Düstere Zeiten für Energiepflanzen: Vollbremsung beim Agrosprit
15 Millionen Tonnen CO2 wollte die Regierung jährlich mit Agro- Treibstoffen einsparen. Dabei hat sie Schäden, die intensiver Pflanzenanbau verursacht, unterschätzt.
Quoten sollten dafür sorgen, dass deutscher Sprit weniger klimaschädlich ist: Bis zu 17 Prozent Beimischung lautete das Ziel der Bundesregierung in ihrem Meseberg-Programm für das Jahr 2020. Doch längst sind Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) zurückgerudert. Nach den aktuellen Beschlüssen gilt ein Anteil von 5,25 Prozent Agrosprit im Tank als Ziel - 2007 waren schon 7,6 Prozent im handelsüblichen Benzin und Diesel enthalten. Ab 2010 steigt die Beimischquote auf 6,25 Prozent.
Das ist eine regelrechte Vollbremsung in der Agrospritpolitik: Viele Anlagen, die seit 2003 entstanden waren, sind inzwischen nur noch zur Hälfte ausgelastet. "Die Auswirkungen auf die Branche sind dramatisch", sagte der Geschäftsführer des Verbandes der Biokraftstoffindustrie (VDB), Elmar Baumann.
Mehr als fünf Millionen Tonnen könnten pro Jahr produziert werden. 2009 würden aber vermutlich nur 2,4 Millionen Tonnen hergestellt. "Von 49 Anlagen haben 17 die Arbeit eingestellt, drei sind insolvent, und sieben produzieren nur stark eingeschränkt", sagte Baumann. Viele Betreiber zahlten drauf. Nur noch 150 deutsche Tankstellen verkauften reinen Biodiesel.
Etliche Umweltverbände sind darüber gar nicht so unglücklich. Viele kritisieren den Agrosprit-Hype seit Jahren. Schon heute werde in immer neue Soja- und Palmölplantagen investiert, "für die intakte Urwaldgebiete weichen müssen", sagt etwa Greenpeace-Experte Martin Kaiser.
Fakt ist: Der Klimanutzen von Agrotreibstoffen wird häufig überschätzt. Der meist düngemittelintensive Biomasse-Anbau und die energieintensive Weiterverarbeitung frisst den CO2-Vorteil, den Agrosprit gegenüber konventionellem Treibstoff hat, zu großen Teilen wieder auf. Experten von der Weltgesundheitsorganisation oder der Industrieländerorganisation OECD fürchten eine Konkurrenz von Tank und Teller. Sie warnen, dass der Energiepflanzenanbau den Hunger auf der Welt verschärft.
Der Vorsitzender des Umweltverbandes Bund, Hubert Weiger, fordert deshalb, die Quotenregelung komplett abzuschaffen, "solange nicht sichergestellt ist, dass Energiepflanzen nach strengen ökologischen Kriterien angebaut" werden. "Was wir wirklich brauchen, sind ein Tempolimit und sparsamere Autos."
Den Autokonzernen wiederum ist lieber, durch Agrosprit die Klimabilanz zu verbessern, als wirklich energieeffiziente Autos zu bauen. Die Liebe zum "Biosprit" teilte die Raserlobby mit der einst rot-grünen Bundesregierung. Ab 2004 hatte diese den Alternativkraftstoff komplett von der Mineralölsteuer befreit und damit einen ungeahnten Boom ausgelöst. Entgegen den ursprünglichen Absprachen begrenzte die große Koalition den Steuerbonus, setzte aber weiter auf den Sprit aus Soja, Raps, Mais, Palmöl und Zuckerrüben - nur eben durch eine Beimischungsquote.
Eine klima- und umweltverträgliche Produktion von Agrosprit konnte aber bis heute keine Bundesregierung garantieren, obwohl das Meseberg-Programm genau das fordert. Greenpeace wies erst kürzlich darauf hin, dass die Tankstellenbetreiber meist nicht wissen, woher der von ihnen beigemischte Agrosprit stammt. Geschweige denn, ob er nachhaltig produziert wurde.
Während die erste Generation von Agrosprit von der Regierung fallen gelassen wurde, wartet schon die zweite, die synthetische. Dieser ist für alle Fahrzeuge verwendbar, während sein Vorgänger Dichtungen im Motor angreifen kann und deshalb für viele Autos nur als Beimischung bekömmlich ist. Und: War die Branche bisher in der Hand von Mittelständlern, lässt sich der synthetische Kraftstoff nur industriell herstellen - von der Großindustrie.
Unzählige Fachgremien haben Regierung und Bundestag immer wieder darauf hingewiesen, dass die Nutzung von Energiepflanzen sehr wohl sinnvoll sein kann - nämlich zur Strom- und Wärmeproduktion. Sowohl die Energie- als auch die Klimabilanz dieser Art der Nutzung von Raps, Mais & Co. ist um Längen besser als im Autotank. Doch das Expertenwissen wurde in den Wind geschrieben. Die im Meseberg-Programm anvisierte Minderung des deutschen CO2-Ausstoßes um etwa 15 Millionen Tonnen pro Jahr dürfte mit dieser Politik weit verfehlt werden.
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