: Druck auf Mölln-Prozeß wächst
Der 5. Prozeßtag gegen die mutmaßlichen Attentäter von Mölln unter dem Eindruck des Solinger Anschlags / Beängstigende Parallelen ■ Aus Schleswig Bascha Mika
Solingen – Mölln. Die Parallelen sind unübersehbar. Die Opfer: türkische Familien, die seit Jahrzehnten in der Bundesrepublik leben. Die Häuser: ausschließlich von AusländerInnen bewohnt. Die Anschläge: Brennstoff ins Treppenhaus geschüttet und dann angezündet. Die Toten: Frauen und Kinder. Die Täter: fast sicher Rechtsradikale. Die Hintergründe: eine Skin- und Faschoszene, die in der Gegend seit langem ihr Unwesen trieb – unbehelligt von Polizei und Justiz. Unüberhörbar stand der 5. Prozeßtag gegen die mutmaßlichen Mörder von Mölln unter dem Eindruck des neuesten Brandanschlags in Solingen. Verteidiger und Nebenklägervertreter vor dem II. Strafsenat des Oberlandesgerichts in Schleswig waren sich einig: Der Druck auf das Verfahren ist enorm gewachsen. Wo Politiker wie Innenminister Seiters die Gewaltenteilung vergessen und lautstark schnelle und harte Verurteilungen propagieren, wo die Öffentlichkeit nach Schuldigen verlangt, um das bessere vom schlechteren Deutschland zu scheiden, stehen die Aussichten für einen fairen Prozeß nicht gut.
„Nach den Taten von Solingen ist hier ein Freispruch nicht mehr möglich,“ spitzte Rolf Bossi, Anwalt des Angeklagten Lars Christiansen die Lage zu. Bossi versuchte seine Schlappe vom letzten Prozeßtag wettzumachen. Am Freitag hatte das Gericht seinen Antrag auf ein absolutes Verwertungsverbot sämtlicher Vernehmungsprotokolle von Lars Christiansen abgelehnt. Gestern stellte er neue Anträge: Der psychiatrische Sachverständige, der Christiansen untersucht hatte, sei als befangen abzulehnen, weitere Gutachter heranzuziehen. Nebenbei unterstellte er noch dem Gericht Inkompetenz und beschwerte sich, daß „die Riege alter Männer auf der Richterbank“ über seinen jugendlichen Mandanten ein Urteil fällen sollte. Dann holte Bossi weit, weit aus. Fast zwei Stunden geißelte er das Nazi-Regime und seine Richter, die trotz ihrer Bluttaten nach 1945 ungeschoren davongekommen sind. „Herr Kohl,“ so Bossi schnarrend, „möge seine Beileidsbekundungen vor verbrannten Häusern einstellen, solange er einen Kurt Filbinger im CDU-Vorstand beschäftigt.“ Was blieb den Prozeßbeobachtern da anderes übrig, als zustimmend zu nicken, auch wenn Filbinger nicht mehr im CDU- Vorstand sitzt? Doch beim Fazit, das Bossi zog, hörte die Zustimmung auf: Alt-Nazis seien die wahren Verantwortlichen für die neuesten Anschläge und „junge Menschen gäben nur das wieder, was ihnen alte Nazis in ihrem Umfeld vermitteln.“
Bei dieser steilen Verführungsthese zugunsten der Angeklagten platzte der Vertreter der Bundesanwaltschaft aus seiner Richelieu- Robe: Er wolle ja gar nicht behaupten, so Oberstaatsanwalt Pflieger scheinheilig wütend, daß Bossi ein „alternder, eitler Strafverteidiger“ sei, den man nicht mehr ernstnehmen müsse. Doch nur aus Eitelkeit könne er das Urteil des Sachverständigen nicht respektieren. Darauf Bossi (brüllend): „Ich kämpfe hier um Recht!“ Und: „Wir wissen alle, wie man einem Gericht in den Hintern kriecht!“ Da verordnete der Richter eine Pause zur Beruhigung.
Dann wollte Manfred Goerke, Verteidiger des Angeklagten Michael Peters, auch mal was sagen. Bisher hatte er sein Mandat nur durch auffälliges Schweigen wahrgenommen, Peters in seiner stumpfen Hilflosigkeit sich selbst überlassen. Goerke erwähnte anstandshalber Solingen und landete dann – nach gängigem konservativen Feindbild – bei den üblen Taten Linksradikaler. Die seien die wahre Bedrohung für dieses Land, stürzten es ins Chaos, denn hier sei „Gewaltbereitschaft mit Intelligenz gepaart.“ Auch wenn sie in letzter Zeit niemanden umgebracht hätten. Den ZuhörerInnen verschlug esbei dieser rhetorischen Volte die Sprache. Christian Ströbele, Nebenklägervertreter der Familie Arslan, nicht: „Ach, Herr Kollege,“ seufzte er, „wenn Sie doch weiter geschwiegen hätten!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen