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Dümpeln im Waterkantgate

■ Der Waterkantgate–Skandal zieht seine Kreise: Grabenkämpfe bei der CDU, Ratlosigkeit und Desorientierung bei der SPD / Engholm auf Tauchstation, Jansen übt sich in Abstinenz / Börnsen als landespolitischer Alleinunterhalter / Basis hegt Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Parteispitze

Aus Kiel Jürgen Oetting

Die Kieler SPD–Landtagsfraktion befindet sich in diesen Tagen in einem desolaten Zustand. Es sieht fast so aus, als gäbe es an der Förde neben dem „Südschleswigschen Wählerverband“ (SSW) eine zweite Ein–Mann–Fraktion. Der parlamentarische Geschäftsführer der Sozialdemokraten Gert Börnsen spielt zur Zeit den landespolitischen Alleinunterhalter seiner Partei. Er ist SPD–Obmann im Barschel/Pfeiffer–Ausschuß, er spricht auf den häufigen Pressekonferenzen für seine Fraktion, auch wenn es um anderes als die Waterkantgate–Affäre geht. Seine FraktionskollegInnen zeigen sich vom Skandal gelähmt. Sichtbare Unterstützung von seinen GenossInnen erhält Gert Börnsen nicht. Sein Fraktionsvorsitzender Björn Engholm steht zwar nicht auf der Vermißtenliste, wurde aber im Kieler Landeshaus seit Tagen nicht mehr gesehen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Klaus Klinger ist mit seiner Tätigkeit als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses voll ausgelastet. Vor einer Arbeitsüberlastung der anderen Engholm–Vertreterin Gisela Böhrk ist im Landeshaus nichts bekannt. Trotzdem, ersetzt hat sie ihren abwesenden Oppositionsführer in diesen Tagen nicht, sie hat nicht einmal den Versuch dazu unternommen. Der Presse fällt sie nur als gelegentliche Zuhörerin im Untersuchungsausschuß auf. Dort trifft mensch auch die eine oder den anderen SPD–Abgeordneten, die ansonsten nicht über Langeweile oder Beschäftigungslosigkeit klagen, immer abgesehen von den vier Ausschußmitgliedern und ihren Stellvertretern. Normalität will sich nicht einstellen Landespolitische Alltagsarbeit findet in Schleswig–Holstein nicht statt. Darunter leiden besonders die Neuen in der SPD–Fraktion. Ihre Schreibtische wirken seltsam leer und aufgeräumt. Nach der Lektüre der Regionalpresse gibt es nichts mehr zu tun. Dann geht es in die Landtagskantine, Kaffee schlürfen und Weinbrand kippen. Prächtige Zeiten für Journalisten eigentlich, denn selten waren so viele Abgeordnete so gierig auf der Suche nach Gesprächspartnern. Wenn es aus der gelähmten Fraktion nur etwas zu erzählen gäbe. Auch die lokale SPD–Basis - vom Zweifel an die Glaubwürdigkeit ihrer Führern geplagt - ist still geworden. Das Bild sozialdemokratischer Hilflosigkeit wird durch die landespolitische Abstinenz des Parteivorsitzenden Günther Jansen vervollständigt. Seit bekannt wurde, daß er und sein Pressesprecher Klaus Nilius schon vor der Landtagswahl Kontakte zu Reiner Pfeiffer hatten - was wochenlang dementiert und dann in Raten zugegeben wurde -, meidet er die Landeshauptstadt auffällig. Aus einer gemeinsamen Sitzung des Landesvorstandes und der Landtagsfraktion wurde Anfang des Monats berichtet, daß Jansen zum sofortigen Rücktritt bereit gewesen sei. Er könne nicht damit fertig werden, einer der Hauptverantwortlichen dafür zu sein, daß die Nord–SPD sich knöcheltief in den Morast begeben habe, in dem die CDU bis zur Nase steckt. Mühsam wurde Jansen von seinen GenossInnen überredet, zu bleiben. Dafür wurde das „Bauernopfer“ Nilius gebracht. Das Amt des Pressesprechers wird jetzt vom persönlichen Referenten Engholms wahrgenommen. Letztlich wird die SPD aber doch einen neuen Landesvorsitzenden erhalten: Auf dem Parteitag am 21. November wird Günther Jansen nicht wieder kandidieren, was er übrigens schon vor zwei Jahren angekündigt hatte. Es waren nur innerparteiliche Überlegungen laut geworden, die Neuwahl des Vorsitzenden nach den Jansen/Nilius–Enthüllungen auf einen Zeitpunkt nach den Landtagswahlen des nächsten Jahres zu verschieben, damit die SPD mit derselben Führungsspitze wie im September antreten könne. Doch Günther Jansen will nicht mehr. Die neuesten Informationen aus der Landesgeschäftsstelle