Niederlande der einzige Treffer bis zum Ausscheiden nach nur zwei Spielen blieb. Trotz eines akzeptablen Gesamtauftritts beim nächsten EM-Gastgeber sind die Geister von Brasilien, die doch eigentlich schnellstmöglich beerdigt werden sollten, damit lebendiger denn je. „Die Krone, das Prestige und vielleicht auch das Selbstvertrauen“ habe Spanien dort verloren, schreibt Marca angesichts des Zauderns im Umgang mit der Kochstelle.
Unfall oder Strukturkrise? Das ist nach einem Fußball-Waterloo ja immer die Frage und daraus ergeben sich auch Dauer und Schmerzen des Regenerationsprozesses. An sich ist man in Spanien nach wie vor geneigt, von einer kurzen Delle auszugehen. Das Scheitern in Brasilien wurde angesichts der Vorleistungen der Goldenen Generation um Xavi, Iker Casillas oder David Villa schnell verziehen, entgegen üblicher Branchenpraktiken durfte auch Del Bosque sein Amt behalten und gilt als so befähigt wie alternativlos für den Neuaufbau.
Wenig erinnert an einen Verlauf wie etwa in Deutschland nach der Weltmeisterschaft 1998, als Berti Vogts noch Stefan Effenberg zurückholen und Paulo Rink einbürgern durfte, ehe es nach den nächsten Spielen im September dann doch vorbei war.
Harakiri bei den Stürmern
Nur das Harakiri bei den Stürmern mag auf vergleichbare Verzweiflung hindeuten. Del Bosque muss sich vorwerfen lassen, das Offensivproblem in den letzten Jahren eher vergrößert als in den Griff bekommen zu haben. Seine zentrale Maßnahme, die Einbürgerung des Brasilianers Diego Costa, ist bisher grandios gescheitert: der robuste Konterstürmer will so gar nicht zur spanischen DNA des geduldigen, filigranen Kombinationsspiels passen. Ebenso blass blieb in Paris auch wieder der als Nachfolger für den abgetretenen Orchestermeister Xavi auserkorene Koke.
Womöglich Anpassungsprobleme, womöglich Inkompatibilität: Wie Costa (inzwischen Chelsea) entstammt Koke der pragmatischen Schule von Meister Atlético Madrid, die so ziemlich das maximale Gegenteil der zuvor herrschenden Barcelona-Lehre repräsentiert. Statt des erwünschten Variantenreichtums regiert stilistische Verwirrung.
Die Nominierung von Munir mag da ein erster Schritt zurück sein, zumal Barça unter dem neuen Trainer Luis Enrique wieder Halt gefunden hat. Nach den jüngsten Eindrücken dürfte aber zunächst Paco Alcácer aus Valencia auf den mazedonischen Abwehrriegel losgelassen werden. Der 21-Jährige hat angesichts der aktuellen Probleme einen entscheidenden Vorteil: Seine Spezialität sind Direktabnahmen.
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