Doping in Kenia: Komplexe Verbrechen
Kenia hat ein massives Dopingproblem. Allein in diesem Jahr wurden 60 Leichtathlet:innen wegen der Einnahme leistungssteigernder Mittel gesperrt.
Ababu Namwamba hat's nicht leicht dieser Tage. Der Jugend- und Sportminister Kenias war in diesem Oktober kaum in sein neues Amt gewählt worden, da musste er schon die ersten Brandherde löschen. Bei einem Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino erörterte er die Aufhebung des Banns, unter dem Kenia momentan im Weltfußball steht.
Kenianische Regierungsvertreter hatten sich in unzulässiger Weise ins Fußballgeschäft eingemischt. Kurz darauf schlichtete Namwamba in einem ausufernden Streit innerhalb des nationalen Rugby-Verbandes. Doch die heikelste Herausforderung sollte auf den 46-jährigen in den USA ausgebildeten Anwalt für Menschenrechte erst noch warten – die regelrechte Doping-Explosion in Kenias wichtigster Sportart: der Leichtathletik.
Als Anfang dieser Woche bekannt wurde, dass die Marathonläuferinnen Diana Kipyokei und Purity Rionoripo wegen Dopings von der Athletics Integrity Unit (AIU) ausgeschlossen wurden, war die 60 sozusagen voll. So viele kenianische Spitzenläufer und -läuferinnen sind bislang im Jahr 2022 wegen des Konsums verbotener leistungssteigernder Mittel aus dem Verkehr gezogen worden. Nur in Russland (102) und Indien (61) gab es Anfang Dezember mehr wegen Dopings suspendierte Sportler.
Ein beinahe flächendeckendes Dopingproblem hat sich im Land der stärksten Mittel- und Langstreckensportler/-innen aufgetan. Eines mit krimineller Energie, wie Sportminister Namwamba meint.
Agenten, Trainer und Ärzte beteiligt
„Ich glaube, wir müssen Doping kriminalisieren und den Umgang mit Dopingmitteln auf das gleiche Niveau wie Betäubungsmittel heben“, kündigte Namwamba an. Ein einfaches Anti-Doping-Gesetz wie jenes, das 2016 in Kenia eingeführt worden war, reiche nicht mehr aus. „Unsere ersten Untersuchungen zeigen, dass sie in der Leichtathletik ein sehr komplexes Untergrundsyndikat haben. Daran sind Agenten, Trainer und Ärzte beteiligt, sodass mehrere Instrumente eingesetzt werden müssen, um dieses Syndikat aufzulösen“, sagte der in Uganda geborene Kenianer. Allerdings: Die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada hat sich vor einigen Jahren gegen Gefängnisstrafen und die Kriminalisierung von Dopingsündern ausgesprochen. Dieser Standpunkt ist bis heute aktuell.
Die Häufung der Fälle in Kenia ist indes kaum ein Zufall. Sie ist zum einen darauf zurückzuführen, dass nach zwei Jahren Pandemie wieder Kontrolleure ins Land kamen. Und zweitens wohl auch darauf, dass verbesserte Kühlungs- und Transportmöglichkeiten erst die Untersuchung von in Kenia abgenommenen Blutproben möglich machten. Bis vor wenigen Jahren konnte dort quasi nach Belieben geschaltet und gewaltet werden.
Dazu kommt noch, dass der Weltverband World Athletics (WA) 2017 eine eigene Organisation (Athletics Integrity Unit) gegründet hat, um Doping den Kampf anzusagen.
Außerdem sicherte Namwamba in einem Brief an Sebastian Coe, Präsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes World Athletics, eine massive finanzielle Offensive im Anti-Doping-Kampf Kenias zu. „Sie haben 25 Millionen US-Dollar für die nächsten fünf Jahre im Kampf gegen Doping versprochen“, berichtete Coe der BBC Anfang Dezember. Damit verhinderten Namwamba und seine Leute offenbar einen drohenden Ausschluss aus dem Verband.
Während die hohe Anzahl der überführten Athleten durchaus für ein professionelles Dopingnetz in Kenia spricht, lassen ans Tageslicht gekommene Details eher stümperhaftes Verhalten der Athleten und Athletinnen samt ihren Hinterleuten vermuten. So versuchte Diana Kipyokei, die 2021 den namhaften Boston-Marathon gewonnen hatte, die nachgewiesene Benutzung verbotener entzündungshemmender Medikamente mittels einer gefälschten Krankenhausakte zu entkräften. Ähnlich Purity Rionoripo: Die 29-Jährige, die 2017 beim Paris-Marathon triumphiert hatte, behauptete, lediglich Medikamente zur Linderung einer Knöchelverletzung zu sich genommen zu haben. Bewiesen wurde der später Geständigen, dass sie ein Rezeptformular aus dem Krankenhaus gefälscht hat, um über eine Apotheke ein leistungssteigerndes Mittel beziehen zu können.
Kenia gehört zu den sieben Ländern, die von der AIU als Verband der „Kategorie A“ eingestuft wurden – dem höchsten Dopingrisiko -, was bedeutet, dass sich Athleten aus den Ländern in den zehn Monaten vor einem Großereignis mindestens drei Tests unterziehen müssen, um dort antreten zu können.
Ein Ausschluß durch World Athletics und die AIU wäre ein schwerer Schlag für den Ruf der kenianischen Leichtathletik, die 34 ihrer 35 olympischen Goldmedaillen bei Leichtathletik-Veranstaltungen gewonnen hat. Das kenianische Nationale Olympische Komitee erklärte, das Land habe eine „erhabene Geschichte“ im Sport aufgebaut und man sei „nicht bereit, diesen Ruf aufgrund der Gier einiger weniger Akteure zu opfern“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen