Dolmetscher über Marwa-Prozess: "In Ägypten ist der Fall sehr präsent"
Die Staatswaltschaft fordert "lebenslänglich" für den Angeklagten Alex W. Die deutsche Seite gibt sich große Mühe, sagt Abd El Gawad. Er dolmetscht für den Ehemann der Getöteten.
taz: Herr Abd El Gawad, hatten Sie Zweifel, als man Ihnen diesen Job anbot?
Walid Abd El Gawad: Ja, ich war zwiegespalten. Einerseits fand ich es interessant, eine Innenansicht dieses Prozesses zu bekommen. Andererseits war ich mir meiner Verantwortung bewusst, dass ich als Dolmetscher auf der menschlichen Ebene immer die notwendige Distanz halten muss. Ein Dolmetscher darf für niemanden Partei ergreifen.
Wie muss man sich Ihre Arbeit beim Prozess vorstellen?
31, ist Dolmetscher für Arabisch und Arabist. Er promoviert an der Universität Leipzig über "Akzeptanz- und Abgrenzungsstrategien im islamischen Diskurs Ägyptens im 20. Jahrhundert" und dolmetscht im Marwa-Prozess. Abd El Gawad lebt in Leipzig.
Ich dolmetsche für den Ehemann der Getöteten, Elwy Ali Okaz, vom Deutschen ins Arabische und wechsle mich dabei mit Kollegen ab. Herr Okaz spricht sehr gut Deutsch und versteht das Meiste. Nur wenn sehr schnell gesprochen wird oder es um juristische Fragen geht, konsultiert er mich sicherheitshalber. Außerdem dolmetsche ich simultan für einen Anwalt, den die ägyptische Rechtsanwaltskammer entsendet hat.
Gab es Situationen in diesem Prozess, die Sie an Ihre Grenzen gebracht haben?
Ja, als ich Zeugenaussagen dolmetschen musste, in denen das Tatgeschehen geschildert wurde. Dabei brachen Leute vor Gericht in Tränen aus. Der Rechtsanwalt des Angeklagten hat fast geweint. Die Zeugen schilderten alles aus einer persönlichen Perspektive. Ich musste mich sehr zusammenreißen, damit ich nicht mitleide - beziehungsweise man mir meine Gefühle nicht ansieht. Ich habe großen Respekt vor den Richtern, die trotz der immensen emotionalen Herausforderungen vollkommen sachlich mit dem Fall umgehen.
Wie halten die Angehörigen der Getöteten den Prozess aus?
Beim Prozess ist neben dem Ehemann Marwa El Sherbinis auch ihr Bruder, Tarek El Sherbini, dabei. Mir als Dolmetscher fällt es schon sehr schwer, diesen Zeugen zuzuhören. Ich weiß nicht, wie schlimm es für den Mann oder den Bruder sein muss, das Geschehene immer wieder zu hören. Man sieht dem Ehemann deutlich an, dass er leidet. Er möchte dennoch anwesend sein.
Warum tut er sich das an?
Ich glaube, er macht es für seine tote Frau, um ihre Rechte zu wahren. Er wirkt dabei sehr souverän, er respektiert und akzeptiert alle rechtlichen Schritte und Formalitäten, auch wenn sie ihm wehtun. Seine Äußerungen hält er sachlich und kurz und er bleibt gefasst, auch wenn er emotional sehr berührt ist.
Im Verlauf des Prozesses wurde detailliert auf die sozialen Hintergründe des Angeklagten Alex W. eingegangen. Spielt dies in der öffentlichen Debatte in Ägypten eine Rolle?
Das war lange überhaupt kein Thema. Die Integrations- und Identifikationsprobleme von Russlanddeutschen werden in arabischen Medien überhaupt nicht thematisiert. Mittlerweile wird der Angeklagte zwar häufig als "Russlanddeutscher" bezeichnet, aber seine persönlichen Probleme und Schwierigkeiten werden kaum behandelt. Was ihn für seine extreme Haltung anfällig gemacht haben könnte, wird nicht hinterfragt. Die Tat wird in der Regel durch die islam- und ausländerfeindliche Stimmung in Deutschland erklärt. Hinzu kommt, dass Elwy Ali Okaz, der Ehemann, von einem deutschen Polizisten angeschossen wurde.
