„Drei Schwestern“ in Zürich: Die Musik der Körper
In Zürich setzt der Regisseur Herbert Fritsch seinen Erfolg fort und inszeniert seine erste Oper, die „Drei Schwestern“ von Peter Eötvös.
Am Ende murmeln sie zurück. Aus dem Zuschauerraum. Im Chor und ganz spontan. Bei der stets mitinszenierten Applausordnung, die als Sahnehäubchen noch jede Herbert-Fritsch-Produktion ziert. Seine „Murmel Murmel“ Version des Schweizers Dada-Künstlers Dieter Roth ist Kult an der Volksbühne in Berlin. So wie er sich als Schauspieler aus der Castorf-Truppe mit einem imaginären Türenknallen verabschiedete, so kehrte er als gefeierter Spielmacher dorthin zurück.
Fritsch schickte den Weltverbesserungsfuror und den Publikumsquäleifer, also den Hausgeist der Volksbühne, zur Raucherpause vor die Tür, ließ drinnen die Theaterlust von der Kette und triumphierte mit jedem neuen Anlauf und jedem Slapstick-Bauchklatscher.
Als Regisseur füllt Fritsch sein ehemaliges Haus. Die obligaten Einladungen zum Theatertreffen verstanden sich da fast von selbst. Schon da verstärkte sich der Verdacht, dass Fritsch als Regisseur im Grunde stets einer inneren Partitur folgt. Dass er auf der Bühne „nur“ eine Musik der Körper sichtbar macht, indem er ihrem Rhythmus folgt. Das ist immer sehr witzig, vor allem aber überdreht und grotesk. Und es endet nie ohne jene Kusshand ins Publikum, die seine liebevollen Applausordnungen allemal zur Wegzehrung für den Heimweg seiner Zuschauer machen.
Etwas Neues kommt hinzu
In Zürich gibt es das alles jetzt auch. So ungefähr jedenfalls. Am Ende ist es ein kollektives Slowmotion-Winken aller Akteure ins Publikum, samt einer Hand aus dem Souffleur-Kasten. Nach dem Motto: das machen wir jetzt so lange, bis einer anfängt zu klatschen. Davor aber gibt es etwas Neues. Zur inneren Partitur des Herbert Fritsch gesellt sich das erste Mal nämlich auch eine äußere! Komponiert von Peter Eötvös.
Dessen „Drei Schwestern“ sind seit ihrer Uraufführung 1998 in Lyon schnell zu einer der erfolgreichsten neuen Opern geworden. Eötvös und sein Librettist Claus H. Henneberg haben die Erzählstruktur des Tschechow-Stückes aufgebrochen und ihr Destillat neu zusammengefügt. Die von Tschechow so virtuos beschriebene Malaise der Lebensverhinderung in der russischen Provinz, mit diesem dauernden Wegwollen und nicht Wegkönnen, haben sie in drei „Sequenzen“ neu zusammengestellt und jeweils aus der Sicht Irinas, dann aus der ihres Bruders Andreij, der mit einer Nervensäge verheiratet ist, und schließlich aus der Perspektive von Mascha erzählt.
Atemberaubende Präzision
Dabei passt Fritsch seinen markenbildenden Drang zur Beschleunigung jeder Bühnenaktion, zur Übertreibung jeder Geste mit atemberaubender Präzision den musikalischen Tempovorgaben an. Ja er erfindet bei der Gelegenheit (aus den Zutaten Melodrama und Groteske) so etwas wie eine Melogroteske.
Natürlich gibt es auch ein paar von den typischen, stummfilmgeschulten Fritschinessen. Einmal wenigstens verheddert sich der Lehrer beim Abgang im Vorhang. Auch Teetassen gehen dutzendweise zu Bruch, auf dass der im dicken Rock der Amme steckende Bassist so eifrig wie erfolglos immer wieder die Scherben beiseite fegen und dabei mit den Augenlidern ins Publikum klimpern kann. Aber all das fügt sich ein und bricht nicht aus.
Beim Ambiente findet sich nichts von der russischen Provinz und dem noblen Tschechow-Sound, hinter dem der Schmerz so verhalten schön aufscheinen kann. Seine Birken finden sich höchstens im Furnier der beweglichen Paravents wieder, die wie ein Schweizer Uhrwerk jeden Auf- und Abtritt zu einem kleinen Zaubertrick machen und die schnellen Schnitte ermöglichen. Alles Russische hat Victoria Behr in die folkloristische Babuschka-Kostümpracht von Irina, Olga und Mascha, die stilisierten Uniformen der Militärs und Andreijs bäuerlichen Aufzug verfrachtet.
Konzentrierter Minimalismus
Dass die lakonischen und grotesken Elemente bei Eötvös in der motorischen Sensibilität von Fritsch eine kongeniale Umsetzung finden würden, war zu erwarten. Dass er aber auch für den großen klagenden Monolog des Andreij zu einem konzentrierten Minimalismus fähig ist, überraschte dann doch. Wenn da die Schiebewände gen Schnürboden verschwinden, das Licht heruntergedimmt wird und der Sänger ganz allein mit der Musik auf der Bühne steht, dann hört man für einen traurig schönen Moment die russische Seele schluchzen.
Überhaupt war Eötvös’ Musik, die in der Zeit nach dem Selbstmord seines Sohnes entstand, wohl noch nie so deutlich als eine des Abschieds, des Schmerzes und der Trauer zu vernehmen wie jetzt in Zürich. Das liegt an der einfühlsamen Präzision, mit der Michael Boder die 19 Musiker im Graben und Peter Sommerer weitere 50 auf der Bühne untereinander und mit den exzellenten Protagonisten verzahnen. Das liegt aber auch daran, dass Fritsch alles Narrative in die Figuren verlagert hat.
Man kann sich so aussuchen, ob man mehr über diese musikalische Entdeckung staunen soll oder darüber, dass ausgerechnet Herbert Fritsch dazu verhilft.
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