"Dschungel statt Öl"-Projekt in Ecuador: Hier wird nicht gebohrt
Der Yasuní-Nationalpark zählt zu den artenreichsten Regionen. Damit das so bleibt, soll dort kein Öl gefördert werden. Für den Profitausfall könnte die Staatengemeinschaft aufkommen.
COCA/NUEVO/ROCAFUERTE taz | Rosarote Delfine tollen in der Mitte des Flusses, kreischende Affen springen durch das Geäst der Urwaldriesen am Ufer. Ara-Pärchen und Papageienschwärme ziehen über den Himmel. Bei Einbruch der Dunkelheit schwillt das Vogelkonzert an. Hier, im ecuadorianischen Amazonasgebiet unmittelbar an der Grenze zu Peru, zeigt sich der Regenwald von seiner faszinierendsten Seite.
Der Yasuní-Nationalpark ist eine der doi/10.1371/journal.pone.0008767:artenreichsten Regionen der Welt. Wissenschaftler haben eine rekordverdächtige Vielfalt von Fledermäusen, Ameisen und Käfern identifiziert. Eine neue Studie führt 150 Lurch-, 121 Reptilien- und 596 Vogelarten auf. Auf der Fläche eines Fußballfeldes gibt es fast soviele Baumarten wie in ganz Nordamerika. Der Park ist der traditionelle Lebensraum der Huaorani-Indígenas sowie der Tagaeri und der Taromenane, zweier Urvölker, die dem Kontakt mit den Weißen aus dem Weg gehen.
Seit knapp drei Jahren macht unter dem Stichwort "Dschungel statt Öl" eine von Umweltgruppen entwickelte Klimaidee Furore: Jenes Erdöl, das im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks lagert, dem Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Korridor (ITT), soll im Boden bleiben. Es handelt sich um knapp 850 Millionen Barrel, ein Fünftel der landesweiten Ölreserven. Im Gegenzug, so die Hoffnung, bringt die internationale Gemeinschaft als Ausdruck ihrer "Mitverantwortung" 20 Jahre lang die Hälfte der erwarteten Deviseneinkünfte auf, 350 Millionen Dollar im Jahr.
Im östlichen Teil des Yasuní-Nationalparks, dem Ishpingo-Tambococha-Tiputini-Gebiet (ITT), lagern 850 Millionen Barrel (à 159 Liter) schweres Erdöl. Das entspricht 20 Prozent der Ölreserven Ecuadors oder zehn Tagen des weltweiten Ölverbrauchs. Die Regierung beziffert den möglichen Reingewinn für das Land auf 7 Milliarden Dollar - daher der Vorschlag, man werde auf die Förderung verzichten, wenn die internationale Gemeinschaft mindestens die Hälfte davon aufbringt. Mit dem UN-Entwicklungsprogramm verhandelt Quito über die Einrichtung eines Treuhandfonds, aus dem Umwelt- und Sozialprojekte finanziert werden sollen. Vorgesehen ist dabei ein paritätisch aus UN-Funktionären und Ecuadorianern besetztes Entscheidungsgremium. (gd)
Fünf Monate nach seinem Amtsantritt im Juni 2007 erklärte Ecuadors linker Präsident Rafael Correa die Yasuní-ITT-Initiative zum Regierungsprojekt. Mit besonders großer Begeisterung wurde das Projekt in Deutschland aufgenommen. Ein Jahr später unterstützte es der Bundestag in seltener Einhelligkeit, im Juni 2009 stellte die Bundesregierung über 13 Jahre je 50 Millionen Euro in Aussicht.
Die Mittel sollen in einen bei der UNO angesiedelten Treuhandfonds eingezahlt werden - für den Erhalt von Naturschutzgebieten, Wiederaufforstungsprogramme, den Ausbau erneuerbarer Energien, Energiesparprogramme und Sozialprojekte. Doch dieser Fonds ist bis heute nicht eingerichtet - Staatschef Correa fordert seit neuestem die Stimmenmehrheit für Ecuador.
Für den renommierten US-Ökologen Thomas Lovejoy zielt der Vorschlag auf die zwei größten Ursachen des Klimawandels, die fossilen Brennstoffe und die Urwaldzerstörung: "Es ist fantasievoll und ermutigend, dass es eine Regierung gibt, die überhaupt daran denkt, dass man auf Ölförderung verzichten könnte".