Wie war die Stimmung im Saal, als die Geschichte von Alex W. zur Sprache kam?
Ich konnte die Hintergründe seiner Tat jetzt teilweise nachvollziehen: Er hat nie irgendwo richtig dazugehört. Solche Identitätsprobleme, fehlende oder misslungene Integration machen Jugendliche empfänglich für radikale Ideen. Das betrifft nicht nur Russlanddeutsche, sondern auch muslimische Jugendliche und andere Jugendgruppen, die oft ebenfalls nirgendwo wirklich verwurzelt sind. Wenn ich seine Geschichte aus dieser Perspektive allerdings in Ägypten erzählen würde, fände ich kein Gehör.
Ob die ägyptischen Anwälte Verständnis für Alex W.s Hintergründe haben, kann ich nicht beurteilen. Für sie zählt in erster Linie das Ergebnis: Ein radikaler junger Mann, der eine junge gebildete Frau umgebracht hat. Dafür verlangen sie eine möglichst hohe Strafe. Viele junge Ägypter studieren oder promovieren hier. Die ägyptische Regierung will zeigen, dass sie die Rechte der Ägypter im Ausland wahrt.
Deutsche Medien haben wiederholt berichtet, Marwa El Sherbini gelte in der arabischen Welt als "Märtyrerin mit Kopftuch", die für ihren Glauben sterben musste. Wie verbreitet ist dieses Bild?
Es stimmt, dass Marwa El Sherbini oft als "Schahidat al-Hidschab", als Kopftuch-Märtyrerin dargestellt wird - nicht nur in ägyptischen Medien, sondern beispielsweise auch auf al-Dschasira. Dadurch verlagert sich die Diskussion über den Prozess auf die religiöse Ebene, was ich nicht gut finde. Ähnliches findet allerdings auch hier in Deutschland statt: Frauen mit Kopftuch werden schnell auf ihre Religion reduziert. Der Fall ist in arabischen Medien sehr präsent und das Image von Deutschland hat dadurch gelitten. Verstärkt wird dies durch frühere ausländerfeindliche Ereignisse. Durch dieses Verbrechen wurden negative Vorurteile gegenüber Deutschen bestärkt.
Zieht sich diese Verallgemeinerung durch alle ägyptischen Medien?
Nein. Es gibt positive Beispiele, bei denen sehr sachlich berichtet wurde. In Ägypten hat etwa die Tageszeitung Al-Ahram ein großes Interview mit dem deutschen Rechtswissenschaftler Matthias Rohe geführt. So wurde der Fall aus der Perspektive des deutschen Rechts dargestellt. Allerdings kommt so ein Perspektivwechsel in arabischen Medien noch seltener vor als in deutschen.
Haben die Ägypter Vertrauen in das deutsche Gericht?
Viele Ägypter haben großes Vertrauen in das deutsche Rechtssystem, dazu gehören auch die ägyptischen Anwälte und der in Dresden anwesende Präsident der ägyptischen Anwaltskammer. Die Anwesenden sind beeindruckt von der großen Professionalität der Richter, die stets große Sachlichkeit wahren, die auf mich stellenweise fast schon übertrieben wirkt. Ich glaube allerdings auch, dass jeder minimale Fehler sehr heftige Kritik nach sich ziehen würde.
Wird dieser professionelle Umgang auch in den arabischen Medien transportiert?
Die Berichterstattung vermittelt, dass sich die deutsche Seite große Mühe gibt. Bekannt ist auch, dass es keine Todesstrafe geben wird, wie von vielen gefordert. Arabische Journalisten sind in Dresden vor Ort und berichten ausführlich. Allerdings wird sich erst nach der Urteilssprechung zeigen, ob man die Entscheidung des Gerichts wirklich akzeptiert.
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