Drogen-Hotspots in Berlin: „Das ist reine Elendsverwaltung“
Immer mehr Drogenhotspots gibt es in Berlin. Und die Strategie des Senats sei eine „Bankrotterklärung“, sagt Sozialpolitikerin Fatoş Topaç (Grüne).
taz: Frau Topaç, lassen Sie uns über Drogenhotspots in Berlin sprechen. Warum treibt Sie das Thema gerade so um?
Fatoş Topaç: Es gibt immer wieder Meldungen über Vermüllung, Verwahrlosung, Spritzen auf Spielplätzen. Man hat das Gefühl, mal brennt es in dem einen Bezirk, mal in dem anderen. Mal ist ein U-Bahnhof in Neukölln im Fokus, mal ein Platz in Mitte. Mich als Sozialpolitikerin interessiert: Wie viel davon ist subjektives Empfinden, wird das in unterschiedlichen Kiezen unterschiedlich wahrgenommen, wo ist es überall Thema, und haben wir das alles auf dem Schirm? Und vor allem: Was tun wir dagegen?
Deshalb haben Sie eine Anfrage an den Senat gestellt und jüngst die Antwort bekommen. Da fällt vor allem auf: Es werden unglaublich viele sogenannte Drogenhotspots aufgeführt.
Ja, nicht wahr? Als alte Kreuzbergerin vom Kotti war ich nicht gänzlich überrascht. Aber es ist doch erschreckend, dass so viele Orte in so vielen Kiezen und Bezirken in der gesamten Stadt mittlerweile betroffen sind.
geb. 1965, Sozialpädagogin und Sprecherin für Sozial- und Pflegepolitik der Grünen im Abgeordnetenhaus, dessen Präsidium sie auch angehört.
Und haben die Verantwortlichen die alle auf dem Schirm?
Es werden zumindest viele runde Tische benannt, mit Vorort-Terminen und Treffen zu einzelnen Hotspots. Am U-Bahnhof Schönleinstraße zum Beispiel, da dachte ich: Wow, da waren sie ja alle – Bürgermeister, Sozialsenatorin, Polizeipräsidentin, Stadträte, Suchtbeauftragte. Da hatte es aber auch vorher einen Riesenwumms gegeben: Da wurde ein Obdachloser angezündet, es gab Messerstechereien.
Gut, dass die Politik da ressort- und bezirksübergreifend reagiert hat, oder nicht? Offenbar gibt es jetzt auch ein Drogenkonsummobil in der Schönleinstraße, und die Öffnungszeiten des bestehenden Konsumraums wurden erweitert.
Ja, aber die Politik, vor allem die zuständigen Senatsverwaltungen Gesundheit und Soziales, agieren ein bisschen wie die Feuerwehr: dort löschen, wo es gerade brennt. Und wenn der eine Bezirk anfängt zu räumen, zittert der andere, weil er weiß, dass seine Bezirksgrenze drei Ecken weiter verläuft. Diese Verschiebung kann es ja wohl nicht sein.
Was ist ein „Hotspot“ Verwahrlosung, Vermüllung, Spritzenfunde, Beschwerden der Bevölkerung und Beobachtungen von Polizei und Ordnungsämtern seien Indikatoren für sogenannte „Hotspots“, so der Senat. Aufgrund von Verdrängungseffekten (Polizeieinsätze, Räumungen von „Camps“) seien diese einer besonderen Dynamik ausgesetzt, die nur temporär für Entlastung sorge. Über 40 solcher Hotspots werden von Senatsverwaltungen, Wohnungslosenhilfe, Landessuchtbeauftragter und Bezirken benannt. Das Projekt „Nudra“ (Netzwerk zum Umgang mit Drogen und Alkoholkonsum im öffentlichen Raum) liefert weitere Anhaltspunkte für Hotspots. In Rahmen des Projekts werden seit 2018 sogenannte Raumnutzungskonflikte mit Anwohner*innen und Spritzenfunde in den beteiligten Bezirken dokumentiert (siehe Grafik). Ein Bericht mit Handlungsempfehlungen soll demnächst erscheinen, so der Senat. Im Rahmen der aufsuchenden Straßensozialarbeit haben sich 2019 rund 1.600 Menschen mit Suchtproblemen beraten lassen.
Angebote Den niedrigschwelligen Drogenhilfeangeboten werde 2020/21 insgesamt rund 7,3 Millionen Euro zur Verfügung gestellt und damit eine Vielzahl von Trägern und Projekten unterstützt. Insbesondere der Bereich der aufsuchenden Straßensozialarbeit werde strategisch ausgebaut und ergänzt durch weitere Drogenkonsumräume und die Erweiterung der Öffnungszeiten derselben. Immobilien und Fachkräfte für diesen Zweck zu finden gestalte sich sehr schwierig.
Quelle: Antwort des Senats vom 13. Oktober 2020 auf eine Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Fatoş Topaç
Es werden aber Millionen für die Arbeit mit süchtigen Obdachlosen bereitgestellt.
Tatsächlich wurde bei den vergangenen Haushalten immer darauf geachtet, dass für diesen Bereich genügend Mittel eingeplant werden, das Budget dafür ist stetig gestiegen. Es gibt eine Vielzahl von freien Trägern und Projekten, die sich dem Thema Sucht und Obdachlosigkeit widmen. Aber das ist eben nur ein Teil der Miete.
Was fehlt Ihnen?
Die politischen Vorgaben, die ausformulierten Ziele für die Arbeit mit den Trägern, statt einfach nur zu delegieren. Das soll jetzt nicht als Trägerbashing rüberkommen, ich weiß, dass die Träger ihr Bestmögliches machen. Was fehlt, ist eine gesamtstädtische Strategie. Wo ist die Vision für eine Stadt, in der nicht nur Elendsverwaltung betrieben wird?
Bei süchtigen Obdachlosen kommen oft zwei Dinge zusammen: Menschen, die ganz unten sind, und Anwohner, die sich gestört fühlen. Müsste es nicht im Interesse aller sein, da schnell und nachhaltig etwas zu unternehmen?
Gerade die Verknüpfung von Obdachlosigkeit und Sucht stellt eine besondere Form der Verelendung dar. Man kann auf die Menschen herabschauen: Müssen die da ihre Spritzen hinschmeißen?! Stimmt ja auch, es ist genauso unser Auftrag, die Kinder und Älteren zu schützen, die sich unbeschwert in Parks und auf Plätzen aufhalten wollen. Aber dann muss ich eben die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass das Problem kleiner wird.
Glauben Sie, die Senatsverwaltungen hätten das nicht auch im Sinn?
Es ist nicht so, dass das kein Thema bei den regelmäßigen Strategiekonferenzen der Sozialverwaltung ist. 2019 wurden die Leitlinien der Wohnungsnotfallhilfe und Wohnungslosenpolitik vom Senat beschlossen. Aber da entstehen dann so Sätze wie: „Der Zugang zu psychiatrischer und psychologischer Versorgung wird auch für Wohnungs- und Obdachlose sichergestellt und um zielgruppenspezifische Angebote erweitert.“ Einen Satz von zeitloser Schönheit würde Sozialsenatorin Elke Breitenbach das nennen.
Das wäre doch aber wünschenswert oder nicht?
Die Leiterin einer psychiatrischen Klinik sagte uns letztes Jahr bei einer Anhörung, dass unsere Konzepte der Wiedereingliederung ja schön auf dem Papier seien. Aber dass die einfach nicht funktionierten, weil sie Obdachlose gar nicht mehr entlassen könnten aus der Psychiatrie. Denn wenn sie sie entlassen, müssen sie sie auf die Straße entlassen. Es gibt einfach keine Anschlussbetreuung. Wenn das System aber nicht nahtlos funktioniert – Akutversorgung, Therapieplatz, Wohnmöglichkeit –, dann ist doch der Rückfall vorprogrammiert. Da ist das System verstopft.
Weil Verdrängung und Wohnungsnot sich am Rande der Gesellschaft besonders deutlich zeigen?
Ich habe gerade erst mit dem Beschäftigten eines Trägers aus dem Bereich der Suchthilfe gesprochen, der seine angestammten Räumlichkeiten verlassen musste, weil er die Miete nicht mehr zahlen konnte. Er hat jetzt neue Räume gefunden, fängt nun aber wieder bei null an, was die Akzeptanz der Nachbarn für die Klientel der Einrichtung betrifft.
Eine Krux: Niemand will Spritzen auf Spielplätzen finden. Aber es ist auch doppelt schwer, Räume für Wohn- und Therapieprojekte zu finden. Oder auch nur für einen Drogenkonsumraum. In der Antwort des Senats auf Ihre Kleine Anfrage heißt es, Neukölln suche da schon geraume Zeit erfolglos.
Ja, da rede ich mir schon seit Jahren den Mund fuselig, dass bei allen landeseigenen Grundstücken und Wohnungsgesellschaften diese Projekte konsequent mitgedacht werden müssen. Nach der letzten Strategiekonferenz sollen wir nun aber demnächst endlich mal eine Liste von hundert Arealen im gesamten Stadtgebiet bekommen, die für den Erhalt und den Ausbau der sozialen Infrastruktur geeignet wären …
Aber da geht es doch los: Es gibt ja nicht nur die Projekte für obdachlose Süchtige, die keine Räume finden.
Das ist ein Verteilungskampf ja. Wer bekommt dann am meisten: Wer am lautesten schreit, wo die Lobby am größten ist, wo das Elend am größten ist? Am Ende darf es natürlich von all diesen Kriterien keines sein. Es muss ein Aushandlungsprozess sein, bei dem niemand gegen den anderen ausgespielt wird.
Auch ein Satz von zeitloser Schönheit.
... den die Politik aber nicht nur so stehen lassen darf, sondern den wir mit Leben füllen müssen. Und genau dafür braucht es einen politischen Plan, der das Gesamte im Blick hat. Es gibt keine chronologische Reihenfolge, mit der wir soziale Probleme angehen können. Das muss alles gleichzeitig stattfinden. Ich sage es ganz offen: Das, was der Senat da als Strategie im Umgang mit Sucht und Obdachlosigkeit ausweist, ist für mich eine Bankrotterklärung. Wie gesagt: reine Elendsverwaltung.
Was genau hätten Sie gern in der Antwort gelesen?
Wir haben so und so viele Plätze für den Entzug, im Anschluss entsprechend viele Wohnmöglichkeiten, Angebote für engmaschige Begleitung. Damit gelingt es uns, so und so viele Menschen wiedereinzugliedern. In Zukunft wollen wir so und so viele erreichen. Außerdem: Wir investieren so und so viel in die Bekämpfung der Ursachen, in die Prävention.
Wer ist in der Pflicht?
Jedenfalls nicht nur die Sozialverwaltung, die Gesundheitsverwaltung und die Bezirke, wie in der Antwort auf meine Anfrage aufgeführt wird. Wenn man sich dem ganzheitlich stellen wollte, fehlt natürlich auf jeden Fall die Senatsverwaltung für Bauen und Wohnen, und in Sachen Prävention unbedingt die Senatsverwaltung für Jugend und Bildung. Und weil es ja nicht wenige Menschen betrifft, die dann auch straffällig werden – Stichwort Beschaffungskriminalität – natürlich auch die Senatsverwaltung für Justiz.
Noch ein runder Tisch…
Aber mit dem Ziel einer Strategie für die ganze Stadt. Das kann nur so gehen. Sie alle müssen sich zusammensetzen für Antworten auf die Frage, wie in einer Stadt, die so unter Druck steht, künftig mit Verelendung umgegangen wird.
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