Druck auf Journalisten in der Türkei: Die Waffen des Staates
Weil sie über türkische Waffenlieferungen nach Syrien berichtete, muss Arzu Yıldız ins Gefängnis. Und sie verliert das Sorgerecht für ihre Kinder.
Am vergangenen Mittwoch wurde die türkische Journalistin Arzu Yıldız zu 20 Monaten Haft verurteilt. Ihr Vergehen: Yıldız hatte über ein Ermittlungsverfahren wegen Waffenlieferungen aus der Türkei für Extremisten in Syrien berichtet. Damit nicht genug: Das Gericht entzog der Journalistin auch das Sorgerecht für ihre beiden Kinder.
Über die Waffenlieferungen erschienen erste Berichte 2014 in der türkischen Presse. Vorausgegangen war eine von der Staatsanwaltschaft initiierte Durchsuchungsaktion: Polizei und Gendarmerie stoppten Lastwagen, die angeblich voll mit Waffen waren – und unterwegs nach Syrien.
Die Männer in den Lastwagen wiesen sich allerdings als MIT-Mitglieder, also als Angehörige des türkischen Nachrichtendienstes aus. Die Durchsuchung wurde dokumentiert und Waffen entdeckt. Präsident Erdoğan kritisierte das Vorgehen der Polizei und erklärte, die Lastwagen würden humanitäre Hilfsgüter transportieren.
Die Journalisten Can Dündar und Erdem Gül wurden unter anderem wegen ihrer Berichte über diese Durchsuchung zu fünf Jahren Haft verurteilt: Sie hatten die amtlichen Bilder der Lastwagen mit Waffen veröffentlicht, Erdoğan hatte persönlich Strafanzeige erstattet. Ein anderer Prozess gegen Fatih Yagmur, der als erster Journalist das Thema aufgegriffen hatte, läuft noch.
Vom Anfang bis zum Ende verfolgt
Anfang 2015 lud Arzu Yıldız die Videos des Prozesses gegen die vier Staatsanwälte, die das Ermittlungsverfahren eingeleitet hatten, ins Internet hoch. Yıldız war da schon eine bekannte Journalistin, weil sie offizielle Berichte über die Durchsuchung veröffentlicht hatte. Zu ihrer Verurteilung sowie zum Entzug des Sorgerechts sagte sie der taz: „Sie haben das bewusst gemacht. Das ist das erste Mal, dass ich verurteilt worden bin. Eigentlich hätte ich eine Bewährungsstrafe bekommen müssen.“ Doch das Gericht war anderer Meinung.
Yıldız sagt, sie sei die einzige Journalistin in der Türkei, die das ganze Verfahren vom Anfang bis zum Ende verfolgt hat: „Die Regierung kann alles manipulieren, die Bilder, die Medien und so weiter. Aber die Berichte, über die ich geschrieben habe, sind offizielle Beweise dafür, dass die Regierung dschihadistische Gruppen in Syrien mit Waffen beliefert hat.“
Eine große Überraschung war für sie besonders der Verlust des Sorgerechts: „Mit so einem Beschluss habe ich nicht gerechnet. Ich habe zwei Töchter im Alter von vier Monaten und von sechs Jahren. Jetzt ist mein Mann verantwortlich für sie. Was soll ich machen, wenn ihm etwas passiert?“ Ihrer älteren Tochter habe sie von dem Beschluss nichts erzählt, aber sie soll davon von einem Nachbarskind erfahren haben: „Sie haben meinem Kind gesagt, dass es mir weggenommen wird.“
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte als Ziel
Yıldız kündigt an, dass sie gegen das Urteil in Berufung gehen werde. Sollten die Möglichkeiten dazu in der Türkei ausgeschöpft sein, dann sei ihr Ziel der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
ARZU YILDIZ
Ihre Probleme gehen aber darüber hinaus. Gegen sie läuft noch ein weiterer Prozess wegen Beleidigung des Präsidenten Erdoğan: „Ich habe ihn überhaupt nicht beleidigt. Ich habe nur Tweets von anderen Journalisten retweeted oder Artikel geteilt. Was sie tun, ist unrecht. Wenn sie diese Tweets im Gericht als Beweise präsentieren und damit öffentlich machen, dann machen sich die Staatsanwälte und Richter zu meinen Komplizen.“ Während der ersten sechs Monate der Präsidentschaft Erdoğans wurden bereits 1.845 Personen wegen angeblicher Beleidigung angeklagt.
Gefängnisse sind türkischen Journalisten nicht fremd. Nach einem Medienbericht der unabhängigen Nachrichtenseite Bianet saßen im April 28 Journalisten in der Türkei im Gefängnis. Die Türkei steht in der Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 151.
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