dürften ihm nachträglich jede Lust zur Parteiführung genommen haben. Bisher hatte die SPD heftig de mentiert, daß sie im Verlauf der „AIDS–Kampagne“ gegen Engholm ein fingiertes Schreiben Pfeiffers an Jansen erhalten habe. Am vergangenen Donnerstag räumte Landesgeschäftsführer Klaus Rave dann ein, der Brief sei tatsächlich in der Geschäftsstelle angekommen, aber von einer Mitarbeiterin vernichtet worden, wie das bei gelegentlich eingehenden „Schmuddelbriefen“ üblich sei. Jansen als Schattenminister Ein Jansen–Nachfolger für den Parteivorsitz ist bereits gefunden. Der Landesvorstand nominierte in der vergangenen Woche den 38jährigen Europa–Abgeordneten Gerd Walter. Damit wird unter die politische Tradition des gerade verstorbenen Jochen Steffen ein endgültiger Schlußstrich gezogen. Mit Günther Jansen verläßt ein von Steffen selbst erwünschter Nachfolger die Kommandobrücke. Bei Jansen waren noch manchmal Steffens Radikalität und sozialistische Visionen spürbar, obwohl er nie die Popularität und das theoretische Niveau seines Lehrers erreichte. Er blieb immer der Dorfbürgermeister - im ostholsteinischen Süsel -, der es zu einem Bundestagsmandat gebracht hatte, in Bonn eher übersehen als beachtet. In Schleswig–Holstein aber war Jansen Hoffnungsträger für Parteilinke und AtomkraftgegnerInnen. Als designierter Energieminister gelang es ihm mit seinen AKW–Ausstiegsmodellen, den Grünen schmerzhaft viele Stimmen abzujagen. Ob er darin bei Neuwahlen wieder so erfolgreich ist, wird selbst von Sozialdemokraten bezweifelt. Er soll zwar wieder Schattenminister werden - daran gibt es in der Partei keinen Zweifel -, aber ohne den Bonus des Landesvorsitzenden könnte er in der Ausstiegsfrage leicht in die Minderheit geraten. Schon im vergangenen Wahlkampf kam es zwischen ihm und dem Spitzenkandidaten deswegen zu Unstimmigkeiten. Engholm äußerte sich im energiepolitischen Zusammenhang sehr viel zurückhaltender als sein Vorsitzender. Mit dem Neuen dürfte Engholm besser zurechtkommen: Gerd Walter und er verkörpern beide den modischen Machertyp einer Volkspartei der neunziger Jahre. Die Nominierung Walters wird von der schleswig–holsteinischen Linken als Rechtsruck der Landes–SPD gewertet, die sich über Jahrzehnte als Linksaußen der Bundespartei gefiel. Ob aber das Tandem Engholm/Walter zum Wahlkampfgespann des Frühjahrs 1988 wird, ist noch fraglich. Wiederholt hat der Spitzenkandidat darauf hingewiesen, Politik für ihn könne auch so unerträglich werden, daß ein Rückzug aus diesem Geschäft denkbar sei. In der Partei mehren sich indes die Stimmen, die an der Kompetenz und Souveränität eines Ministerpräsidentenkandidaten zweifeln, der bei Bekanntwerden der Schmutzaffäre gegen ihn das Handtuch geworfen hätte. Damit hatten Jansen und Nilius ihre angebliche Geheimniskrämerei gegenüber Engholm begründet. Der hat das nie dementiert. Das nährt den Eindruck, Engholm sei unfähig, dramatische politische Situationen zu meistern. Die schleswig–holsteinischen Sozialdemokraten tun sich mit dem Skandal schwer, besonders mit ihrer Position zu Reiner Pfeiffer. Einerseits müssen sie sich von dem windigen Wahlkampfartisten deutlich distanzieren, er war schließlich Hauptaktiver im Vernichtungsfeldzug Barschels gegen die SPD. Andererseits ist er ihr Hauptzeuge. Ohne Pfeiffers Spiegel–Enthüllungen wäre wohl nichts ans Licht gekommen. In diesem Dilemma rächt sich Gert Börnsens Personalunion als Ausschuß–Obmann und derzeit einziger Fraktionssprecher. Als er in einer Podiumsdiskussion Pfeiffer indirekt einen „Verrückten“ nannte, sagte er für einen Parteipolitiker etwas Selbstverständliches. Daraus gründete dann Pfeiffers Anwalt Hajo Wandschneider seinen Befangenheitsantrag gegen den Sozialdemokraten: Börnsen habe fundamentale Grundregeln der Gerichtsbarkeit verletzt, weil er während eines schwebenden Verfahrens über einen Zeugen - und das auch noch in aller Öffentlichkeit - geurteilt habe. Der Befangenheitsantrag wurde vom Ausschuß nicht akzeptiert, seitdem schweigt Reiner Pfeiffer. Das kann nicht im Sinne der SPD sein, oder?

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