Doping in der russischen Leichtathletik: Jetzt hilft nur noch betteln
Die Hochsprungweltmeisterin Marija Lassizkene darf nicht bei internationalen Wettkämpfen starten. Ihr Verband erweist sich als reformunfähig.
Es war ein Hilfeschrei, den Marija Lassizkene da abgesetzt hat. Vor drei Wochen verschickte die dreifache Weltmeisterin im Hochsprung einen Brief an ihren Staatspräsidenten. Über ihren Instagram-Account machte sie das Schreiben, das neben ihr auch die Weltmeisterin im Stabhochsprung, Anschelika Sidorowa, und Sergei Schubenkow, seit Jahren einer der besten Hürdensprinter der Welt, unterschrieben hatten, für die Öffentlichkeit zugänglich. Putin, der „sehr geehrte Wladimir Wladimirowitsch“, möge einschreiten, möge den „katastrophalen Zuständen“ in der russischen Leichtathletik ein Ende setzen, solle die Reputation des Verbandes wiederherstellen.
Die könnte in der Tat nicht schlechter sein. Dem Allrussischen Leichtathletikverband droht wegen anhaltender Reformunwilligkeit sogar der Ausschluss aus dem Weltverband World Athletics (WA). Wenn Ende des Monats der WA Council zusammentritt, könnte es also um das Fortbestehen der russischen Leichtathletik gehen. Am 1. Juli war eine Frist verstrichen, bis zu der der russische Verband eine Strafzahlung von 5,5 Millionen Euro an WA zu entrichten hatte.
Die ist Teil eines Urteils gegen die Russen, das gefällt wurde, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der russische Verband beim leidigen Dauerthema Doping einmal gelogen und betrogen hat. Hochspringer Danil Lyssenko war bei drei Dopingkontrollen nicht angetroffen worden, woraufhin der Verband getürkte Akten vorgelegt hat, nach denen der 23-Jährige in einem Krankenhaus behandelt worden sei, als die Kontrolleure ihn aufsuchen wollten. Der Fake flog auf und für den Weltverband war klar, dass man all den von russischer Seite gegebenen Versprechen, dem Dopingproblem nun endlich Herr zu werden, nicht glauben kann.
Seit 2015 versucht World Athletics die Russen dazu zu bewegen, ernstzunehmende Anstalten in der Dopingbekämpfung zu machen. Da waren die Machenschaften im russischen Sport gerade aufgeflogen. Es war eine russische Leichtathletin, Mittelstrecklerin Julia Stepanowa, die mit ihren Aussagen die Ermittlungen zum russischen Staatsdoping ins Rollen gebracht hatte.
2020 ist ein Olympiajahr. Doch die Spiele von Tokio sind pandemiebedingt ins nächste Jahr verschoben worden. Trainiert und gesportelt wird trotzdem auch in diesem Jahr. Es wird geschwommnen, gefochten, gelaufen, gerungen und gesprungen. Den besonderen Herausforderungen des olympischen Sports zu Coronazeiten widmet die Leibesübungen-Redaktion der taz einen Schwerpunkt.
Ende der Neutralität
Russische Leichtathlet:innen dürfen seitdem nicht mehr für ihr Land an internationalen Wettkämpfen teilnehmen. Nur eine handverlesene Auswahl von Sportler:innen, die nachweisen können, dass sie ein strenges Testregime durchlaufen, wurden als sogenannte neutrale Athlet:innen zu Wettkämpfen zugelassen. Als der Fall Lyssenko bekannt wurde, fiel selbst diese Regel.
Marija Lassizkene, die seit 2015 immer als Neutrale aufgetreten ist, konnte an den Wettbewerben, die im Winter vor der coronabedingten Sportpause noch stattgefunden haben, nicht teilnehmen. Im Januar forderte sie deshalb erstmals Konsequenzen. Tatsächlich wurde schnell ein neuer Mann an die Spitze des Allrussischen Leichtathletikverbands gesetzt. Doch jener Jewgeni Jurtschenko, ein Geschäftsmann und ehemaliger Regionalpolitiker, unternahm nichts, was der russischen Leichtathletik zu neuem Ansehen hätte verhelfen können Anfang der Woche ist er zurückgetreten, ohne einen Grund dafür zu nennen. Der Scherbenhaufen, den er hinterlassen hat, könnte größer nicht sein.
Der russischen Leichtathletik bleibt derzeit nur das Bitten um Gnade. Russlands Sportminister Oleg Matyzin hofft auf eine Übereinkunft mit dem Weltverband und darauf, dass die „Sportler nicht zu Opfern werden“. Viel hat er nicht zu bieten.
Schon davor hatte Lassizkene, immerhin Offizierin der russischen Armee, öffentlich darüber nachgedacht, den Verband zu wechseln, falls sich nichts tue. Sollte sie das tun, würde sie drei Jahre gesperrt. Ein Verband hat sich schon gemeldet und würde sich gerne mit den Meriten der Leichtathlet:innen aus Russland schmücken.
„Wenn sich russische Athleten an uns wenden, werden wir darüber nachdenken“, sagte jedenfalls Wadim Dewjatowski, der Chef des weißrussischen Leichtathletikverbands. Der ehemalige Hammerwerfer durfte sich 2008 kurz Silbermedaillengewinner der Olympischen Spiele von Peking nennen. Dann wurde ihm seine Plakette wieder abgenommen – wegen Doping.
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