Dresscodes in der Oper: Walküre in Jogginghose
Es ist Opernsaison. Und was ziehen Sie an? Todschick im Etuikleid oder Rebell*in im T-Shirt? Kleidung ist Code, ist Habitus. Der Style-Check.
Bei den Bayreuther Festspielen kann selbst eine leicht schief sitzende FLIEGE schon auffallen. „Shabby Chic“ nennt der Fotograf des Nordbayerischen Kuriers den Querbinder, der ganz leicht die Waagerechte missachtet – das Bild landet auf einer Sonderseite über Outfits am Grünen Hügel.
In diesen Tagen beginnt die Opernsaison. Und damit stellt sich die Frage: Was ziehe ich an? Opernbesuch, das ist Hochkultur, das ist Habitus. Soziale Codes formen den Diskurs in diesen Gebäuden. Viele Opernbesucher*innen fürchten den Klamotten-Fauxpas. Noch viel mehr trauen sich gar nicht erst rein. Muss das sein?
Deutsche Oper Berlin, Wagner, „Ring des Nibelungen“. Die ersten Klänge der „Walküre“ werden gleich ertönen. Noch schwirrt lebhaftes Gemurmel über den gelben Sitzen des Opernsaals. Im zweiten Rang: ein Mann in glänzendem JOGGINGANZUG. Zunächst ist nicht klar, ob es sich um einen konformen Neuköllner oder einen non-konformen Operngänger handelt. In der Pause löst sich das Geheimnis. Maik, 36, kommt aus Wilmersdorf. „Ja guck, ich bin so besonders, dass mich sogar schon die Presse anspricht“, schmunzelt er.
Natürlich trage er dieses Outfit bewusst. Er sei großer Wagner-Fan, habe aber keine Lust auf dieses – wie er es nennt – elitäre Gehabe. „Was soll ich mich hier im Anzug hinsetzen? Da tut mir am Ende doch alles weh.“ Den Jogginganzug trage er nicht nur, um ein wenig rebellisch zu sein, sondern auch, weil es einfach bequem sei. So eine „Walküre“ ist lang.
Bewegung ist Habitus
Maik hat sich nicht einfach im Outfit vertan. Er ist routinierter Operngänger, das erkennt man in jeder seiner Bewegungen. In der Pause weiß er genau, wie er nach draußen kommt, verläuft sich nicht wie andere in der unübersichtlichen „Deutschen“.
Wie sich die Besucher*innen bewegen, gibt meistens mehr Auskunft über ihren Habitus als ihre Kleidung. Wer entspannt durch das Opernhaus streift und sich umsieht, ist Profi. Neulinge bleiben eher am selben Punkt und wissen nicht, was sie mit sich anfangen sollen.
Malte, 21, Opern-Neuling
So wie die drei jungen Menschen, die an einem Abend bei Strauss’ „Ariadne auf Naxos“ im Vorraum der Berliner Staatsoper herumstehen. Die drei haben sich zusammen die „Classic Card“ gekauft, damit kommen Menschen unter 30 Restkarten für nur 10 Euro. Alle drei sind neu in Berlin, für das Studium hergezogen. „Wir waren ja schon öfter im Theater. Jetzt wollten wir aber auch endlich mal Oper ausprobieren. Aber das ist dann doch schon irgendwie anders, vom Gefühl her“, sagt Malte, 21. Was genau dieses Gefühl ausmacht? „Na ja, unter der Oper stellt man sich irgendwie alte Menschen vor, die total verstaubt sind.“ Darum habe er sich auch einige Gedanken um sein Äußeres gemacht – schlussendlich hat er sich für ein schwarzes Hemd entschieden, das er in seine BLUEJEANS gesteckt hat.
Dresscodes in der Oper können als soziale Barriere wirken. Wer Angst hat, aufzufallen, nicht reinzupassen, bleibt eher weg. Aber ist das Grund genug, dem ganzen Chic eine Absage zu erteilen?
Susanne, 53, findet das nicht. Für sie ist der Besuch von Verdis „La Traviata“ ein besonderer Moment. Mittwochabend im September, die neue Spielzeit der Deutschen Oper hat gerade begonnen. Susanne trägt eine weiße BLUSE und einen schwarzen STIFTROCK, simpel und doch elegant. „Ich zelebriere das immer, wenn die Oper wieder losgeht.“ Sie will das Erlebnis mit allen Sinnen auskosten. Dazu gehört die schicke Kleidung, aber nicht nur. In der Pause, sagt sie, bestellt sie ein Glas Wein, schaut, was die Häppchen so hergeben. Schlendert anschließend durch das Zwischengeschoss, das Programmbuch in der Hand.
So wie Susanne sehen viele Besucher*innen das Opernhaus: als Ort des Besonderen, der Flucht aus dem Alltäglichen, eine Welt außerhalb der Realität. Dem passen sie ihren Habitus an. Man kleidet sich entsprechend, zahlt auch gern mal zu viel für ein Glas Wein. Genießt die Atmosphäre in der Pause, die Blicke der anderen. Für die Häuser sind Besucher*innen wie Susanne wichtig: Opernfans, die nicht bloß die Musik, sondern das Gesamterlebnis konsumieren.
Gelernte Ehrfurcht
Woanders, in der Komischen Oper, werden die Butterbrotdosen ausgepackt. „Zauberflöte“, Schulklasse, Pause. Der Lehrer will von seinen Siebtklässler*innen wissen, wie es ihnen bisher gefallen hat. Zögerlich äußern die meisten, dass die Projektionen in dem Stück schon echt cool seien.
Ein wenig steif stehen sie da im obersten Stockwerk, gleich am Ende der großen Treppe. An der Kleidung lässt sich die erlernte Ehrfurcht vor diesem Ort ablesen. Einige haben es mit einem HEMD oder einem KLEID versucht. Mehrere Paare LACKSCHUHE sind zu erkennen.
Gibt man „Oper“ bei Google ein, wird „Oper Anzug“ oder „Oper Kleid“ gleich als Suchanfragen vorgeschlagen. Es gibt zig Bücher, die Aufmachung und korrektes Verhalten in der Oper diktieren wollen. Wann wird geklatscht? Ab wann darf nicht mehr gesprochen, und – ganz wichtig – was darf getragen werden?
An solchen Abenden kann man neben den verunsicherten aber auch die routinierten Opernbesucher*innen beobachten: Da gibt es die, die in der Pause im Saal sitzen bleiben und ein Buch aus der Tasche ziehen. „Auf das Geschnatter habe ich keine Lust. Oper ist für mich zum Abschalten da“, sagt eine Frau mit grauen Haaren und SAMTKLEID, sie hält ein Büchlein über griechische Mythologie. „Ich bringe mir dann eine Lektüre mit, die zu der Oper passt.“ Jetzt möchte sie aber doch bitte in Ruhe gelassen werden.
Draußen stehen die Raucher*innen, frösteln, einige stopfen sich zwischen den Zügen eine Laugenbrezel rein. Läuft man an ihnen vorbei, hört man Gesprächsfetzen, in denen die Inszenierung auseinandergenommen wird. Die meisten Tragen ANZUG oder KOSTÜMCHEN.
Schluss mit Perlen?
Freilich kann ein einzelner Abend immer nur einen Bruchteil von Opernkultur abbilden. So geht es zum Beispiel noch schräger: Wird etwa eine Barockoper aufgeführt, kann es durchaus vorkommen, dass Menschen im Barockkostüm auftauchen. Mit PERÜCKE und FÄCHER lauschen sie Opern von Händel oder Telemann – es sind die Hardcore-Barockopernfans. Die trifft man vergleichsweise selten in den großen Häusern. Es wird dann gefachsimpelt: War die Gambe – ein historisches Streichinstrument – nicht vielleicht doch ein wenig zu hoch gestimmt? War die Inszenierung auch ausreichend historisch informiert?
Die kleinen Nebenbühnen der großen Opern bieten derweil Räume für modernere Ideen. Musikwerke, die die Grenzen zwischen Oper, Schauspiel und Kunstinstallation verwischen. Das Publikum steht, sitzt oder liegt und nimmt Teil an bisweilen obskuren Visionen. Anzüge sind hier eher verpönt. Lieber ein T-SHIRT, eine SKINNY-JEANS, ein ironisches Oberteil.
Denn eigentlich ist „die Oper“ schon längst kein elitärer Ort mehr – müsste es zumindest nicht sein. Inszenierungen werden performativer, radikaler. Und Ermäßigungen für junge Menschen locken Neugierige in die Operngebäude.
Werden diese neuen Operngänger*innen die Diskurse verändern, die die Institution Oper umgeben? Die sie als exklusiven Ort konstruieren? Werden die Perlenketten verschwinden und den Jogginganzügen Platz machen? Trägt das Publikum bald genauso zerschlissene Sachen wie die Darsteller*innen mancher modernen Inszenierung?
„Mir ist egal was ich und andere tragen“, sagt Gisela, 63. Auch sie sitzt mit ihrer Freundin Theresa in der „Walküre“, hat noch „Siegfried“ und die „Götterdämmerung“ vor sich. Sie trägt STRICKJACKE, ist keinesfalls ungepflegt, aber auch nicht weiter einprägsam gekleidet. „Ich gehe jetzt schon so lange in die Oper, für mich ist das fast wie mein privater Ort geworden“, sagt sie und beißt in ihr Brot. Selbstverständlich bringt sie sich etwas zu essen mit. „Das ist Wagner, da brauche ich was im Magen.“ So eine Oper sei eben anstrengend. Nicht nur, weil man erst einmal die vielen Treppen bis in den zweiten Rang erklimmen muss.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Social-Media-Verbot für Jugendliche
Generation Gammelhirn