piwik no script img

"Dschihad gegen die Kinder"Das Kreuz mit den Kreuzen

Ein rumänischer Philosophielehrer kämpft gegen Ikonen im Klassenzimmer. Jetzt erhält er Morddrohungen.

Starrt gerne Schulkinder an: Der heilige Johannes. Bild: dpa

BUSAU taz Schon wieder haben die Schüler es getan, er kann es ihnen einfach nicht ausreden. Er ist in den Klassenraum gekommen, und sie haben sich wie auf Kommando erhoben, um vor ihm strammzustehen und ihn im Chor zu begrüßen: "Guten Tag, Herr Lehrer!" Emil Moise schüttelt den Kopf. "Ihr solltet das doch lassen!", ruft er mahnend, "habe ich euch das nicht schon so oft gesagt?!"

Logik-Stunde, Klasse 9 des Landwirtschaftskollegs Dr. C. Angelescu in der südostrumänischen Stadt Buzau. Der Unterricht von Emil Moise ist anders als üblich. Nicht nur das Strammstehen lehnt der 39-jährige Philosophielehrer ab. Er diktiert auch wenig, lässt die Schüler dafür umso mehr diskutieren.

Und noch etwas fällt auf im Klassenraum: Es hängen keine Ikonen an den Wänden. Emil Moise hat die orthodoxen Heiligenbilder abgenommen. "Religiöse Symbole in der Schule dogmatisieren die Kinder", sagt er. "Und zu dogmatisieren ist der Schule als öffentlicher Einrichtung in einem laizistischen Staat verboten."

Die Schüler starren ihren Lehrer halb ehrfürchtig, halb verwundert an. Dabei kennen sie seine Haltung zur Ikonenfrage schon lange, schließlich ist er damit in ganz Rumänien bekannt geworden. Seit drei Jahren streitet Emil Moise vor Gericht dafür, dass Ikonen aus Schulen verschwinden.

Geistige Schutzschilder

Es ist etwas Unerhörtes. Ikonen hängen in nahezu jedem rumänischen Klassenraum. Sie sind so etwas wie geistige Hinweis- und Schutzschilder. Wer sie abnimmt, will Werte, Regeln und Traditionen zerstören.

Ikonen hängen auch in anderen staatlichen und öffentlichen Einrichtungen, in Behörden, Ministerien und Krankenhäusern. Rumänien ist nur auf dem Papier ein laizistischer Staat. In Wirklichkeit sind Staat und orthodoxe Kirche in vielen Bereichen eng verflochten. Das Bildungswesen betrachtet die Kirche dabei als eine ihrer wichtigsten Domänen.

Religionsunterricht findet von der ersten bis zur achten Klasse quasi obligatorisch statt: Nur auf Antrag hin können Eltern ihre Kinder davon befreien lassen, Alternativunterricht gibt es keinen. Die orthodoxe Kirche bestimmt Form und Inhalt des Religionsunterrichtes, Religionslehrer können nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, oft sind es Priester, die das Fach Religion an Schulen lehren. Religionsunterricht ist fast überall orthodoxe Betstunde und Pauken des orthodoxen Katechismus, für religiöse Minderheiten gibt es meistens nur dort eigenen Religionsunterricht, wo sie in größerer Zahl leben, wie beispielsweise die Ungarn in Siebenbürgen.

Emil Moise ist orthodoxer Christ. Lange Zeit beschäftigte ihn das Thema Schule und Kirche nicht. Bis er selbst Lehrer und seine Tochter Teodora eingeschult wurde. Das war im September 2001. An seiner Schule fielen ihm als Erstes die allgegenwärtigen Ikonen auf. Er hatte ein ungutes Gefühl. Bald war er entsetzt. Zum Beispiel über die Art des Religionsunterrichts an der Schule seiner Tochter Teodora. Eines Tages, nicht lange nach ihrer Einschulung, bat sie ihn um Geld, sie wollte sich eine Halskette mit einem Kreuz kaufen. Im Unterricht hatte die Religionslehrerin eine Teufelsgestalt an die Tafel gemalt und den Erstklässlern gedroht: Satan würde leibhaftig erscheinen und Schlimmes anrichten, wenn die Kinder kein Kreuz trügen.

