: Doppelbelastung ...
... ist durchaus inspirierend ■ Von Barbara Sichtermann
Daß es für Frauen schwer ist, die wirklich große Karriere zu machen, liegt nicht einfach nur an den Kindern oder Kinderwünschen, die ihren Höhenflug bremsen. Ich behaupte: Es ist sogar möglich, daß der eine Lebenszweck den anderen gleichsam animiert und vertieft. Ja, ich glaube, daß in der Mittelschicht, in der die befriedigenderen und besser bezahlten Arbeitsplätze vergeben werden, Frauen nicht nur beides wünschen, sondern auch beides gut gebrauchen können, denn das eine eignet sich vorzüglich zum Korrektiv und Inspirator des anderen. Eine Laufbahn entwickelt ihre Dynamik und eine qualifizierte Frau ihre Verantwortung erst so recht, wenn Kinder als eine Art Bodenhaftung ein Gegengewicht und eine Gegenwelt bilden, und umgekehrt bringen Kinder ihren Müttern erst dann verheißene Befriedigung, wenn sie nicht als Identitätsvergewisserung oder Leistungsnachweis gebraucht werden, sondern nur als nahestehende Mitmenschen.
Unser Denken in Kategorien von Unvereinbarkeit und unser gegen die Gesellschaft gerichteter Vorwurf der Vernachlässigung von Frauenbelangen hat uns daran gehindert zu sehen, daß Kinder und Beruf eigentlich zusammengehören wie die platonischen beiden Hälften, die in der göttlichen Vorzeit den glücklich-vollkommenen Urmenschen ausgemacht haben.
Wohlgemerkt: ich bestreite nicht, daß es viele Gründe gibt, die praktische Schwervereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit zu beklagen und Abhilfe vom Staat zu fordern. Ich bestreite auch nicht, daß unsere Gesellschaft Frauenbelange in der Tat vernachlässigt und die Prioritäten – was die Verteilung von Haushaltsmitteln usw. betrifft – gewohnheitsmäßig so setzt, daß Frauen zuletzt kommen. Ich finde auch, daß das ein Skandal ist. Meine Generation hat sich über diesen Skandal heiser geschrien. Sie hat nicht nichts erreicht – einige Verbesserungen hat es gegeben. Die wichtigste hat den Staat nichts, die Frauenbewegung aber viel Kraft und Papier gekostet: Ich spreche von der inzwischen recht fest verankerten und durchgängigen moralischen Anerkennung der berufstätigen Frau und der berufstätigen Mutter. Das ist ein schöner Fortschritt. Wo es noch hapert, wissen wir alle; wir müssen weiter schreien und fordern, heiser oder nicht. Aber wir dürfen die Vorwürfe, die wir in der Öffentlichkeit erheben, nicht als leitende Realitätslesearten an uns selber weitergeben. Wir dürfen uns nicht einreden, daß der Verzicht auf Kinder ein unter allen Umständen notwendiger Preis für berufliches Fortkommen und Verzicht auf Erfolg im Berufsleben ein vorderhand notwendiger Preis für ein erfülltes Familienleben ist. Zwischen den Polen liegt das Glück. Viele Frauen suche es da. Andere wollen gar nicht beides und sind froh, daß sie nur eines müssen.
Männer haben selbstverständlich immer beides gehabt. Frauen hatten lange Zeit nur eines und erschrecken jetzt vor den Schwierigkeiten der Vereinbarung. Wenn sie aber auf eines verzichten, dann fehlt ihnen nicht nur dieses eine, sondern auch die Wechselwirkung zwischen beiden, und dieses zusätzliche Manko ist auf den Verlustlisten weiblicher Biographien noch gar nicht aufgetaucht.
Summarisch läßt sich der Konflikt „Kind/Beruf“ in dem Schlagwort „Doppelbelastung“ fassen. Wir alle verwenden diesen Terminus ganz selbstverständlich, um die Situation einer Frau zu bezeichnen, die Kinder hat und berufstätig ist. Es wird etwas sehr Richtiges damit angesprochen, keine Frage: die Klemme zwischen Arbeitsbeginn und Kindertagesstätten-Öffnungszeiten; die zu knapp bemessene Freistellung bei Krankheit der Kinder; die Hetzerei zwischen Büroschluß und Ladenschluß, an der Hand das vom langen Tag in der Kita ermüdete Kind. Usw. Dennoch: Die Leichtigkeit, mit der wir die Belastungen addieren, entspricht womöglich unserer Bereitschaft, die Spannung zwischen den beiden „Lasten“, die etwas durchaus Anregendes und Verlebendigendes haben kann, zu übersehen. „Doppelbelastung“ ist, ungeachtet der harten Fakten, die dafür sprechen, diese Belastung nicht hinzunehmen und Abhilfe einzuklagen, eine zweckpessimistische Vokabel, deren Wert nur in ihrer propagandistischen Zuspitzung liegt, deren Kraft aber, Wirklichkeit erschöpfend zu beschreiben, wir schon aus Gründen der Selbstachtung anzweifeln müssen. Außerdem legt sie Mißverständnisse nahe. Ist eine einfache Belastung in jedem Fall besser? Welche der beiden Belastungen ist vorzuziehen? Wie kriegt man es hin, daß gar keine Belastung übrig bleibt? Indem man – bzw. frau – sowohl auf Kinder als auch auf den Beruf verzichtet? Nein, so kann es nicht gemeint sein. Ist vielleicht die je einzelne Verpflichtung gar keine Belastung, kommt es zu einer Belastung nur durch die Doppelung der Verantwortung? Ja, so wird schon eher ein Schuh daraus. Aber wenn die Doppelung eine besondere Belastung erzeugen kann, warum dann nicht auch eine besondere Stärke oder Chance? Vom gewachsenen Selbstbewußtsein zum „kreativen Push“? Ich frage nur. Ich verspreche nichts, ich behaupte auch nicht, daß die Belastungen, denen Frauen aufgrund einer ignoranten Umwelt und Politik ausgesetzt sind, gar nicht existieren.
Ich erinnere an die Vielfalt der Möglichkeiten, die das Szenario: Frau zwischen Kindern und Karriere, eröffnet. Es sind nicht nur Katastrophen in diesem Szenario vorgesehen, sondern auch Glück und Erfolg.
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