Doch was halten die Menschen in der Amazonasregion selbst von dem Vorschlag? Eine von der NGO Acción Ecológica organisierte Bootsfahrt auf dem Amazonas-Nebenfluss Napo gibt Aufschluss. Von Coca, der Hauptstadt der Urwaldprovinz Orellana, geht es rund 250 Kilometer flussabwärts nach Osten bis Nuevo Rocafuerte kurz vor der peruanischen Grenze. An den engsten Stellen ist der Napo immer noch einen halben Kilometer breit. Er gehört zur Verkehrsachse zwischen der Amazonasmetropole Manaus und dem Pazifikhafen Manta, die die Regierungen Brasiliens und Ecuadors planen: Wenn er einmal ausgebaggert ist, soll hier brasilianisches Soja nach Asien verschifft werden.
Flammen am Himmel
Schon bald schießen linker Hand hinter den Bäumen zwei Flammen in den Himmel. Es ist der Beginn des Ölfelds Sacha. Früher wurde es von Texaco betrieben, nun soll ein Joint Venture zwischen den Staatsbetrieben Petroecuador und PDVSA aus Venezuela die Tagesproduktion von 48.000 auf 70.000 Barrel steigern.
Immer mehr Fähren ziehen vorbei. Sie bringen Lastwagen, Kräne und dicke Betonrohre in die Fördergebiete, etwa zur Hafenanlage Itaya. Seit 2008 wird der Block 15 von Petroamazonas gemanagt, einer ecuadorianischen Aktiengesellschaft mit öffentlichem Kapital. Unmittelbar daneben leben 120 Kichwa-Indígenas vom Kakao-, Kaffee- und Maisanbau. Ein paar Kinder spielen auf dem Fußballplatz.
"Hier verseuchen 18 Bohrlöcher das Wasser", sagt Daniel Tangüela, einer ihrer Sprecher, im schmucklosen Gemeinschaftsraum des Dorfes. "Fische gibt es kaum noch, und der ständige Lärm vertreibt die wilden Tiere." Dennoch trauert er dem US-Multi Occidental Petroleum (Oxy) nach: "Die haben uns wenigstens als Bootsfahrer verpflichtet, die Verträge eingehalten, unsere Schule unterstützt".
Gedämpft ist auch die Stimmung auf der Gemeindeversammlung in Pañacocha, eine weitere Stunde flussabwärts. "Petroamazonas kauft uns nicht einmal unser Obst und Gemüse ab", sagt Dorfvorsteher Nelson Rivadeneira, "alles lassen sie von außen herbringen." Heute sei die Umweltverschmutzung nicht mehr so offensichtlich wie in den Achtzigerjahren, als Texaco am Oberlauf des Napo und seinen Nebenflüssen wütete: "Damals war der ganze Fluss mit einer schwarzen, fünf Zentimeter dicken Ölschicht bedeckt. Viele sind an Krebs gestorben".
"Die Ölfirmen haben uns gespalten", berichtet der Endvierziger. "Nie reden sie mit allen, sie greifen sich einzelne Leute oder Gruppen heraus und machen Versprechungen. Den Reichtum schaffen sie weg, die Armut bleibt." In Pañacocha hat sich ein Teil der Gemeinde abgespalten, nun beschäftigt der Streit die Justiz.
Lebensweisen verändert
Lebensweise und Kultur der Kichwa und der mestizischen Siedler, die sich vor Jahrzehnten am Napo niederließen, hätten sich radikal gewandelt. "Wir waren Bauern, die sich gegenseitig ausgeholfen haben. Heute geht alles nur gegen Bezahlung", bedauert Rivadeneira. "Früher wussten wir nicht, was Zeit ist, heute geht alles nach der Uhr. Kleidung, Ess- und Trinkgewohnheiten, Sprache, alles ist heute anders. Unsere Kinder schämen sich, Kichwa zu sprechen".
