berliner szenen: Durch Radiowellen schwimmen
Beim morgendlichen Freibad-Restsommerschwimmen finde ich mich wie automatisch jedes Mal auf einer der Randbahnen des Beckens wieder: Nur hier ist die Schwimmbaduhr für Kurzsichtige zu lesen. Es ist auch die Seite, auf der Bademeister*innen stets in einem kleinen Grüppchen miteinander plaudern. Viel zu tun scheint es für sie nicht zu geben, bis sie die Lautsprecheransage zum Ende der Badezeit ertönen lassen und dann routiniert das Gelände desinfizieren.
Das Aufschnappen der Satzfetzen beim Vorbeischwimmen nehme ich nach einiger Zeit wie analoges Radiotuning mit nur einem hörbaren Sender wahr. Als Skalenanzeiger bewege ich mich durchs Freibad-Frequenzband, hin auf einer informativen Ultrakurzwelle, zurück auf einer stummen Mittelwelle. Durch die aktuelle Einbahnstraßenregelung beim Schwimmen dauert es nämlich doppelt so lange wie sonst, bis ich wieder am Sender vorbeikomme. In der Zwischenzeit sind die Gespräche mäandert und mutiert. Das Programm scheint aber sehr abwechslungsreich.
An einem Tag macht ein Bademeister, in die hohlen Hände pfeifend, eine Taube nach, am nächsten amüsiert man sich taktvoll über Schwimmtypen. Am dritten werden die Themen ernster: In einer Runde geht es darum, ob die Kollegin auch bei Verdi ist, in der nächsten um die Hauptstadtzulage, dann heißt es, in Deutschland habe es ja nur 200 Coronatote gegeben. „Das ist durch nichts relativierbar!“, verspricht sich die Bademeisterin (und merkt dies sofort selbst), wo sie doch gemäß ihrer Argumentation vermutlich meinte, dass die Maßnahmen in keiner Relation hierzu stünden. Hier bricht die Sendung ab, „Ende der Badezeit“, was in keiner Relation zu meiner Erwartungsspannung steht, wie das Programm jetzt weitergegangen wäre. Martin Conrads
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