Druck auf CHP-Vorsitzenden in der Türkei: Erdoğan droht Oppositionsführer
Die Staatsanwaltschaft scheint eine Anklage gegen Kemal Kılıçdaroğlu vorzubereiten. Er hatte den „Marsch für Gerechtigkeit“ initiiert.
Schon vor Tagen hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan dem Vorsitzenden der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP angedroht, er werde sich vor Gericht verantworten müssen. Erdoğan wirft Kemal Kılıçdaroğlu eine Zusammenarbeit mit der angeblich für den Putschversuch im letzten Jahr verantwortlichen Gülen-Sekte vor.
Kılıçdaroğlu hatte vor einem Monat mit einem „Marsch für Gerechtigkeit“ mehrere Hunderttausend Menschen mit der Forderung mobilisiert, die Justiz in der Türkei müsse wieder unabhängig werden und die Willkür des Ausnahmezustandes aufhören. Seitdem versucht die regierende AKP und Präsident Erdoğan immer massiver, den Oppositionsführer in die Nähe der Putschisten zu rücken.
Der Vorwurf der Zusammenarbeit mit der Gülen-Bewegung wird mit einem Video begründet, auf dem die illegalen Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien dokumentiert sind. Das hatte man auch schon dem früheren Chefredakteur der Cumhuriyet, Can Dündar, zum Vorwurf gemacht – genau wie dem unlängst zu 25 Jahren Gefängnis verurteilten stellvertretenden Vorsitzenden der CHP, Enis Berberoğlu.
Erdoğan deutete an, Kılıçdaroğlu habe das Video aus Gülen-Quellen zugespielt bekommen und es an Berberoğlu, der von Haus aus Journalist ist, weitergegeben. Der habe es dann der Cumhuriyetzukommen lassen.
Interview mit dem Focus
Für die Gülen-Nähe von Kılıçdaroğlu spreche auch, dass er den Putschversuch als von der Regierung „gelenkten Putsch“ bezeichnet hat, sagte am Dienstag ein Parteisprecher der AKP. Anlass für diesen Vorwurf ist ein Interview, das Kılıçdaroğlu vor einer guten Woche dem Focus gegeben hat und in dem er die Aussage von Außenminister Sigmar Gabriel bestätigte, dass Ausländer in der Türkei grundsätzlich nicht mehr sicher vor Verhaftungen sind.
Die gesamte Kampagne legt den Schluss nahe, dass die Staatsanwaltschaft angewiesen wurde, eine Anklage gegen Kılıçdaroğlu vorzubereiten. Bei der CHP, auf regierungskritischen Websites und in den sozialen Medien wird schon der Ernstfall diskutiert. „Erdoğan will die nächsten Wahlen ohne Opposition abhalten“, vermutet das kritische Webportal Diken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Vorschläge für bessere Schulen
Mehr Führerschein wagen