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Gipfel von EU und GroßbritannienViel Lärm um fast nichts

Dominic Johnson
Kommentar von Dominic Johnson

Die neue Partnerschaft ist ziemlich fragil. Dabei ist das Klima zwischen beiden Seiten wichtiger als Vertragspapier.

Premierminister Keir Starmer und Ursula von der Leyen auf Deck der HMS Sutherland in London Foto: Stefan Rousseau/ap

J e größer die Worte, desto kleiner die Wirklichkeit. Das macht der Gipfel zwischen Großbritannien und der Europäischen Union in London besonders deutlich. „Ladies and Gentlemen, Großbritannien ist zurück auf der Weltbühne“, tönt Premierminister Keir Starmer wie ein schlechter Showmaster. Aus seinem „reset“ (Neustart) mit der EU wird jetzt eine „neue Ära“.

Die Gipfelergebnisse aber sind fast nur Absichtserklärungen. Am konkretesten ist die sicherheitspolitische Zusammenarbeit, wobei Details aber ausgespart bleiben. In der Zusatzerklärung „Common Understanding“ (Gemeinsames Verständnis) werden lauter Gemeinsamkeiten genannt, Vorhaben aber lediglich in Aussicht gestellt. Die einzige konkrete Verpflichtung ist, dass EU-Fangflotten bis 2038 ihre bestehenden Fischrechte in britischen Gewässern behalten, und das steht gar nicht in den Papieren. Denn die waren schon fertig, als Starmer das am Montag zusagte, angeblich weil die EU sonst alles zurückgezogen hätte.

Das zeigt, wie fragil die „neue strategische Partnerschaft“ ist – und auch, wie belastbar. Denn wie gut London und Brüssel zusammenarbeiten, hängt nicht von Papieren ab – wäre das so, wäre Boris Johnsons Brexit-Abkommen eine Liebeserklärung gewesen. Maßgeblich ist das Vertrauen. Das ist auf EU-Seite gegenüber Keir Starmer offensichtlich vorhanden, und deswegen führen ein paar Seiten wolkiger Hoffnungen im Jahr 2025 politisch weiter als ein zentnerschweres Vertragswerk voller millimetergenauer Festlegungen im Jahr 2019.

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In der verrückten Welt des Jahres 2025 ist gute Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien unerlässlich. Die gab es zuletzt ohne Papiere – und zwar je nach Weltlage und Bedarf. Sollten die beiden Seiten jetzt versuchen, ihre vielen neuen Absichtserklärungen tatsächlich in rechtlich bindende Verpflichtungen zu verwandeln, werden sie unweigerlich miteinander in Konflikt geraten. London und Brüssel sollten ihr gutes Klima möglichst lange bewahren – und die in Aussicht gestellten Vereinbarungen möglichst schnell vergessen.

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Dominic Johnson
Ressortleiter Ausland
Seit 2011 Co-Leiter des taz-Auslandsressorts und seit 1990 Afrikaredakteur der taz.
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