Es waren diese und eine Reihe ähnlicher Erfahrungen, die Moise schließlich veranlassten, gegen die "Indoktrination der Kinder durch Ikonen" vorzugehen. Ende 2004 klagte er zum ersten Mal vor Gericht gegen die "Präsenz religiöser Symbole" in Schulen. Er verlor den Prozess wie auch ein halbes Dutzend weiterer Prozesse. Dann, im November 2006, fällte der Nationale Antidiskriminierungsrat (CNCD) ein Urteil in seinem Sinne: Er verpflichtete das Bildungsministerium, Ikonen - mit Ausnahme der im orthodoxen Religionsunterricht verwendeten - aus den Schulen entfernen zu lassen. Begründung: Orthodoxe Heiligenbilder an öffentlichen Schulen diskriminieren Andersgläubige wie auch Atheisten.

Urteil bestätigt

Das Urteil wurde inzwischen mehrmals von Gerichten bestätigt, zuletzt vor zwei Wochen: Ikonen haben in der Schule nichts zu suchen, entschied der Bukarester Berufungsgerichtshof. Vergeblich. Sie hängen weiterhin in rumänischen Klassenräumen, das Bildungsministerium weigert sich, die Urteile umzusetzen. Offizielle Begründung: Sie seien nicht endgültig. Dabei müssen Urteile des Antidiskriminierungsrats laut rumänischer Gesetzeslage unverzüglich umgesetzt werden, egal wie ein Gericht zu einem späteren Zeitpunkt über sie befindet.

"Die rumänische Politik ist der orthodoxen Kirche geradezu hörig", konstatiert der Bukarester Politologe Cristian Pîrvulescu, der das Verhältnis von Staat und Kirche seit Langem beobachtet. "Die Politik hat nicht den Mut, laizistische Werte zu fördern und den weltlichen Charakter des rumänischen Staates zu betonen."

Wie sich das auswirkt, zeigt eine landesweite repräsentative Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Metro Media Transilvania vom Dezember 2007, in Auftrag gegeben von der rumänischen Regierung. Dabei wurden Lehrer und Schüler der Klassen 7 bis 12 an 160 Schulen detailliert zu Inhalten und Formen des Unterrichts befragt. Unter den Schülern waren 73 Prozent der Ansicht, dass der Mensch von Gott erschaffen worden sei. Immerhin 60 Prozent fanden, dass nicht die Wissenschaft, sondern die Religion am besten erklären könne, wie Universum und Mensch entstanden seien.

Die Ergebnisse der Untersuchung bewertet Pîrvulescu als "trauriges Zeichen für die Zukunft der Demokratie in Rumänien". Im rumänischen Bildungswesen werde kritisches Denken kaum stimuliert. "Seit 2006 taucht beispielsweise in keinem offiziellen Schulbuch mehr ein Kapitel über Darwins Evolutionstheorie auf, das Thema wurde aus dem Lehrplan für Biologie gestrichen", sagt Pîrvulescu. "Das ist ein Schritt in Richtung Mittelalter."

"Ritualismus"

Von "mittelalterlichen Mentalitäten" spricht auch Smaranda Enache. Die Vorsitzende der Bürgerrechtsorganisation Liga Pro Europa stellte Mitte Januar eine Studie zum Religionsunterricht in öffentlichen Schulen vor. Darin werden unter anderem Inhalte von 32 Religionslehrbüchern analysiert. Die Autoren fanden zahlreiche Beispiele für "Botschaften der Gewalt", "exzessiven Ritualismus" und "religiöse Intoleranz": Ungehorsame, nicht gottesfürchtige Kinder werden von Autos überfahren, fallen von der Leiter oder müssen ihre Ferien im Krankenbett verbringen, wer fleißig betet, besteht Prüfungen, nichtorthodoxe Konfessionen sind das Werk von Dämonen. Die Bukarester Tageszeitung Gândul empörte sich daraufhin über den "Horror-Gott der Lehrbücher" und sprach von einem "Dschihad gegen die Kinder".

