Don Giovanni in Hamburg: Die Kraft der Verführung
Keine Oper, lustvoll gesungen wird trotzdem – auch vom Publikum: Das Thalia Theater eröffnet die Lessingtage mit „Don Giovanni. Die letzte Party“.
Wir kennen die Geschichte: Der verknallte Zeus verwandelt sich in einen prächtigen Stier und entführt eine hübsche Prinzessin aus Kleinasien nach Kreta. Auf die Frage der Königstochter, wie der Ort, der von nun an ihr neues Zuhause sein soll, denn heiße, beschließt Zeus, den ganzen Kontinent kurzerhand nach ihr zu benennen. Europa.
Die diesjährigen Lessingtage im Hamburger Thalia Theater stehen im Zeichen dieses verliebten Stiers. Zwei Wochen lang finden unter dem Motto „Um alles in der Welt“ mehr als 60 Veranstaltungen statt. Viele nationale und internationale Gastspiele wird es geben, aber auch Lesungen, Filmvorführungen, Konzerte und Ausstellungen.
Ausgehend von den aufklärerischen Idealen des Namensgebers soll es um einen versöhnlicheren Blick auf den Alten Kontinent gehen. Und um das, was trotz aller kulturellen und politischen Differenzen die Verbindungen schlägt.
Zum Auftakt wurde kein Stier, sondern ein anderer großer Verführer zum Verbindungsmann erkoren: Antú Romero Nunes’ Inszenierung „Don Giovanni. Die letzte Party“ eröffnete das vierzehntägige Festival. Nunes und sein musikalischer Leiter Johannes Hofmann haben dabei Mozarts „Oper aller Opern“, selbst ein frühes Beispiel interkultureller Zusammenarbeit, auf die Möglichkeiten des Sprechtheaters zurechtgestutzt. Keine großen Arien, keine Oper. Nunes hat sich in seiner Übersetzung des Librettos für die Bezeichnung „Bastardkomödie“ entschieden.
Frauenband im Rokoko-Gothic-Pomp
Statt eines Orchesters gibt es eine siebenköpfige Frauenband im dunklen Rokoko-Gothic-Pomp-Kostüm, die das Stück nicht nur begleitet, sondern auch mal mit einer klanglichen Pointe ins Geschehen eingreift. Wie ein weiterer Mitspieler agiert auch die aufwendige Lichtkonstruktion, die die ansonsten karge Bühne dominiert (Bühne: Florian Lösche, Licht: Paulus Vogt). Aus drei separat beweglichen Scheinwerferkreisen bestehend, bringt sie sich immer wieder in eine neue Konstellation und beleuchtet damit jede Szene anders.
Nunes’ „Don Giovanni“ ist keine Oper, aber gesungen wird hier trotzdem – frei nach Mozart. Gleich zu Beginn des Stücks steht Mirko Kreibich als Leporello, der Diener des Don Giovanni, mit einer weißen, abgehalfterten Perücke am Rand der Bühne und dirigiert das Publikum wie ein Amadeus.
Und vielleicht liegt in der Verwundbarkeit, die Kreibich seinem Leporello gibt, etwas Anrührendes und damit auch Verführerisches. Denn umgehend verwandelt sich das Hamburger Publikum zu einem lautstarken Chor und singt seine Einsingübungen nach. „Singen macht glücklich“, heißt es im Programmheft. Und in dieser Oper, die keine Oper ist, wollte das Premierenpublikum glücklich sein.
Das wollen nun die Frauen, die Don Giovanni verfallen, freilich auch. So erfährt der Zuschauer schon an sich selbst etwas von der ambivalenten Kraft der Verführung, noch bevor der Frauenflüsterer die Bühne betritt. Zugleich stellt sich damit eine gesangliche Gleichstellung ein. Eine entwaffnende Augenhöhe zwischen Darsteller und Publikum. Die Schauspieler werden nicht viel besser singen als ihr Publikum, aber sie werden es genauso lustvoll tun. Inszenatorisch ist das eine simple, aber keineswegs banale Idee. Und die Aufführung hat viele Kunstgriffe dieser Art parat.
Ob Baroness oder Zofe
Wie bei Mozart ist Nunes’ Don Giovanni auch ein adliger Lebemann, den nur eines im Leben antreibt, die Liebe zu den Frauen. Unmöglich ist es ihm, diese Liebe im Plural zu begrenzen. Darin ist er gewissermaßen ein großer Europäer. Ob Italienerinnen, Deutsche, Französinnen, Türkinnen oder Spanierinnen, ob Zofe oder Baronesse, „im Winter mag er die Dicken, im Sommer die Dünnen“ – seine berühmte Eroberungsliste deckt weite Teile Europas ab.
Sebastian Zimmler spielt und trällert den Herzensbrecher als einen gedankenlosen Partyhengst. Mit nacktem Oberkörper, schiefer Perücke und einem Schuss Wahn in den Augen stolziert er über die Bühne und verführt, als gäbe es kein Morgen. Den anschließenden Scherbenhaufen überlässt er dann seinem Diener Leporello.
Unbedingt hervorzuheben aus dem durchweg glänzend besetzten Ensemble ist die charismatische Karin Neuhäuser, die zu Beginn als Donna Annas Vater mit einem dickbäuchigen Bariton überrascht und später als Todesfigur in der Gestalt einer Femme Fatale den lüsternen Helden heimsucht. Als höhnisch lachender Todes-Vamp wird sie den Frauenhelden schließlich ins Jenseits (ver)führen.
Nunes’ Inszenierung hat tatsächlich die Leichtigkeit eines Festes, das bei allem Einfallsreichtum nie sein Thema aus den Augen verliert. Als Don Giovanni kurz vor der Pause 100 Frauen aus dem Premierenpublikum auf die Bühne lud, um seine letzte Party zu feiern, standen die Damen tatsächlich Schlange.
„Don Giovanni. Die letzte Party“; Eine Bastardkomödie frei nach Wolfgang Amadeus Mozart/Lorenzo da Ponte; Regie Antú Romero Nunes; Nächste Vorstellungen: 10./12./22. Februar – alle Termine.
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