EIN GLÜCK, DASS JOSCHKA FISCHER KEIN OSTDEUTSCHER IST: Nicht ohne meine Biografie
Manchmal, aber nur manchmal, wünscht man sich, Joschka Fischer wäre ein Ostdeutscher.
Zugegeben, Fischer würde sich in dieser Rolle nicht ganz wohl fühlen. Den Außenminister könnte er sich auch abschminken. Außerdem ist es eine Zumutung, ausgerechnet dem radikalen Sponti, der nie zum Dogmatismus neigte und die Propagandisten des real existierenden Sozialismus bekämpfte, die Vergangenheit eines autoritätshörigen, kollektivistisch erzogenen SED-Genossen an den Hals zu wünschen. Aber spannend wäre ein solches Experiment schon. Man könnte dann sehen, ob die bürgerliche Gesellschaft ihren einstigen Feind Joschka Fischer nur deswegen in die Arme geschlossen hat, weil er das Symbol einer westdeutschen Nachkriegsgeneration ist und stellvertretend für ihre biografischen Brüche steht. Oder ob Fischer diese Anerkennung auch zuteil geworden wäre, wenn er als Ostdeutscher einen solchen Wandel vollzogen hätte, wenn er sich etwa aus einer kommunistischen Vergangenheit heraus zu den Werten der heutigen Gesellschaft bekennen würde.
Die Frage ist doch, entgegnen jetzt viele, ob die Ostdeutschen zehn Jahre nach der Wende ihre biografischen Brüche so produktiv machen können, wie es Fischer tut? Vielleicht können sie es nicht ganz so virtuos, nicht ganz so arrogant, und dieses überragende Talent zur Selbstdarstellung fehlt ihnen garantiert – aber eine große Anpassungsleistung an die bundesdeutsche Gesellschaft haben viele Ostdeutsche vollbracht. Sie empfinden, obwohl sie sich im Osten vielleicht noch zu Hause fühlen, westlich.
Aber das, was Fischer (und vielen anderen) heute so selbstverständlich zugestanden wird, wurde vielen Ostdeutschen nach der Wende abgesprochen: dass sie früher Fehler gemacht haben, dass sie politisch gläubig waren, dass sie Irrtümer begingen, aber dass sie auch bereit sind, diese zuzugeben und daraus zu lernen. Viele Ostdeutsche sind sich dabei durchaus bewusst, dass sie viel zu lange der falschen Ideologie angehangen und sich nicht aus freien Stücken von ihr freigemacht haben. Da ist ihnen Joschka Fischer voraus: Er hat sich, getrieben durch die harten Auseinandersetzungen in der linken Szene über die Frage der Gewalt, von seiner „Ideologie“ selbst losgesagt; früher und energischer als viele seiner Weggefährten.
Dass man an dieser Stelle hinzufügen muss, dass es hier nicht darum geht, den in der DDR praktizierten Klassenkampf mit der Rebellion der Achtundsechziger gegen das westdeutsche „Schweinesystem“ zu vergleichen oder gar Verbrechen in der DDR mit den Prügeleien eines Joschka Fischer auf eine Stufe zu stellen, dieses notwendige vorauseilende Bekenntnis ist schon ein Teil des Problems. Es gehört leider zum Standardrepertoire des Missverständnisses zwischen Ost und West. Natürlich gibt es in Ostdeutschland heute eine weit verbreitete Verklärung der Vergangenheit. Natürlich gibt es antiwestliche Ressentiments. Aber daran ist der Westen nicht ganz unschuldig. Wer sich zu seiner ostdeutschen Herkunft, zu seiner Biografie bekennt, wird oft nicht als „richtiger“ Deutscher akzeptiert. Wer sich aber als Deutscher identifiziert, tut das oft, um zu demonstrieren, dass er seine ostdeutsche Herkunft überwunden hat. Er glaubt, das tun zu müssen, weil er nicht erlebt hat, dass man gleichzeitig Ostdeutscher und „Gesamtdeutscher“ sein kann.
Diese bis heute ungebrochene Haltung vieler Westdeutscher, die Ostdeutschen als Fremde anzusehen, verschärft diesen Identitätskonflikt nur. „Das bin ich, Joschka Fischer“, sagt Fischer im Stern-Interview über seine Vergangenheit. „Ohne meine Biografie wäre ich heute ein anderer, und das fände ich gar nicht gut.“ Das ist ein schlichter, aber wahrer Satz. Ihn so selbstbewusst auszusprechen haben sich viele Ostdeutsche in den vergangenen zehn Jahren nicht getraut. Und wenn sie es doch taten, wie ein PDS-Politiker, der zum Wahlkampf mit dem Spruch antrat „Meine Biografie beginnt nicht erst 1989“, wurde ihnen pauschal DDR-Nostalgie vorgeworfen.
Der Demokratie in Deutschland hätte es nicht geschadet, schreibt Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung, wenn es mehr Leute vom Schlage eines Joschka Fischer oder Herbert Wehner gegeben hätte. Es würde der Demokratie auch nicht schaden, wenn es mehr Ostdeutsche mit gebrochenen Biografien bis an die Spitze dieses Staates schaffen würden. Vielleicht sogar mal als Außenminister.
JENS KÖNIG
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen