: Dreivierteltakt ?
■ »Pentangle« in der Passionskirche
Wer nach 1960 geboren ist, wird mit dem Namen »Pentangle« wenig anfangen können: Die große Zeit dieser Band war schon in den frühen 70ern, als alle Welt »Folk« hörte und als Bands wie »Lindisfarne«, »Steeleye Span« oder eben »Pentangle« sogar gelegentlich in den Charts auftauchten. 1973 löste sich »Pentangle« auf; Bert Jansch führte in den folgenden Jahren bei Solo-Auftritten oft weniger sein virtuoses Gitarrenspiel als sein wachsendes Alkoholproblem vor. Von der Sängerin Jacqui McShee war jahrelang nichts zu hören; auch über den zweiten Gitarristen John Renbourn (der sich mit Jansch manchmal wahre Duelle geliefert hatte) ist mir zumindest nichts bekannt. Das letzte Mal sah ich Bert Jansch vor vier oder fünf Jahren beim Edinburgh-Festival; mit dem Pianisten und Sänger Paul Millns gab er eine ziemlich trübe und kraftlose Vorstellung ab. Es war wohl zu Ende mit ihm, und die Hoffnungen auf eine Wiedervereinigung von »Pentangle« konnte man gleich mitbegraben.
1991 sind sie plötzlich wieder da, Think of tomorrow heißt die neue LP. Für Renbourn ist jetzt Peter Kirtley der zweite Gitarrist, er interessiert sich offenkundig mehr für elektrische als für akustische Gitarren — der »Pentangle«-Sound wird dadurch etwas weniger weich; diese Band kann plötzlich auch flotte Rhythm & Blues- Nummern spielen. Gerry Conway ist der neue Drummer; der ebenfalls neue Bassist Nigel Portman Smith spielt nebenbei noch »Brighouse blowflute« (was immer das sein mag) und Keyboards — bei der Gelegenheit hat offenbar auch Jansch Geschmack am Piano gefunden: In einem Stück spielt er es selbst, in sechs anderen der neuen LP beweist Portman Smith, daß das früher für »Pentangle« ziemlich undenkbar scheinende Klavier den Klang dieser alten Band erweitern kann, ohne ihre Identität zu zerstören. Ganz die alten sind Bert Jansch und Jacqui McShee: Jansch bricht wieder, wie früher, die schlichten Traditionals mit wunderbar verqueren Melodien auf, oft schneller als man beim ersten Mal hören kann; und McShee hat noch den gleichen Gesangsstil, klar, rein, simpel und einfach gut. Am weitesten von früherem »Pentangle«- Material entfernt sind sie bei »Share a Dream«, dessen Instrumentierung sich nach einem frühen Van-Morrison-Stück anhört: Das kräftige Klavier führt mit einfachen Blues-Phrasen die Melodie, die akustische Gitarre füllt mit Arpeggien den Sound auf, die E-Gitarre rhythmisiert mit kurzen, scharfen Akkorden oder schreit dann und wann, gut abgestimmt, hinter dem Gesang herum — und der Hauptwitz an der Nummer ist natürlich, auf diese schöne Rhythm & Blues-Musik Jacqui McShees mädchenhaften Gesang zu legen. Das Stück wäre nur halb so schön, wenn Jansch oder Kirtley — die als Sänger mit Blues-Phrasierungen viel vertrauter sind — es singen würden. »Bonny Boy« wird alten »Pentangle«- Fans vertraut vorkommen: Es ist textlich und musikalisch weitgehend identisch mit »The Trees they Grow High«, dieser wunderbaren Ballade, die z.B. auf der alten Doppel-LP Baskets of Light zu hören ist. Im Arrangement fallen »Drums, Percussions and Handclaps« auf, dazu wieder Klavier und E-Gitarre — »Pentangle«, so scheint es, will um keinen Preis nur den Aufguß ihrer früheren Musik präsentieren. Ein paar unverwechselbare Eigenheiten der Band sind natürlich geblieben: der hinkende Dreivierteltakt z.B., bei dem die Gitarre vor dem dritten Taktteil kurz absetzt, während der Baß dann den »Dreier« vorsätzlich betont — eine Spezialität, die man sonst nur bei Jazzern zu hören bekommt und die weit jenseits des Bewußtseins und der Spielfähigkeit der meisten »Folkies« liegt. »Pentangle« ist wieder da, besser als je zuvor. Klaus Nothnagel
Heute, 20.30 Uhr, in der Passionskirche am Marheinekplatz
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