EM-Chancen des DFB-Teams: Tollpatsch oder Titelträger
Nach den letzten beiden EM-Testspielen gegen die Ukraine und Griechenland geht die DFB-Elf mit solider Ungewissheit ins Turnier.
E M-Dritter wird Deutschland, sagen die Statistiker. Die Firma Opta hat mal gerechnet und mit 12,4 Prozent jene Wahrscheinlichkeit bestimmt, mit der die DFB-Auswahl den Titel gewinnt. Besser im Rennen der Probabilistiker sind nur England und Frankreich. Neben dem schnöden Zahlenwerk gibt es die gefühlte Evidenz, also das gute alte Bauchgefühl.
Das war nach den „März-Länderspielen“, mittlerweile ein stehender Begriff in der DFB-Entourage, ganz prima. Alles schien möglich, und dieser Optimismus färbte bisweilen sogar auf eine Berufsgruppe über, die sich stets skeptisch geben sollte: die Journalisten. Auch der Autor dieser Zeilen ließ sich einlullen und prognostizierte in einer taz-Expertenrunde kürzlich forsch: Die kommen weit.
Nun haben wir die ersten Juni-Länderspiele hinter uns, und die Zuversicht hat einen Knacks bekommen, auch wenn die notorischen Eventbejubler weiterhin im Minutentakt die ja bald schon beginnende Großeuphorie beschwören. Das Spiel gegen die Ukraine wurde recht gut in den Sportredaktionen bespochen, obwohl das DFB-Team weiter an der Katar-Krankheit litt: Morbus Chancenvergurkung.
In und um Doha verballerte das Team ja Gelegenheiten sonder Zahl, was letztlich zum frühen Aus führte. Gegen Griechenland wirkte das Team nun überdies fahrig und planlos. Die Griechen, wären sie etwas abgezockter gewesen, hätten gewinnen können.
Kordon um Neuer
Die erste EM-Elf steht noch nicht. Und wenn sie dann einmal, also am kommenden Freitag, im Uefa-System steht, dann weiß man nicht, was diese Truppe leisten kann. Wird es eine März-EM? Oder doch eine Juni-EM? Neben der Suche nach der optimalen Aufstellung gibt es auch schon wieder ein paar Baustellen, die im Gegensatz zur Katar-WM sportlicher Natur sind.
Torwart Manuel Neuer hat im Griechenland-Spiel wieder mal gepatzt, und Bundestrainer Julian Nagelsmann baut nun einen Schutzkordon um den Fänger, sodass sich alle Welt fragt: Gilt das Leistungsprinzip in der DFB-Bubble noch? Haben die Meritokraten im Team doch wieder das Sagen und bremsen den Fortschritt? Und: War es wirklich eine so gute Idee, Torwart Alexander Nübel aus dem EM-Kader zu streichen und dem Stuttgarter Block eine vor den Bug zu geben?
Das Gleichgewicht der Kräfte im Kader ist schwer auszutarieren, und eine erste Hackordnung ergibt sich aus den Mannschaftsleistungen der abgelaufenen Saison. Da lagen – und liegen – die Leverkusener vor den Stuttgartern und den Bayern. Die Dortmunder fühlen sich auch berufen schlau mitzureden, weil sie im Finale der Champions League standen und die gefühlt ewige Bevorzugung der Bayern-Spieler in der Nationalmannschaft noch wie eine Blendgranate von Rheinmetall mit sich herumschleppen.
Der Bayern-Block aber ist heuer so schwach wie nie. Das Machtgefüge bröckelt. Ob das zu Verwerfungen führt – oder aber zu einer ganz wunderbaren strukturellen Neuordnung unter Führerschaft von Don Antonio und Kroosinho, ist noch schwer zu sagen. Es wird wohl, wie so häufig im Fußball, von den kleinen Dingen und Zufällen abhängen: dem abgefälschten Schuss, der reingeht; dem glücklichen Elfmeterpfiff; der Roten Karte beim Gegner – und der daraus entstehenden Dynamik.
Die Wahrscheinlichkeit für einen Sieg im EM-Auftaktspiel gegen Schottland liegt nach taz-Berechnungen übrigens bei 54,29 Prozent. Na dann!
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