Constantin Stoica, der Sprecher des Patriarchen der rumänischen orthodoxen Kirche, bezeichnet die Studie als "tendenziös", weil sie "einige unglückliche Beispiele" verallgemeinere, statt die Vorteile des Religionsunterrichts zu betonen. "Dort vermitteln wir Werte wie Wahrheit, Liebe, Schönheit und das Gute", sagt Stoica. "Europa darf nicht in geistiger Kälte erstarren."

Die orthodoxe Kirche Rumäniens hat kürzlich eine Kampagne unter dem Motto "Keine Schule ohne Gott" gestartet. Anlass ist die Debatte über das neue Bildungsgesetz, das dem Parlament vorliegt und demnächst verabschiedet werden soll. Die orthodoxe Kirche möchte durchsetzen, dass Religion - anders als derzeit - auch in den Klassen 9 bis 12 zum Pflichtfach wird, das man nur auf Antrag abwählen kann. "Wir haben Tausende zustimmender Briefe und E-Mails bekommen", sagt Stoica. "Religion vom Schulanfang bis zum Schulende ist der Wunsch des rumänischen Volkes."

Viele Schüler am Landwirtschaftskolleg Dr. C. Angelescu beschweren sich über die Qualität des Religionsunterrichts. Einer der Lehrer spreche des Öfteren beleidigend und mit Schimpfwörtern, manchmal erscheine er angetrunken zum Unterricht, heißt es unter Schülern, außerdem habe man das Gefühl, in der Religionsstunde kaum etwas Relevantes über Moral und Ethik zu lernen. Auch die Ikonen spielen für die meisten Schüler offenbar kaum eine Rolle. Nur einige wenige sind ausdrücklich für oder gegen ihre Präsenz in Klassenräumen.

Gast in Talkshows

Es imponiert den Schülern freilich, dass Emil Moise offen gegen ein ganzes System aufbegehrt. Häufig ist er Gast in Fernsehtalkshows und spricht dort nicht nur über die Ikonenfrage, sondern auch über andere Probleme im Schulwesen: über die verbotene, aber verbreitete Praxis, Schüler zu züchtigen, oder über die Korruption im Bildungswesen.

Im Lehrerzimmer gefrieren die Gesichter, wenn Moise hereinkommt. Der Religionslehrer Cristian Banu geht wortlos und mit starrer Miene an ihm vorbei. Nur die Englischlehrerin Izabella Tudosache ist bereit, sich zu äußern. Sie weist auf eine Ikone an der Wand. "Das zeigt ja wohl, wie die meisten von uns über die Initiative des Kollegen Moise denken", sagt die 40-Jährige kühl. "Die orthodoxe Religion ist die Religion der Mehrheit. Wenn Kinder anderer Konfessionen eine Ikone anschauen, passiert ihnen ja dadurch nichts."

Für die meisten Lehrer an seiner Schule ist Emil Moise ein Störenfried, sie wären ihn gerne los. Und nicht nur sie. Das Kreisschulamt schikaniert Moise mit häufigen Kontrollen seiner Lehrtätigkeit. Oft beschimpfen ihn anonyme Anrufer, manchmal erhält er Todesdrohungen, der Berater des Bischofs im Kirchenbezirk Buzau ließ ihm ausrichten, er habe ihm einen Platz auf dem Friedhof reserviert, er solle ihn doch bitte benutzen.

Moise nimmt es gelassen. Er hat keine Angst, er sieht sich nicht als Opfer. Er berichtet über die Drohungen wie von etwas Störendem, Unangenehmem. "Eigentlich zeigt das doch nur, dass ich auf dem richtigen Weg bin", sagt er. "Ich werde so lange weiterprozessieren, bis die Rechte der Schulkinder respektiert und die Gesetze endlich eingehalten werden."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!