Drogenhandel in Berlin in Corona-Zeiten: Drogenlager noch gut gefüllt

Auch die Drogenkonsumenten und Dealer bekommen die Auswirkungen der Pandemie zu spüren. An Stoff mangelt es aber noch nicht.

Dealer auf einem Hügel im Görlitzer Park in Kreuzberg

Im Görlitzer Park sind die Dealer in Zeiten von Corona bisweilen beschäftigungslos Foto: Sebastian Wells

Ausgemergelte Gestalten stehen neben der Treppe, die zum U-Bahnhof hinunterführt. Einige haben verschorfte Wunden im Gesicht, andere schwanken leicht, halten sich an einer Bierflasche fest. Am Kottbusser Tor, dem Szenetreffpunkt der Drogenabhängigen, scheint alles wie immer. Auch einen Kilometer weiter, im Görlitzer Park, das gewohnte Bild: People of Color säumen in Kleingruppen Eingänge und Wege. Vorbeikommende, die Blickkontakt aufnehmen, werden gefragt, ob sie Gras kaufen wollen.

Aber der Schein trügt. Auch die Drogenkonsumenten und Dealer bekommen die Auswirkungen der Coronakrise zu spüren. Wenngleich nicht ganz so drastisch, wie aus anderen Teilen der Welt berichtet wird. Weder Marihuana sei in Berlin derzeit knapp noch harte Drogen wie Heroin oder Kokain, erfuhr die taz von Kennern der Szene.

Aber das sei eine Momentaufnahme, die sich schnell ändern könne. Die Pressestelle der Polizei bestätigte das am Freitag auf Nachfrage: „Uns liegen aktuell keine Erkenntnisse vor, dass die geschlossenen Grenzen dazu geführt haben, dass weniger Betäubungsmittel nach Berlin geschmuggelt werden.“

Im Zuge der Corona-Pandemie sind die Grenzen schon seit Wochen für den Privatverkehr geschlossen. Der internationale Luftverkehr tendiert gen null. Nicht nur Drogennachschubwege seien blockiert, auch die synthetische Drogenproduktion in Ländern wie Mexiko oder Kolumbien komme zum Erliegen, war am Wochenende in der Süddeutschen zu lesen.

Die Grundstoffe für die synthetischen Erzeugnisse kämen zu einem großen Teil aus Hubei in China, dem Ausgangspunkt von Sars-CoV-2. Die Labore funktionierten noch nicht wieder richtig, und die Lieferketten ins Ausland seien unterbrochen.

Dass in Berlin noch keine Knappheit zu spüren ist, erklärt Astrid Leicht, Geschäftsführerin des Drogenhilfeträgers Fixpunkt, so: “Die Lager scheinen noch gut gefüllt zu sein.“ Kokain hat laut ihren Klienten immer noch eine hervorragende Qualität. „Es gibt auch keine Infos, dass sich die Preise verändert haben.“ Die Polizei teilte dazu nur so viel mit: Zu einem Mangel an Betäubungsmitteln gebe es keine Erkenntnisse.

Ein in einer Bochumer Methadonambulanz tätiger Kollege von Astrid Leicht hatte die Situation in Nordrhein-Westfalen kurz vor Ostern gegenüber Medien so beschrieben: In einigen Städten gebe es auf der Straße kaum noch Heroin zu kaufen. Selbst für Drogenersatzstoffe wie Valium gingen die Preise hoch.

Immerhin, das deckt sich mit der Beobachtung von Fixpunkt: Der Straßenhandel in Berlin versucht die Strukturen der veränderten Lage anzupassen. Der Grund: Wenn kaum noch jemand U-Bahn fährt, fallen Käufer und Dealer auf Handelsrouten wie der U7 und U8 plötzlich viel mehr auf. Die Polizei, zurzeit ohnehin unterbeschäftigt, hat leichtes Spiel. Auch an Szenetreffpunkten wie dem Stuttgarter Platz oder Kottbusser Tor seien Dealer jetzt vorsichtiger, erfuhr die taz. Denn: Junkies, die auf Entzug sind, bestürmen die Dealer an den Treffpunkten regelrecht.

Problematisch geworden ist in Zeiten von Corona für Drogensüchtige auch die Geldbeschaffung. Praktisch alle Einkommensquellen sind ihnen weggebrochen: Flaschensammeln, Zeitungsverkauf, Betteln – im März ging da kaum noch was. „Und Einbrechen kann man auch nicht mehr, weil die Leute alle zu Hause sitzen“, sagt Fixpunkt Geschäftsführerin Leicht.

Michael Janßen, Facharzt für Allgemeinmedizin, versorgt in seiner Neuköllner Praxis rund 70 Opiatabhängige mit dem Ersatzstoff Methadon. Das Gute: Die Kassenärztliche Vereinigung hat die Take-Home-Verordnungen erweitert. Zwei Drittel von Janßens Patienten brauchen deshalb nur noch einmal pro Woche in die Praxis kommen, um die Ration abzuholen. Das Risiko, sich unterwegs mit dem Coronavirus anzustecken, ist für sie damit gesunken. Opiatabhängige gehören zur Corona-Risikogruppe.

Dass Mittelstandsbürger über die Ausgangsbeschränkungen klagen, nennt Janßen „Wohlstandsgejammere“. Der Lockdown träfe die Opiatabhängigen in ihren Hinterhauslöchern ungleich härter. Vom Fenster seiner Praxis in der Karl-Marx-Straße kann der Arzt einen der Szenetreffpunkt sehen. Kaum hätten Polizei und Ordnungsamt die Menschen vertrieben, seien sie zurück.

Szenenwechsel: Je wärmer es wird, umso mehr prosperiert im Görlitzer Park das Cannabisgeschäft. So war es bisher immer. Aber nun, in Zeiten von Corona, sind nicht nur die Touristen als Käufer weggebrochen, sondern auch die Gelegenheitskiffer vom Stadtrand. Die Dealer, in der Mehrzahl People of Colour, sind mehr oder weniger arbeitslos.

Die meisten hätten keine Alternative, außerdem sei der Görli ein Community-Treffpunkt, erzählt einer, der sich auskennt.

Am Donnerstagabend sah man Angehörige der Community im Park Fußball spielen, auf den Bänken sitzen, quatschen, kiffen und Musik hören. Von mehr als 50 Prozent Geschäftseinbußen ist die Rede. Dazu kommt, dass die Polizei – auch wegen der Corona- Kontrollmaßnahmen – deutlich präsenter als früher ist. Auch in der Hasenheide, wo ebenfalls gedealt wird, ist das so.

O-Ton Polizei: „Insgesamt erscheinen die mutmaßlichen Tätergruppierungen tagsüber bisweilen beschäftigungslos, da der Zustrom und Durchfluss von potenziellen Käufern von Betäubungsmitteln stark rückläufig ist.“

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