Doxinfunde in Hamburg: Ein harmloser Skandal

Behörden stellen Ergebnisse zu Dioxinfunden in Boberg vor. Die sind viel zu hoch, aber nicht grenzwertig. Umweltvergehen ja, Gesundheitsgefährdung nein.

Probe aus der Boberger Niederung: Die Behörde hält den Ball flach Foto: dpa

HAMBURG taz | „Keine großflächige Dioxin-Problematik“, es „kann Entwarnung gegeben werden“, im Wasser „keine Kontamination mit Dioxin“, in Beeren und Pilzen „keine erhöhten Dioxin-Werte“. Die Einleitung der Erklärung, mit der am Dienstag Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) und Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) die neuen Messungen zur Belastung der Boberger Niederung vorstellten, kam als Familienpackung Beruhigungspillen daher.

Doch wer den behördlichen Beipackzettel liest, erfährt: Auch die neuen Messwerte der Bodenbelastung mit dem Ultragift bestätigen einen Umweltskandal ersten Ranges. Sie liegen bis zum 24-fachen über dem Grenzwert. Das vier Hektar große Verdachtsgelände bleibt abgesperrt, mindestens ein Hektar Bodenfläche muss auf Dauer mit Kunststoffplanen abgedeckt oder abgetragen, ausgetauscht und dekontaminiert werden.

Spuren deuten auf eine illegale Giftmüllablagerung des ehemaligen Pflanzenschutzmittelherstellers Boehringer hin, der bereits 1984 aus Umweltschutzgründen geschlossen wurde. Denn die Zusammensetzung der Dioxinfunde trägt, so die Umweltbehörde, „den eindeutigen Fingerabdruck Boehringers“. Vermutlich in den 60er-Jahren, so Kerstan, sei der kontaminierte Schutt illegal an dem Bahndamm entsorgt worden.

Damals hatte Boehringer noch keine Entsorgungsnachweise für die giftigen Chemikalien, mit den der Lindan-Produzent gearbeitet hat, nachweisen müssen. Das aber sei „nur Spekulation“ schränkt Kerstan, der den Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft nicht vorgreifen will, ein. Doch eine andere logische Erklärung, wie das Dioxin in den Boberger Boden gekommen ist, hat auch Kerstan nicht.

Das Fazit der beiden Behörden, das sie am Dienstagabend in der Stadtteilschule Mümmelmannsberg vorstellen wollten, lautet deshalb: Umweltskandal ja, Gesundheitsgefährdung nein. Da anders als bei den ersten Messungen im vergangenen Herbst, die neuen Bodenproben, so Kerstan, „keine Extrem-Belastungen“ sondern „nur“ noch „sehr hohe Werte“ aufwiesen, die 24- aber eben nicht 700-mal so hoch wie der Grenzwert sind, entschloss sich das SenatorInnnen-Duo zur Entwarnung.

Denn weder in den angrenzenden Wohngebieten noch im Badesee und den nahen Angelteichen, nicht in Beeren und Pilzen fanden sich gesundheitsgefährdende Dioxin-Konzen­trationen. Prüfer-Storcks macht deutlich, dass ein Kleinkind sich schon einige Handvoll Boden einverleiben müsse, bis es eine ähnlich hohe Dioxin-Konzentration im Körper habe wie nach einer sättigenden Mahlzeit Muttermilch. Denn Dioxin, das überall in der Umwelt in Mikrodosen vorkommt, lagert sich vor allem im Fettgewebe ab – VegetarierInnen und vor alle VeganerInnen nehmen davon am wenigsten auf.

Die Sanierung des betroffenen Gebietes, das auf absehbare Zeit gesperrt bleibt, wird Jahre dauern und Millionen verschlingen. Auch wenn noch unklar ist, wie das Boehringer-Gift an den Bahndamm kam, erwartet Kerstan, dass sich die Mutter des seit 34 Jahren geschlossenen Werkes – Boehringer Ingelheim – an der Sanierung beteiligen wird.

Was aber weder Kerstan noch Prüfer-Storcks ausschließen konnten, ist, dass noch irgendwo anders in oder um Hamburg Boehringer-Gift im Boden lagert. Die Kontaminierung in der Boberger Niederung entdeckte die Umweltbehörde nur durch puren Zufall.

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