Doppel-„Tatort“ aus Berlin: Rechte Umsturzversuche
Doppelfolge aus Berlin: Der „Tatort“ hat eine neue tolle Ermittlerin und spielt im rechten Milieu von Polizei und Verfassungsschutz. Aber, ach.
Der zweite Berliner „Tatort“ nach dem Ableben der Ermittlerin Nina Rubin (Meret Becker) tischt ziemlich opulent auf. Verdächtige und Handlungsort sind Polizei und Verfassungsschutz. Hochbrisant! Der Tatort ist eine Doppelfolge mit drei Stunden Platz zum Erzählen. Cool! Mark Waschke spielt weiter den Ermittler Karow. Yeah! Seine neue Partnerin ist eine der prominentesten deutschen TV-Schauspielerinnen, Corinna Harfouch. Ja, Wahnsinn!
„Es ist größer, als ich dachte“, sagen zwei Polizistinnen im Laufe des Films. Beide sterben. Was genau da größer ist, bleibt zunächst unausgesprochen, wird aber jedem Zuschauer sofort dämmern: die Kreise und Ziele der Rechten in der Polizei.
Man will diesen Tatort gerne gut finden. Aber, ach. Oh Mann. Oh je. Wo bisher ein Ermittlerduo war, das immer etwas nach Späti, Drogen, Sex, Club, Großstadt gerochen und was Dunkles, Unsauberes, Nicht-Ausdiskutiertes hatte, ist jetzt alles spiegelglatt. Die Neue, Spitzname „Heilige Susanne“, hat kein dreckiges -ow oder -ic im Namen, sondern klingt nach französischer Patisserie: Bonard. Karow hat jetzt längere Haare und entwickelt sich ob der Noblesse seiner neuen Kollegin sogar zum Charmeur.
Auch ansonsten scheint alles, was an früher erinnert, aufgegeben. Die Farben sind meist in grau, braun und dunkelblau abgetönt. Selbst die Buntstifte des kleinen Matti, dessen Mutter vor seinen Augen erschossen wird, wirken blass. Die mal durch Elektroklänge, mal durch Panflöte inszenierte Hintergrundunheimlichkeit nervt: Ist ja gut, wir haben verstanden, es ist ein düsteres Thema und die Abgründe sind tief, sehr tief.
So gut wie alles in diesem Tatort wirkt falsch, verstellt, gekünstelt, bemüht künstlerisch inszeniert, unglaubwürdig. So sieht man zum Beispiel mehrfach Finger in Großaufnahme, wie sie gerade Sim-Karten in Laptops stecken. Und so wie die neue Ermittlerin mit ihrem Ehemann spricht bzw. der mit ihr, wirkt das nicht wie bei einem echten Alltag solcher Paare abgeschaut, sondern als hätte sich der Regisseur bei seiner Recherche von Influencerpaaren auf Instagram inspirieren lassen.
Ansonsten sieht man viel Gesicht. Vor allem das von Harfouch. Das guckt man natürlich ganz gern an, so wie auch das von Waschke. Aber keine einzige Einstellung in den drei Stunden hat Witz oder ist so intensiv, dass man vergisst, dass der Rest der Erzählung irre langatmig ist. Dazu gibt es ständig unglaubwürdige Entwicklungen, wie der Umstand, dass sich die neue Ermittlerin einfach selbst eingesetzt hat, obwohl sie gerade offiziell in den Ruhestand geschickt wurde.
Um auch mal etwas zum Thema zu sagen: Ja, auch in echt gibt es Rechtsextreme in der Polizei und es gibt den Verfassungsschutz, dessen Chef bis vor Kurzem ein Rechtsextremer war. Und es gibt guten Grund, wegen Waffen sammelnder und schießender Reichsbürger besorgt zu sein. Aber der Tatort tut so, als hätten die Rechtsextremen den deutschen Staat im Prinzip schon so gut wie in der Hand.
Berlin-„Tatort“: „Nichts als die Wahrheit“, So. und Mo. (9./10. März 2023), 20.15 Uhr, ARD. Und in der ARD-Mediathek.
Was genau will so eine Erzählung erreichen? Dass die Nazis sich diebisch freuen, weil hier suggeriert wird, dass sie kurz davor sind, ihr Ziel, ihre eigene Zeitenwende, den Umsturz erreicht zu haben? Sicher liefert der Tatort Anlass, um den rechten Filz in den Sicherheitsbehörden zu thematisieren. Weniger apokalyptische Überinszenierung, mehr glaubwürdigere Erzählung hätte trotzdem gutgetan.
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