Das Prinzip des "guten Lebens" (auf Kichwa: "sumak kawsay"), das Ecuadors neue Verfassung prägt, ist für ihn eine sehr konkrete Angelegenheit: "Gesundheit, gutes Essen, Ruhe, das müssen wir zurückgewinnen." Auch deswegen begrüßt er die Yasuní-ITT-Initiative, allerdings fragt er: "Was haben wir davon? Wir bräuchten mehr Know-how für die Verarbeitung unseres Kakaos oder der Hühner - und Absatzmärkte. Diese Mittel müssten gerecht und transparent verwaltet werden".
Selbst in den Gemeinschaften, die direkt an den noch unberührten Teil des Nationalparks angrenzen, kennt man das Projekt nur vom Hörensagen. "Einmal ist Staatspräsident Correa mit einem Hubschrauber hereingeschwebt", berichtet Franklin Cox, der Bürgermeister der Kommune Aguarico. "Unser Haushalt kommt komplett aus den Steuern der Ölfirmen", sagt er, "doch immer mehr davon bleibt in Quito: 2007 hatten wir 1,4 Millionen Dollar, die beiden darauffolgenden Jahre nur noch die Hälfte, und für 2010 ist noch alles offen."
Die Verbindung mit dem Öl ist so eng, dass ein Bohrturm das kommunale Wappen in seinem Büro ziert, ebenso wie seine Visitenkarte. Auf dem Gebiet der weitläufigen, aber dünnbesiedelten Kommune ist auch der spanische Konzern Repsol aktiv. Wegen der Verseuchung einer acht Hektar großen Fläche im Yasuní-Park hat Cox den Multi auf 3,1 Millionen Schadensersatz verklagt.
Ölsuche mit Dynamit
Im Block 31, der an das ITT-Gebiet angrenzt, will Petroamazonas mit Dynamit nach Öl suchen. "Doch mit mir reden die nicht, sondern nur direkt mit den Leuten vor Ort. Sie bieten ihnen 40 Cent pro Hektar, das ist absurd", sagt der Bürgermeister. "Natürlich bin ich dafür, das Öl im Boden zu lassen - wenn wir einen Teil des Geldes für echte lokale Entwicklung bekommen", sagt Cox, "der Yasuní könnte eine wunderbare Touristenattraktion werden." Schon jetzt träumt Bürgermeister Cox von Trinkwassersystemen und einem Flugplatz. "Das Hauptproblem ist allerdings: Kaum jemand kennt das Projekt".
Das gilt auch für den verschlafenen Grenzort Nuevo Rocafuerte mit seinen 600 Einwohnern. Und das, obwohl Vizepräsident Lenín Moreno hier geboren wurde und auch schon zweimal selbst vorbeigekommen ist, wie Blanca Acero erzählt. Sie selbst betreibt eine kleine Unterkunft und sagt: "Unser Dorf lebt vom Tourismus, wie schön wäre es, wenn es dabei bliebe!" Spanische Jesuiten haben das beste Krankenhaus weit und breit aufgebaut, die Strandpromenade ist gepflastert. Doch die Ladenbesitzerin Tomasa Guillín schimpft: "Es gibt keine Arbeit für meine Kinder, die Regierung hat uns im Stich gelassen".
Plan B Förderoption
Nach drei Tagen Erkundungsmission ziehen die BesucherInnen in der Provinzhauptstadt Coca ein ernüchterndes Fazit: Die ecuadorianische Regierung hat bisher offenbar noch nichts unternommen, um die Yasuní-ITT-Initiative in Amazonien selbst bekannt zu machen. Gelegentliche Visiten von Ökoaktivisten aus der Hauptstadt können dieses Defizit nicht ausgleichen. Präsident Rafael Correa wolle sich die Förderoption offenhalten, das steht für Esperanza Martínez von Acción Ecológica fest: "Parallel zur Initiative hat man den sogenannten Plan B vorangetrieben - für den Fall, dass die Mittel nicht zusammenkommen. Wir hingegen fordern die Ausweitung des Förderstopps auf den Block 31."
"Es ist fantastisch, dass die Bundesrepublik Deutschland den Regierungsvorschlag unterstützen will", sagt Cocas engagierte Bürgermeisterin Ana Rivas von der Indígenapartei Pachakutik, "aber der ist noch nicht vollständig. Die Behörden vor Ort müssen mitreden dürfen, ebenso die betroffenen Gemeinschaften, die Huaorani, die Kichwas, die Mestizen."
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