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Dopingfahnder in PekingKämpfer gegen Windmühlen

Der freundliche Herr Xu soll für olympische Gerechtigkeit sorgen. Er und sein Team testen in Peking innerhalb von zwei Wochen 4.500 Blut- und Urinproben.

Der von Xu überführte nordkoreanische Schütze Kim Jong-Su. Bild: dpa

DER KLEINE DOPING-FÜHRER

PEKING taz Xu Youxuan hat gute Arbeit geleistet. Gestern hat er wieder zwei entdeckt. Im Urin des nordkoreanischen Pistolenschützen Kim Jong-Su haben Xu und sein Team verbotene Betablocker gefunden. Sie beruhigen den Herzschlag. Der Schütze hatte den zweiten Platz in der Disziplin Freie Pistole und Rang drei mit der Luftpistole belegt. Außerdem wurde die vietnamesische Kunstturnerin Do Thi Ngan Thuong positiv getestet. Ein paar Tage vorher hat Xu die spanische Radfahrerin Maria Isabel Moreno dingfest gemacht. Sie hatte sich mit dem Blutdopingmittel Erythropoietin (Epo) gedopt. Xu hat sehr viel zu tun in diesen Tagen der Spiele. "Ich bin ziemlich müde", sagt er. "Meine Familie sieht mich kaum noch, und mein Sohn ist oft allein zu Hause."

Xu, der Analysechef des Pekinger Dopingkontrolllabors, darf nur einmal in der Woche in seiner Wohnung schlafen. Die anderen Nächte verbringt er im Keller des Labors. Dort sind zwei Schlafräume eingerichtet. "Die wichtigen Leute müssen dableiben, 24 Stunden", sagt Xu. Er ist wichtig. Er hat die meiste Erfahrung. Seit 1989 ist er dabei. Seine Schichten gehen von neun bis neun, auch nachts. Sein Team muss täglich 300 Tests schaffen, 4.500 insgesamt. Es ist ein Pensum, das die deutschen Labore in Köln und Kreischa in einem Jahr bewältigen. Xu muss es in zwei Wochen schaffen. "Das ist eine wichtige Arbeit, weil ich zur Sauberkeit der Spiele beitragen kann, es geht um die Gerechtigkeit im Sport", sagt der 45-Jährige. Dafür verzichtet er gern auf seinen Sport, seit Wochen schon. Xu spielt dreimal die Woche Badminton. Jetzt fehlt ihm die Zeit für ein paar Smashes. Sein Rücken schmerzt wegen der Büroarbeit. Er macht auf seinem Sessel im Crowne-Plaza-Hotel ein paar Lockerungsübungen.

In Peking gehen über 11.000 Sportler an den Start. Stichprobenartig werden sie ausgewählt und zur Urinprobe gebeten. Die Medaillengewinner werden automatisch um eine Spende gebeten. Auch gezielte Kontrollen gibt es, im olympischen Dorf etwa oder in den Trainingshallen der chinesischen Hauptstadt.

4.500 Kontrollen - das klingt viel. Aber es heißt, dass nicht mal jeder zweite Sportler getestet wird. Nach Epo wird nur 600 Mal gesucht. Das menschliche Wachstumshormon (HGH) soll in 500 bis 600 Proben aufgespürt werden. "Darauf legen wir einen Schwerpunkt", sagt Xu. Er weiß, dass die Substanzen flüchtig sind. Nach ein paar Tagen sind sie meist nicht mehr nachzuweisen. Der Dopinganalytiker braucht Glück und sehr viel Geduld. "Es ist mein Traumberuf, aber derzeit ist es sehr stressig", sagt der freundliche Herr Xu. Wenn er fündig wird, dann ist er hin und her gerissen. "Einerseits gefährdet die Verwendung von Dopingmitteln die Chancengleichheit, andererseits ist ein bisschen Bedauern dabei, weil die erwischten Sportler ja meistens sehr jung sind und ihre Karriere dann beendet ist."

Er spricht am liebsten über die technischen Dinge der Dopinganalyse. Über Chinas Anabolikaküchen und Dopingfabriken, die die gesamte westliche Welt, vor allem aber Amerika beliefern, will Xu lieber nichts sagen. Da müsste man schon seinen Chef fragen. Eine Meinung zum brisanten Thema des Sportbetrugs hat er aber doch: "Ich glaube nicht, dass jeder Leistungssportler dopt, es gibt zwar eine Menge Betrüger, aber es gibt auch Saubere." Um die Sauberen von den Sündern zu trennen, gibt es 48 Angestellte im Labor, während der Spiele kommen 18 Experten aus der ganzen Welt hinzu. Sieben Chefs von anderen Laboren helfen Xu; der Deutsche Mario Thevis aus Köln ist darunter.

Europa hat die Pekinger Tester massiv unterstützt. Wissen wurde transferiert, das vor allem. Das Labor in Sichtweite des Vogelnestes ist trotz der Olympischen Spiele, die Größe und Glanz ausstrahlen sollen, noch nicht vergleichbar mit dem Kölner Labor. Das räumt Xu ohne Zögern ein. "Unser Labor hat nicht das beste Niveau", sagt er. Insgesamt gibt es 35 Testlabore auf der Welt, die den Ansprüchen der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) genügen. Peking liegt irgendwo im Mittelfeld. Kühlschränke haben sie jedenfalls genug. "Wir haben so viele eingekauft, dass wir alle Proben einfrieren können, und dann ist erst ein Viertel voll." Die Proben werden in der Hoffnung auf Eis gelegt, dass es in den kommenden Jahren bessere Methoden zur Analyse geben könnte. Man müsste dann nur in die Truhe greifen und könnte einen Doper finden.

70 Millionen Yuan, etwa sieben Millionen Euro, hat der chinesische Staat in das Labor investiert, 28 Millionen für den Bau eines neuen Traktes, 20 Millionen für die Inneneinrichtung. Erst seit November 2007 gibt es die Chinada, die chinesische Antidopingagentur. Sie ist so jung wie der ernsthafte Kampf gegen Doping in China. Vorher war das Institut dem staatlichen Institut für Sportmedizin untergeordnet, noch früher, vor den 11. Asiatischen Spielen im Jahre 1990, die in Peking stattfanden, war es dem Sportministerium und dem staatlichen pharmazeutischen Forschungsinstitut unterstellt. "Damals war alles sehr primitiv, wir hatten nicht viel Geld", sagt Xu. "Aber nach den Asiatischen Spielen wurden wir wichtiger." Ein bisschen. Denn China galt in den 90er-Jahren als Dopingdorado. Berühmt wurde "Mas Armee", Läuferinnen des Trainers Ma, die sich angeblich mit Schildkrötenblut stählten und nach der ungewöhnlichen Diät fantastische Zeiten liefen. Mas Armee verschwand, andere Trupps tauchten auf. China hat, mit welchen Mitteln auch immer, jetzt schon den Olymp erklommen. Der Gastgeber führt fast uneinholbar in der Medaillenwertung.

Xu bekommt davon kaum etwas mit in seinem Labor. Er testet im Akkord. Um zu verstehen, wie Substanzen wie Finasterid, Stanozolol oder Androstendiol aufzuspüren sind, hat der Mann aus Anhui Chemie studiert. In Peking und Plymouth. Er hat den Doktor in analytischer Chemie abgelegt und diverse Touren durch europäische und australische Labors hinter sich. Er gehörte zum chinesischen Sechsmannteam, das während der Spiele in Athen im dortigen Labor arbeitete. "Die Arbeit ist vor allem eine technologische Herausforderung, denn alles ändert sich ständig", sagt er. Die Finesse der Betrüger kennt keine Grenzen. Die Fahnder sind meist hintendran. Um den Rückstand aufzuholen, arbeiten ein paar europäische Labore seit geraumer Zeit mit der Pharmaindustrie zusammen. So wollen sie auf dem neuesten Stand sein. So weit ist das chinesische Labor, das einzige in dem riesigen Land, noch nicht. "Nein", sagt Xu, "so was machen wir nicht."

Der Chef des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), Jacques Rogge, hat 40 Dopingfälle bei den Spiele prognostiziert. So viele hat Xu Youxuans Mannschaft noch lange nicht gefunden. Aber er wird arbeiten, Tag und Nacht, um zu entdecken, was zu entdecken ist.

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